Bundesgerichtshof entscheidet zu Formularklauseln über Darlehensgebühren in Bausparverträgen

Bundesgerichtshof entscheidet zu Formularklauseln über Darlehensgebühren in Bausparverträgen

Urteil vom 8. November 2016 – XI ZR 552/15

Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass eine vorformulierte Bestimmung über eine „Darlehensgebühr“ in Höhe von 2 Prozent der Darlehenssumme in Bausparverträgen zwischen Verbrauchern und Unternehmern unwirksam ist.

Sachverhalt:

Von den ursprünglich terminierten drei Verfahren zur Zulässigkeit von Darlehensgebühren in Bausparverträgen (vgl. dazu die Pressemitteilung Nr. 155/16) war nach Rücknahme von zwei Revisionen noch das Verfahren XI ZR 552/15 zu entscheiden. In dieser Sache klagt ein Verbraucherschutzverband, der als qualifizierte Einrichtung gemäß § 4 UKlaG eingetragen ist. Er wendet sich mit der Unterlassungsklage nach § 1 UKlaG gegen eine in den Allgemeinen Bedingungen für Bausparverträge (ABB) der beklagten Bausparkasse enthaltene Klausel, wonach mit Beginn der Auszahlung des Bauspardarlehens eine „Darlehensgebühr“ in Höhe von 2 Prozent des Bauspardarlehens fällig und dem Bauspardarlehen zugeschlagen wird (§ 10 ABB)*.

Der Kläger ist der Ansicht, die angegriffene Klausel verstoße gegen § 307 BGB**, und nimmt die Beklagte darauf in Anspruch, die Verwendung der Klausel gegenüber Verbrauchern zu unterlassen.

Prozessverlauf:

Die Klage ist in beiden Vorinstanzen abgewiesen worden. Die von dem Oberlandesgericht zugelassene Revision des Klägers hatte Erfolg.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Bei der „Darlehensgebühr“ handelt es sich um eine gerichtlicher Klauselkontrolle unterliegende sogenannte Preisnebenabrede. Die Klausel ist dahingehend zu verstehen, dass mit der Gebühr keine konkrete vertragliche Gegenleistung bepreist wird. Vielmehr dient die Gebühr der Abgeltung von Verwaltungsaufwand, der für Tätigkeiten der Beklagten im Zusammenhang mit den Bauspardarlehen anfällt.

Damit weicht die Klausel von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung ab. Denn zum einen wird mit dieser Gebühr ein Entgelt erhoben, das abweichend vom gesetzlichen Leitbild für Darlehensverträge, das nach § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB*** einen laufzeitabhängigen Zins vorsieht, nicht laufzeitabhängig ausgestaltet ist. Dieses Leitbild ist entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts auch für Bauspardarlehensverträge maßgeblich. Zum anderen sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Entgeltklauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen dann mit wesentlichen Grundgedanken der Rechtsordnung unvereinbar, wenn Aufwand für Tätigkeiten auf den Kunden abgewälzt wird, zu denen der Verwender gesetzlich oder nebenvertraglich verpflichtet ist oder die er überwiegend im eigenen Interesse erbringt. Das aber sieht die angegriffene Klausel vor.

Diese Abweichungen der Klausel von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung benachteiligen die Vertragspartner der Bausparkasse unangemessen. Insbesondere wird die Gebühr nicht im kollektiven Gesamtinteresse der Bauspargemeinschaft erhoben, da sie keinen Beitrag zur Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des Bausparwesens leistet. Die Darlehensgebühr wird auch nicht durch Individualvorteile für Bausparkunden, wie z.B. günstige Darlehenszinsen, ausgeglichen, da diesen bereits nicht unerhebliche Nachteile, etwa eine Abschlussgebühr, gegenüberstehen.

* § 10 Darlehensgebühr

Mit Beginn der Darlehensauszahlung wird eine Darlehensgebühr in Höhe von 2 % des Bauspardarlehens – bei der Wahl gemäß § 9 Abs. 3 vor Abzug des Disagios – fällig und dem Bauspardarlehen zugeschlagen (Darlehensschuld).

** § 307 BGB Inhaltskontrolle

(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.

(2) Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung

1. mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder

2. wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.

(3) Die Absätze 1 und 2 sowie die §§ 308 und 309 gelten nur für Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Andere Bestimmungen können nach Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 unwirksam sein.

*** § 488 Vertragstypische Pflichten beim Darlehensvertrag

(1) Durch den Darlehensvertrag wird der Darlehensgeber verpflichtet, dem Darlehensnehmer einen Geldbetrag in der vereinbarten Höhe zur Verfügung zu stellen. Der Darlehensnehmer ist verpflichtet, einen geschuldeten Zins zu zahlen und bei Fälligkeit das zur Verfügung gestellte Darlehen zurückzuzahlen.

Vorinstanzen:

LG Heilbronn – Urteil vom 21. Mai 2015 – Bi 6 O 50/15

OLG Stuttgart – Urteil vom 19. November 2015 – 2 U 75/15

Karlsruhe, den 8. November 2016

Nr. 198/2016 vom 08.11.2016
Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

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Bundesgerichtshof verneint Störerhaftung für passwortgesichertes WLAN

Bundesgerichtshof verneint Störerhaftung für passwortgesichertes WLAN

Urteil vom 24. November 2016 – I ZR 220/15 – WLAN-Schlüssel

Der unter anderem für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat hat sich im Zusammenhang mit der Haftung für Urheberrechtsverletzungen mit den Anforderungen an die Sicherung eines Internetanschlusses mit WLAN-Funktion befasst.

Die Klägerin ist Inhaberin von Verwertungsrechten an dem Film „The Expendables 2“. Sie nimmt die Beklagte wegen des öffentlichen Zugänglichmachens dieses Filmwerks im Wege des „Filesharing“ auf Ersatz von Abmahnkosten in Anspruch. Der Film ist im November und Dezember 2012 zu verschiedenen Zeitpunkten über den Internetanschluss der Beklagten durch einen unbekannten Dritten öffentlich zugänglich gemacht worden, der sich unberechtigten Zugang zum WLAN der Beklagten verschafft hatte. Die Beklagte hatte ihren Internet-Router Anfang 2012 in Betrieb genommen. Der Router war mit einem vom Hersteller vergebenen, auf der Rückseite des Routers aufgedruckten WPA2-Schlüssel gesichert, der aus 16 Ziffern bestand. Diesen Schlüssel hatte die Beklagte bei der Einrichtung des Routers nicht geändert. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben.

Der Bundesgerichtshof hat die Revision der Klägerin zurückgewiesen. Er hat angenommen, dass die Beklagte nicht als Störerin haftet, weil sie keine Prüfungspflichten verletzt hat. Der Inhaber eines Internetanschlusses mit WLAN-Funktion ist zur Prüfung verpflichtet, ob der eingesetzte Router über die im Zeitpunkt seines Kaufs für den privaten Bereich marktüblichen Sicherungen, also einen aktuellen Verschlüsselungsstandard sowie ein individuelles, ausreichend langes und sicheres Passwort, verfügt. Die Beibehaltung eines vom Hersteller voreingestellten WLAN-Passworts kann eine Verletzung der Prüfungspflicht darstellen, wenn es sich nicht um ein für jedes Gerät individuell, sondern für eine Mehrzahl von Geräten verwendetes Passwort handelt. Im Streitfall hat die Klägerin keinen Beweis dafür angetreten, dass es sich um ein Passwort gehandelt hat, das vom Hersteller für eine Mehrzahl von Geräten vergeben worden war. Die Beklagte hatte durch Benennung des Routertyps und des Passworts sowie durch die Angabe, es habe sich um ein nur einmal vergebenes Passwort gehandelt, der ihr insoweit obliegenden sekundären Darlegungslast genügt. Da der Standard WPA2 als hinreichend sicher anerkannt ist und es an Anhaltspunkten dafür fehlt, dass im Zeitpunkt des Kaufs der voreingestellte 16-stellige Zifferncode nicht marktüblichen Standards entsprach oder Dritte ihn entschlüsseln konnten, hat die Beklagte ihre Prüfungspflichten nicht verletzt. Sie haftet deshalb nicht als Störerin für die über ihren Internetanschluss von einem unbekannten Dritten begangenen Urheberrechtsverletzungen. Eine bei dem Routertyp bestehende Sicherheitslücke ist in der Öffentlichkeit erst im Jahr 2014 bekannt geworden.

Vorinstanzen:

AG Hamburg – Urteil vom 9. Januar 2015 – 36a C 40/14

LG Hamburg – Urteil vom 29. September 2015 – 310 S 3/15

Karlsruhe, den 24. November 2016

Nr. 212/2016 vom 24.11.2016
Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

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Bundesgerichtshof entscheidet über die Wirksamkeit einer Widerrufsinformation bei einem Immobiliardarlehensvertrag

Bundesgerichtshof entscheidet über die Wirksamkeit einer Widerrufsinformation bei einem
Immobiliardarlehensvertrag

Urteil vom 22. November 2016 – XI ZR 434/15

Der u.a. für das Bankrecht zuständige XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute im schriftlichen Verfahren darüber entschieden, unter welchen Voraussetzungen der Darlehensgeber einen Verbraucher als Darlehensnehmer klar und verständlich über den Beginn der Widerrufsfrist informiert.

Sachverhalt:

Die Kläger schlossen als Verbraucher im August 2010 mit der beklagten Sparkasse einen Immobiliardarlehensvertrag über endfällig 273.000 € mit einer Laufzeit bis zum 30. November 2026. Sie schrieben für zehn Jahre eine Verzinsung in Höhe von 3,95% p.a. fest. Den effektiven Jahreszins gab die Beklagte mit 3,78% p.a. an. Sie erteilte unter Nr. 14 des Darlehensvertrags eine Widerrufsinformation, die unter anderem folgenden Satz (ohne Fußnote) enthielt:

„Die Frist [gemeint: die Widerrufsfrist] beginnt nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB* (z.B. Angabe des effektiven Jahreszinses, Angaben zum einzuhaltenden Verfahren bei der Kündigung des Vertrags, Angabe der für die Sparkasse zuständigen Aufsichtsbehörde) erhalten hat“.

Als Sicherheit bestellten die Kläger eine Grundschuld. Die Beklagte stellte den Klägern die Darlehensvaluta zur Verfügung. Mit Schreiben vom 29. August 2013 widerriefen die Kläger ihre auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichtete Willenserklärung.

Prozessverlauf:

Ihre Klage auf Feststellung, dass sie der Beklagten „aus dem widerrufenen Darlehensvertrag“ lediglich 265.737,99 € abzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 32.778,30 € seit dem 30. September 2013 schulden, und auf Leistung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten hat das Landgericht abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung hat das Berufungsgericht zurückgewiesen.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Auf die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Kläger hat der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Dabei waren im Wesentlichen folgende Überlegungen leitend:

In Übereinstimmung mit dem Senatsurteil vom 23. Februar 2016 (XI ZR 101/15, WM 2016, 706 Rn. 24 ff., zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ, vgl. Pressemitteilung Nr. 48/2016), das dasselbe Formular des Deutschen Sparkassenverlags betraf, hat das Berufungsgericht geurteilt, die äußere Gestaltung der Widerrufsinformation habe den gesetzlichen Anforderungen genügt.

Im Ergebnis zu Recht ist das Berufungsgericht weiter davon ausgegangen, die Widerrufsinformation sei inhaltlich klar und verständlich gewesen. Die Wendung, die Widerrufsfrist beginne „nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB erhalten hat“, informierte für sich klar und verständlich über den Beginn der Widerrufsfrist. Die von der Beklagten zur Erläuterung des Verweises auf § 492 Abs. 2 BGB in einem Klammerzusatz angefügten Beispiele entsprachen zwar nicht den gesetzlichen Vorgaben, weil sie mit den Angaben zum einzuhaltenden Verfahren bei der Kündigung des Vertrags und der für die Sparkasse zuständigen Aufsichtsbehörde „Pflichtangaben“ benannten, die für den Immobiliardarlehensvertrag der Kläger nicht einschlägig waren. In der Angabe dieser beiden zusätzlichen Pflichtangaben lag indessen das von den Klägern angenommene vertragliche Angebot der Beklagten, das Anlaufen der Widerrufsfrist von der zusätzlichen Erteilung dieser beiden Angaben im Immobiliardarlehensvertrag abhängig zu machen.

Das Berufungsurteil hatte gleichwohl keinen Bestand, weil die Beklagte im Immobiliardarlehensvertrag keine Angaben zu der für sie zuständigen Aufsichtsbehörde gemacht und damit nicht sämtliche Bedingungen erfüllt hat, von denen sie selbst das Anlaufen der Widerrufsfrist abhängig gemacht hat.

Das Berufungsgericht wird nach Zurückverweisung der Sache nunmehr der Frage nachzugehen haben, ob sich die Kläger im Zusammenhang mit der Ausübung des Widerrufsrechts rechtmissbräuchlich verhalten haben und welche Rechtsfolgen der Widerruf der Kläger – seine Wirksamkeit unterstellt – hat.

* § 492 BGB Schriftform, Vertragsinhalt

(2) Der Vertrag muss die für den Verbraucherdarlehensvertrag vorgeschriebenen Angaben nach Artikel 247 §§ 6 bis 13 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche enthalten.

Vorinstanzen:

LG Heidelberg – Urteil vom 14. Oktober 2014 – 2 O 168/14

OLG Karlsruhe – Urteil vom 25. August 2015 – 17 U 179/14

Karlsruhe, den 22. November 2016

Nr. 210/2016 vom 22.11.2016
Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

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Bundesgerichtshof bejaht Schadensersatzpflicht eines Zuschauers gegenüber dem Verein für das Zünden eines Knallkörpers im Fußballstadion

Bundesgerichtshof bejaht Schadensersatzpflicht eines Zuschauers gegenüber dem Verein für das Zünden eines Knallkörpers im Fußballstadion

Bundesgerichtshof bejaht mögliche Amtshaftungsansprüche von Eltern wegen nicht rechtzeitig zur
Verfügung gestellter Kinderbetreuungsplätze – Verschulden der beklagten Kommune  muss aber noch
geprüft werden

Urteile vom 20. Oktober 2016 – III ZR 278/15, 302/15 und 303/15

Der Bundesgerichtshof hat sich heute in mehreren Entscheidungen mit der Frage befasst, ob Eltern im Wege der Amtshaftung (§ 839 Abs. 1 Satz 1 BGB* in Verbindung mit Artikel 34 Satz 1 GG**) den Ersatz ihres Verdienstausfallschadens verlangen können, wenn ihren Kindern entgegen § 24 Abs. 2 SGB VIII*** ab Vollendung des ersten Lebensjahres vom zuständigen Träger der öffentlichen Jugendhilfe kein Betreuungsplatz zur Verfügung gestellt wird und sie deshalb keiner Erwerbstätigkeit nachgehen können.  

Der Sachverhalt:

Die Klägerinnen der drei Parallelverfahren beabsichtigten, jeweils nach Ablauf der einjährigen Elternzeit ihre Vollzeit-Berufstätigkeit wieder aufzunehmen. Unter Hinweis darauf meldeten sie für ihre Kinder wenige Monate nach der Geburt bei der beklagten Stadt Bedarf für einen Kinderbetreuungsplatz für die Zeit ab der Vollendung des ersten Lebensjahres an. Zum gewünschten Termin erhielten die Klägerinnen von der Beklagten keinen Betreuungsplatz nachgewiesen.

Für den Zeitraum zwischen der Vollendung des ersten Lebensjahres ihrer Kinder und der späteren Beschaffung eines Betreuungsplatzes verlangen die Klägerinnen Ersatz des ihnen entstandenen Verdienstausfalls (unter Anrechnung von Abzügen für anderweitige Zuwendungen und ersparte Kosten belaufen sich die Forderungen auf 4.463,12 €, 2.182,20 € bzw. 7.332,93 €).  

Prozessverlauf:

Das Landgericht Leipzig hat den Klagen stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht Dresden die Klagen abgewiesen. Es hat ausgeführt, dass die beklagte Stadt zwar ihre aus § 24 Abs. 2 SGB VIII*** folgende Amtspflicht verletzt habe; die Erwerbsinteressen der Klägerinnen seien von dieser Amtspflicht aber nicht geschützt. Hiergegen richten sich die Revisionen der Klägerinnen.  

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der unter anderem für Rechtsstreitigkeiten wegen Schadensersatzansprüchen aus Amtshaftung (§ 839 Abs. 1 Satz 1 BGB* in Verbindung mit Artikel 34 Satz 1 GG**) zuständige III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat die Urteile des Oberlandesgerichts Dresden aufgehoben und die Sachen zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.  

Er hat im Einklang mit beiden Vorinstanzen das Vorliegen einer Amtspflichtverletzung der beklagten Stadt bejaht. Eine Amtspflichtverletzung liegt bereits dann vor, wenn der zuständige Träger der öffentlichen Jugendhilfe einem gemäß § 24 Abs. 2 SGB VIII*** anspruchsberechtigten Kind trotz rechtzeitiger Anmeldung des Bedarfs keinen Betreuungsplatz zur Verfügung stellt. Die  betreffende Amtspflicht ist nicht durch die vorhandene Kapazität begrenzt. Vielmehr ist der verantwortliche öffentliche Träger der Jugendhilfe gehalten, eine ausreichende Zahl von Betreuungsplätzen selbst zu schaffen oder durch geeignete Dritte – freie Träger der Jugendhilfe oder Tagespflegepersonen – bereitzustellen. Insoweit trifft ihn eine unbedingte Gewährleistungspflicht.  

Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts bezweckt diese Amtspflicht auch den Schutz der Interessen der personensorgeberechtigten Eltern. In den Schutzbereich der Amtspflicht fallen dabei auch Verdienstausfallschäden, die Eltern dadurch erleiden, dass ihre Kinder entgegen § 24 Abs., 2 SGB VIII*** keinen Betreuungsplatz erhalten. Zwar steht der Anspruch auf einen Betreuungsplatz allein dem Kind selbst zu und nicht auch seinen Eltern. Die Einbeziehung der Eltern und ihres Erwerbsinteresses in den Schutzbereich des Amtspflicht ergibt sich aber aus der Regelungsabsicht des Gesetzgebers sowie dem Sinn und Zweck und der systematischen Stellung von § 24 Abs. 2 SGB VIII***. Mit dem Kinderförderungsgesetz, insbesondere der Einführung des Anspruchs nach § 24 Abs. 2 SGB VIII***, beabsichtigte der Gesetzgeber neben der Förderung des Kindeswohls auch die Entlastung der Eltern zu Gunsten der Aufnahme oder Weiterführung einer Erwerbstätigkeit. Es ging ihm – auch – um die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsleben und, damit verbunden, um die Schaffung von Anreizen für die Erfüllung von Kinderwünschen. Diese Regelungsabsicht hat auch im Gesetzestext ihren Niederschlag gefunden. Sie findet sich insbesondere in den Förderungsgrundsätzen des § 22 Abs. 2 SGB VIII**** bestätigt. Der Gesetzgeber hat hiermit zugleich der Erkenntnis Rechnung getragen, dass Kindes- und Elternwohl sich gegenseitig bedingen und ergänzen und zum gemeinsamen Wohl der Familie verbinden.  

Demnach kommt ein Schadensersatzanspruch der Klägerinnen aus Amtshaftung in Betracht, so dass die Berufungsurteile aufgehoben worden sind. Wegen noch ausstehender tatrichterlicher Feststellungen zum Verschulden der Bediensteten der Beklagten und zum Umfang des erstattungsfähigen Schadens hat der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs die drei Verfahren nicht abschließend entschieden, sondern an das Berufungsgericht zurückverwiesen. In diesem Zusammenhang hat er auf Folgendes hingewiesen: Wird der Betreuungsplatz nicht zur Verfügung gestellt, so besteht hinsichtlich des erforderlichen Verschuldens des Amtsträgers zugunsten des Geschädigten der Beweis des ersten Anscheins. Auf allgemeine finanzielle Engpässe kann die Beklagte sich zu ihrer Entlastung nicht mit Erfolg berufen, weil sie nach der gesetzgeberischen Entscheidung für eine ausreichende Anzahl an Betreuungsplätzen grundsätzlich uneingeschränkt – insbesondere: ohne „Kapazitätsvorbehalt“ – einstehen muss.

* § 839 BGB:

(1) 1Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. 2…

** Artikel 34 Grundgesetz:

1Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht. 2…

 

*** § 24 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII):

(1) …

(2) 1Ein Kind, das das erste Lebensjahr vollendet hat, hat bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege. …

**** § 22 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII):

(1) …

(2) Tageseinrichtungen für Kinder und Kindertagespflege sollen  

1.die Entwicklung des Kindes zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit fördern,

2.die Erziehung und Bildung in der Familie unterstützen und ergänzen,

3.den Eltern dabei helfen, Erwerbstätigkeit und Kindererziehung besser miteinander vereinbaren zu können.

(3) …

Vorinstanzen:

III ZR 278/15

Landgericht Leipzig – Urteil vom 2. Februar 2015 – 07 O 1928/14

Oberlandesgericht Dresden – Urteil vom 26. August 2015 – 1 U 320/15

und

 

III ZR 302/15

Landgericht Leipzig – Urteil vom 2. Februar 2015 – 07 O 1455/14

Oberlandesgericht Dresden – Urteil vom 26. August 2015 – 1 U 319/15

Und

III ZR 303/15

Landgericht Leipzig – Urteil vom 2. Februar 2015 – 07 O 2439/14

Oberlandesgericht Dresden – Urteil vom 26. August 2015 – 1 U 321/15

Karlsruhe, den 20. Oktober 2016

Nr. 185/2016 vom 20.10.2016
Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

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Bundesgerichtshof bejaht Schadensersatzpflicht eines Zuschauers gegenüber dem Verein für das Zünden eines Knallkörpers im Fußballstadion

Bundesgerichtshof bejaht Schadensersatzpflicht eines Zuschauers gegenüber dem Verein für das Zünden eines Knallkörpers im Fußballstadion

Urteil vom 22. September 2016 – VII ZR 14/16

Der VII. Zivilsenat hat die Pflicht des Zuschauers eines Fußballspiels bejaht, dem veranstaltenden Verein die von diesem gezahlte Verbandsstrafe wegen des Zündens eines Knallköpers durch den Zuschauer als Schadensersatz zu erstatten.

Sachverhalt:

Die Klägerin betreibt den Profifußballbereich des 1. FC Köln. Sie verlangt von dem Beklagten Schadensersatz wegen des Zündens eines Knallkörpers bei einem Heimspiel im RheinEnergieStadion in der 2. Bundesliga gegen den SC Paderborn 07 am 9. Februar 2014.

Der Beklagte zündete in der zweiten Halbzeit einen Knallkörper, der aufgrund seiner Sprengenergie dem Sprengstoffgesetz unterfällt, und warf ihn vom Oberrang der Nordtribüne auf den Unterrang, wo er detonierte und sieben Zuschauer verletzte.

Wegen dieses Vorfalls und vier weiterer vorangegangener Vorfälle bei anderen Spielen der Lizenzspielermannschaft der Klägerin verhängte das Sportgericht des Deutschen Fußball-Bundes e.V. (DFB) eine Verbandsstrafe gegen die Klägerin, u.a. bestehend aus einer Geldstrafe in Höhe von 50.000 € sowie der Bewährungsauflage, weitere 30.000 € für Projekte und Maßnahmen zu verwenden, die der Gewaltprävention sowie der Ermittlung von konkreten Tätern bei den Fußballspielen der Klägerin dienen.

Die Klägerin bezahlte die Geldstrafe. Sie verlangt vom Beklagten Ersatz in Höhe von 30.000 €.

Prozessverlauf:

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht ist der Auffassung, dass der Beklagte zwar durch das Zünden und den Wurf des Knallkörpers seine Verhaltenspflichten aus dem Zuschauervertrag verletzt habe. Das habe auch die Verhängung der Verbandsstrafe durch den DFB nach sich gezogen. Es fehle jedoch an dem erforderlichen Zurechnungszusammenhang. Denn die Verhängung der Verbandsstrafe unterfalle nicht mehr dem Schutzzweck der vom Beklagten verletzten Pflichten. Das Verbot des Zündens von Knallkörpern im Stadion diene dem Schutz der menschlichen Gesundheit. Hinsichtlich des hier geltend gemachten Schadens habe sich jedoch das durch die Unterwerfung der Klägerin unter die Regeln des DFB geschaffene Risiko, dass der Verein für sportliche Vergehen seiner Anhänger die Verantwortung zu übernehmen habe und dementsprechend im Rahmen des Verbandes mit Strafen belegt werden könne, verwirklicht.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Die vom Oberlandesgericht zugelassene Revision der Klägerin führte zur Aufhebung des Berufungsurteils.

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass jeden Zuschauer die Verhaltenspflicht trifft, die Durchführung des Fußballspiels nicht zu stören. Verstößt er hiergegen durch das Zünden und den Wurf eines Knallkörpers, hat er für die daraus folgenden Schäden zu haften und sie zu ersetzen. Das gilt auch für eine dem Verein wegen des Vorfalls auferlegte Geldstrafe des DFB. Sie ist kein nur zufällig durch das Verhalten verursachter, hiermit nicht mehr in einem inneren Zusammenhang stehender Schaden. Vielmehr wird sie gerade wegen der Störung durch den Zuschauer verhängt. Auch die Regeln des Verbandes dienten wie die Pflichten des Zuschauervertrags der Verhinderung von Spielstörungen.

Der Bundesgerichtshof hat die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen, damit dieses die weiteren Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs prüft.

Vorinstanzen:

LG Köln – Urteil vom 8. April 2015 – 7 O 231/14

OLG Köln – Urteil vom 17. Dezember 2015 – 7 U 54/15

Karlsruhe, den 22. September 2016

Nr. 165/2016 vom 22.09.2016
Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

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Bundesgerichtshof zu Mehrkosten bei Eintritt eines Dritten in den Reisevertrag

Bundesgerichtshof zu Mehrkosten bei Eintritt eines Dritten in den Reisevertrag

Urteile vom 27. September 2016 – X ZR 107/15 und X ZR 141/15

Die Parteien streiten um die Frage, ob der Reiseveranstalter bei Eintritt eines Dritten in den Reisevertrag den Kunden mit denjenigen Mehrkosten belasten darf, die sich daraus ergeben, dass die Tarifbedingungen der Luftverkehrsunternehmen typischerweise nach bestätigter Buchung keinen Wechsel in der Person des Fluggastes („name change“) zulassen und deshalb eine neue Flugbuchung erfordern.

Der Kläger in der Sache X ZR 107/15 buchte bei der beklagten Reiseveranstalterin für seine Eltern eine einwöchige Reise von Hamburg nach Dubai zu einem Gesamtpreis von 1.398 €. Die Luftbeförderung zum Reiseziel sollte nach dem Vertrag mit einer Linienfluggesellschaft erfolgen. Wegen einer Erkrankung seiner Mutter erkundigte sich der Kläger zwei Tage vor Abflug nach den Bedingungen eines Eintritts zweier anderer Personen in den Reisevertrag. Die Beklagte teilte ihm am nächsten Tag mit, dass eine Umbuchung entweder den Erwerb von Business-Class-Tickets mit Mehrkosten in Höhe von 1.850 € pro Person oder neuer Economy-Class-Tickets mit einer anderen Abflugzeit und Mehrkosten in Höhe von 725 € pro Person erfordere. Der Kläger trat daraufhin vom Reisevertrag zurück.

In der Sache X ZR 141/15 buchten die Klägerin und ein vorgesehener Mitreisender, der der Klägerin seine Ansprüche abgetreten hat, bei der beklagten Reiseveranstalterin eine zehntägige Reise von Berlin nach Phuket (Thailand) zu einem Gesamtpreis von 2.470 €. Die Luftbeförderung zum Reiseziel sollte wiederum mit einer Linienfluggesellschaft erfolgen. Wegen einer Erkrankung des Mitreisenden bat die Klägerin zwei Tage vor Abflug um den Eintritt zweier anderer Personen in den Reisevertrag. Die Beklagte teilte ihr am nächsten Tag mit, dass eine Umbuchung den Erwerb neuer Flugtickets mit Mehrkosten in Höhe von 1.648 € pro Person erfordere. Die Klägerin und ihr Mitreisender traten daraufhin vom Reisevertrag zurück.

In beiden Fällen stellte der Reiseveranstalter den Kunden eine Rücktrittsentschädigung in Höhe von 85 bzw. 90 % des Reisepreises in Rechnung und zahlte nur den restlichen Reisepreis zurück. Die Kläger verlangen jeweils Rückzahlung des vollen Reisepreises. Sie waren damit beim Amtsgericht erfolglos, das Berufungsgericht hat hingegen den Klagen stattgegeben.

Es hat angenommen, dem Reiseveranstalter sei ein Anspruch auf angemessene Entschädigung für den Verlust des Anspruchs auf den Reisepreis infolge des vom Kläger erklärten Rücktritts nach § 651i Abs. 2 und 3 BGB* zu versagen, da die Beklagte den Rücktritt durch eine schuldhafte Verletzung ihrer Vertragspflichten verursacht habe. Mit dem Angebot, den Vertrag nur gegen erhebliche Mehrkosten auf andere Reisende zu übertragen, sei die Beklagte ihrer gesetzlichen Verpflichtung nach § 651b Abs. 1 BGB** nicht nachgekommen, dem Reisenden eine solche Übertragung zu ermöglichen. Weder die – auf den von der Beklagten mit den Luftverkehrsunternehmen getroffenen Vereinbarungen beruhenden – höheren Kosten einer Beförderung in der Business Class noch die Kosten für den Erwerb neuer Economy-Class-Tickets gehörten zu den Mehrkosten, die der Reiseveranstalter nach § 651b Abs. 2 BGB** bei Eintritt eines Dritten in den Reisevertrag verlangen könne.  

Auf die Revision der beklagten Reiseveranstalter hat der für das Reiserecht zuständigen X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs die Berufungsurteile aufgehoben und die klageabweisenden erstinstanzlichen Urteile wiederhergestellt.

Der Reiseveranstalter muss dem Kunden zwar nach § 651b Abs. 1 BGB** die Übertragung des Anspruchs auf die Reiseleistungen auf einen Dritten ermöglichen. Hierdurch entstehende Mehrkosten muss er jedoch nicht selbst tragen, sondern kann den Kunden und den Dritten damit belasten, die hierfür als Gesamtschuldner haften. Er ist auch nicht gezwungen, die vertraglichen Reiseleistungen so zu gestalten, dass sie für den Kunden möglichst kostengünstig auf einen Dritten übertragbar sind. Für den Streitfall bedeutet dies, dass der Reiseveranstalter den Anspruch des Kunden auf Flugbeförderung im Rahmen der gebuchten Pauschalreise auch dadurch erfüllen kann, dass er für diesen bei einem Luftverkehrsunternehmen einen Flug zu einem Tarif bucht, der einen nachträglichen Wechsel der Person des Fluggastes nicht zulässt und typischerweise zu einem niedrigeren Preis erhältlich ist als Tarife, die eine größere Flexibilität gestatten. Der Reiseveranstalter bleibt gleichwohl verpflichtet, dem Dritten auch in einem solchen Fall den Eintritt in den Reisevertrag zu ermöglichen. Die Kosten für den notwendigen Erwerb eines neuen Flugscheins sind dann jedoch Mehrkosten im Sinne des § 651b Abs. 2 BGB**. Auch wenn sie insbesondere den Eintritt eines Dritten kurz vor Reisebeginn, wie er in den Streitfällen in Rede stand, wirtschaftlich unattraktiv machen können, rechtfertigt dieser Umstand es nicht, derartige Mehrkosten den Reiseveranstalter tragen zu lassen.

AG München – Urteil vom 21. November 2014 – 121 C 25717/13

LG München I – Urteil vom 25. August 2015 – 30 S 25399/14

und

AG München – Urteil vom 20. Februar 2015 – 281 C 9715/14

LG München I – Urteil vom 27. Oktober 2015 – 13 S 5113/15

Karlsruhe, den 27. September 2016

* § 651i BGB – Rücktritt vor Reisebeginn

(1) Vor Reisebeginn kann der Reisende jederzeit vom Vertrag zurücktreten.

(2) Tritt der Reisende vom Vertrag zurück, so verliert der Reiseveranstalter den Anspruch auf den vereinbaren Reisepreis. Er kann jedoch eine angemessene Entschädigung verlangen. Die Höhe der Entschädigung bestimmt sich nach dem Reisepreis unter Abzug des Wertes der vom Reiseveranstalter ersparten Aufwendungen sowie dessen, was er durch anderweitige Verwendung der Reiseleistungen erwerben kann.

(3) Im Vertrag kann für jede Reiseart unter Berücksichtigung der gewöhnlich ersparten Aufwendungen und des durch anderweitige Verwendung der Reiseleistungen gewöhnlich möglichen Erwerbs ein Vomhundertsatz des Reisepreises als Entschädigung festgesetzt werden.

** § 651b BGB – Vertragsübertragung

(1) Bis zum Reisebeginn kann der Reisende verlangen, dass statt seiner ein Dritter in die Rechte und Pflichten aus dem Reisevertrag eintritt. Der Reiseveranstalter kann dem Eintritt des Dritten widersprechen, wenn dieser den besonderen Reiseerfordernissen nicht genügt oder seiner Teilnahme gesetzliche Vorschriften oder behördliche Anordnungen entgegenstehen.

(2) Tritt ein Dritter in den Vertrag ein, so haften er und der Reisende dem Reiseveranstalter als Gesamtschuldner für den Reisepreis und die durch den Eintritt des Dritten entstehenden Mehrkosten.

Nr. 170/2016 vom 27.09.2016
Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

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Bundesgerichtshof gestattet Bildberichterstattung über den damaligen Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit bei einem Restaurantbesuch am Vorabend einer Misstrauensabstimmung

Bundesgerichtshof gestattet Bildberichterstattung über den damaligen Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit bei einem Restaurantbesuch am Vorabend einer Misstrauensabstimmung

Urteil vom 27. September 2016 – VI ZR 310/14  

Der Kläger, ehemaliger Regierender Bürgermeister der Stadt Berlin, wendet sich gegen die Veröffentlichung von drei Bildern in der Berlin-Ausgabe der von der Beklagten verlegten „BILD“-Zeitung unter der Überschrift „Vor der Misstrauensabstimmung ging´s in die Paris-Bar …“. Die Bilder zeigen den Kläger beim Besuch dieses Restaurants, einem bekannten Prominenten-Treff in Berlin, ferner einen Freund, den „“Bread & Butter“-Chef“, und dessen Frau am Vorabend der Misstrauensabstimmung im Abgeordnetenhaus von Berlin. Diese war wegen des in die Kritik geratenen  Managements beim Bau des neuen Berliner Flughafens (BER) beantragt worden. Im Bildtext heißt es unter anderem: „Der Regierende wirkt am Vorabend der Abstimmung im Parlament ersichtlich entspannt … und genehmigt sich einen Drink in der Paris-Bar (Kantstraße)“. Die Bilder sind eingeschoben in einen Artikel über die politische Vita des Klägers mit der Überschrift „Vom Partybürgermeister zum Bruchpiloten“, in dem über die Amtsjahre des Klägers und seinen „Absturz in 11,5 Jahren“ berichtet wird.

Das Landgericht hat der Klage auf Unterlassung der Veröffentlichung der genannten  Bilder stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Auf die Revision der Beklagten hat der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs nunmehr die Klage abgewiesen.

Im Streitfall waren die veröffentlichten Fotos dem Bereich der Zeitgeschichte (§ 23 Abs. 1 Nr. 1 KunstUrhG) zuzuordnen und durften von der Beklagten deshalb auch ohne Einwilligung des Klägers (§ 22 KunstUrhG) verbreitet werden, da berechtigte Interessen des Abgebildeten damit nicht verletzt wurden. Das Berufungsgericht hatte bei der Beurteilung des Zeitgeschehens den Kontext der beanstandeten Bildberichterstattung nicht hinreichend berücksichtigt und deshalb rechtsfehlerhaft dem Persönlichkeitsrecht des Klägers den Vorrang vor der durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Pressefreiheit eingeräumt. Im Zusammenhang mit der Presseberichterstattung über ein bedeutendes politisches Ereignis (hier: Misstrauensabstimmung im Berliner Abgeordnetenhaus) kann die ohne Einwilligung erfolgende Veröffentlichung von Fotos, die den davon betroffenen Regierenden Bürgermeister am Vorabend  in einer für sich genommen privaten Situation zeigen, durch das Informationsinteresse der Allgemeinheit gerechtfertigt sein. Die Bilder zeigten, wie der – von ihm unbeanstandet – als „Partybürgermeister“ beschriebene Kläger in der Öffentlichkeit am Vorabend des möglichen Endes seiner politischen Laufbahn mit dieser Belastung umging und zwar – wie im Kontext beschrieben – entspannt „bei einem Drink“ in der Paris-Bar. Durch die beanstandete Bildberichterstattung wurden auch keine berechtigten Interessen des abgebildeten Klägers im Sinne des § 23 Abs. 2 KUG verletzt. Sie zeigte den Kläger in einer eher unverfänglichen Situation beim Abendessen in einem bekannten, von prominenten Personen besuchten Restaurant. Er konnte unter diesen Umständen – gerade am Vorabend der Misstrauensabstimmung – nicht damit rechnen, den Blicken der Öffentlichkeit und der Presse entzogen zu sein.

§ 22 Satz 1 KunstUrhG lautet:

Bildnisse dürfen nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden.  

§ 23 Absatz 1 Nr. 1 KunstUrhG lautet:

Ohne die nach § 22 erforderliche Einwilligung dürfen verbreitet und zur Schau gestellt werden: Bildnisse aus dem Bereiche der Zeitgeschichte.

§ 23 Absatz 2 KunstUrhG lautet:

Die Befugnis erstreckt sich jedoch nicht auf eine Verbreitung und Schaustellung, durch die ein berechtigtes Interesse des Abgebildeten …verletzt wird.

Vorinstanzen:  

LG Berlin – Urteil vom 27. August 2013 – 27 O 180/13

Kammergericht Berlin – Beschluss vom 7. Juli 2014 – 10 U 143/13

Karlsruhe, den 27. September 2016

Nr. 167/2016 vom 27.09.2016
Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

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Bundesgerichtshof entscheidet über den vom Norddeutschen Fußballverband e.V. verhängten Zwangsabstieg des SV Wilhelmshaven e.V. aus der Regionalliga Nord

Bundesgerichtshof entscheidet über den vom Norddeutschen Fußballverband e.V. verhängten
Zwangsabstieg des SV Wilhelmshaven e.V. aus der Regionalliga Nord

Urteil vom 20. September 2016 – II ZR 25/15

Der u.a. für das Vereinsrecht zuständige II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute der Klage des SV Wilhelmshaven e.V. gegen den Norddeutschen Fußballverband e.V. wegen der Anordnung eines Zwangsabstiegs stattgegeben und dabei über die Grenzen der Disziplinarbefugnis eines Vereins entschieden.

Sachverhalt:

Der Kläger, der SV Wilhelmshaven e.V., begehrt die Feststellung der Unwirksamkeit eines Beschlusses des Beklagten, des Norddeutschen Fußballverbands e.V., mit dem dieser den Zwangsabstieg der 1. Fußballmannschaft (Herren) des Klägers zum Ende der Spielzeit 2013/14 aus der Regionalliga Nord verfügt hat.

Der Beklagte ist Mitglied des Deutschen Fußballbunds e.V. (DFB), der wiederum Mitglied der Fédération Internationale de Football Association (FIFA) ist. Nach dem Reglement der FIFA „bezüglich Status und Transfer von Spielern“ ist von einem Verein, der einen Spieler eines anderen Vereins übernimmt, im Rahmen bestimmter Altersgrenzen eine Entschädigung für die Ausbildung des Spielers zu zahlen. Der Kläger hatte vom 29. Januar bis zum 30. Juni 2007 für seine damalige Regionalligamannschaft einen 1987 geborenen Fußballspieler mit (jedenfalls auch) italienischer Staatsangehörigkeit verpflichtet, der zuvor bei zwei argentinischen Fußballvereinen gespielt hatte. Auf Antrag der beiden argentinischen Vereine setzte die zuständige Kammer der FIFA im Dezember 2008 Ausbildungsentschädigungen in Höhe von insgesamt 157.500 € gegen den Kläger fest. Dagegen rief der Kläger den Court of Arbitration for Sports (CAS) an. Dieser bestätigte die Ausbildungsentschädigungen. Da der Kläger die Entschädigungen trotz Verhängung einer Geldstrafe, Gewährung einer letzten Zahlungsfrist und Abzugs von Punkten in der Ligameisterschaft nicht an die beiden argentinischen Vereine zahlte, sprach die Disziplinarkommission der FIFA am 5. Oktober 2012 den Zwangsabstieg der 1. Fußballmannschaft (Herren) des Klägers aus. Nach der Bestätigung dieser Maßnahme durch den wiederum vom Kläger angerufenen CAS forderte die FIFA den DFB auf, den Zwangsabstieg umzusetzen. Der DFB reichte diese Bitte an den Beklagten weiter. Dessen Präsidium beschloss sodann den Zwangsabstieg. Eine dagegen gerichtete Beschwerde des Klägers wies das Verbandsgericht des Beklagten zurück.

Prozessverlauf:

Die gegen den Zwangsabstieg zum Ende der Spielzeit 2013/14 gerichtete Klage ist beim Landgericht ohne Erfolg geblieben. Das Berufungsgericht hat dagegen die Unwirksamkeit des Beschlusses des Beklagten, mit dem der Zwangsabstieg verfügt wurde, festgestellt.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der Bundesgerichtshof hat das Berufungsurteil im Ergebnis bestätigt. Dabei hat er offen gelassen, ob – wie das Oberlandesgericht gemeint hat – der Abstiegsbeschuss gegen das Recht der Fußballspieler auf Freizügigkeit nach Art. 45 AEUV verstößt. Denn jedenfalls ist der Beschluss deshalb nichtig, weil er in das Mitgliedschaftsverhältnis des Klägers zum Beklagten eingreift, ohne dass dafür eine ausreichende Grundlage vorhanden ist.

Eine vereinsrechtliche Disziplinarstrafe darf verhängt werden, wenn sie in der Satzung des Vereins vorgesehen ist. Dabei muss die Regelung eindeutig sein, damit die Mitglieder des Vereins die ihnen eventuell drohenden Rechtsnachteile erkennen und entscheiden können, ob sie diese hinnehmen oder ihr Verhalten entsprechend einrichten wollen. Eine derartige Grundlage fehlt in der Satzung des Beklagten, soweit es um Disziplinarstrafen bei Nichtzahlung von Ausbildungsentschädigungen geht. Ob sich aus den Satzungen des DFB oder der FIFA entsprechende Bestimmungen ergeben, ist ohne Belang. Maßgebend ist allein die Satzung des Beklagten. Denn der Kläger ist nur Mitglied des Beklagten, nicht auch des DFB oder gar der FIFA. Regeln eines übergeordneten Verbands – wie hier der FIFA – gelten grundsätzlich nur für dessen Mitglieder. Sie erstrecken sich nicht allein aufgrund der Mitgliedschaft eines nachgeordneten Vereins – hier des Beklagten – in dem übergeordneten Verband auf die Mitglieder des nachgeordneten Vereins – hier den Kläger. Damit ist der Beschluss über den Zwangsabstieg allein an der Satzung des Beklagten zu messen. Diese Satzung verweist hinsichtlich von Disziplinarmaßnahmen bei Nichtzahlung von Ausbildungsentschädigungen auch nicht auf die Bestimmungen in den Regelwerken des DFB oder der FIFA. Damit hat der Beklagte nicht, wie die Revision anführt, ähnlich einem Gerichtsvollzieher nur die Entscheidung des DFB und der FIFA vollzogen, ohne sie selbst zu verantworten. Er hat vielmehr eine eigene vereinsrechtliche Disziplinarstrafe auf der Grundlage des Mitgliedschaftsverhältnisses zwischen ihm und dem Kläger verhängt. Dass damit die Anordnung der FIFA-Disziplinarkommission umgesetzt werden sollte, ist unerheblich.

Der Kläger hat sich auch nicht auf andere Weise einer Sanktion in Form des Zwangsabstiegs wegen der Nichtzahlung der nach dem FIFA-Reglement bezüglich Status und Transfer von Spielern angefallenen Ausbildungsentschädigungen unterworfen. Er hat zwar mit dem DFB einen „Zulassungsvertrag Regionalliga“ über die Teilnahme an der Regionalliga geschlossen. Ob er damit das Reglement der FIFA bezüglich Status und Transfer von Spielern anerkannt hat, konnte aber offen bleiben. Denn es ging in dem vorliegenden Verfahren nicht darum zu entscheiden, ob der Kläger die Ausbildungsentschädigung aufgrund der Festsetzung der FIFA und des ersten Schiedsspruchs des CAS zahlen muss, was ggf. in einem auf Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche gerichteten Verfahrens zu klären wäre. Allein entscheidend war hier vielmehr die Frage, ob der Kläger bei Nichtzahlung mit einem Zwangsabstieg bestraft werden kann. Dafür hätte es einer ausreichend deutlichen Ermächtigung bedurft, die auch in dem Zulassungsvertrag nicht enthalten war. Ebenso wenig genügt die bloße Teilnahme an der Regionalliga, um eine Unterwerfung unter eine Zwangsabstiegsentscheidung des Beklagten wegen Nichtzahlung der von der FIFA festgesetzten Ausbildungsentschädigungen an-nehmen zu können. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 28. November 1994 – II ZR 11/94, BGHZ 128, 93) gelten die von dem veranstaltenden Sportverband aufgestellten Wettkampfregeln ohne weiteres für alle Wettkampfteilnehmer, weil anders ein geordneter Wettkampfbetrieb nicht möglich wäre. Die Regeln über die Ausbildungsentschädigung sind aber keine Wettkampfregeln in diesem Sinne. Der argentinische Spieler durfte vielmehr antreten, obwohl für ihn die Ausbildungsentschädigung nicht gezahlt worden war.

Vorinstanzen:

LG Bremen – Urteil vom 25. April 2014 – 12 O 129/13

OLG Bremen – Urteil vom 30. Dezember 2014 – 2 U 67/14

Karlsruhe, den 20. September 2016

Nr. 163/2016 vom 20.09.2016
Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

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BGH bejaht Schadensersatzanspruch nach Preismanipulation des Verkäufers bei eBay-Auktion („Shill Bidding“)

BGH bejaht Schadensersatzanspruch nach Preismanipulation des Verkäufers bei eBay-Auktion („Shill Bidding“)

Urteil vom 24. August 2016 – VIII ZR 100/15

Der Bundesgerichtshof hat sich heute in einer Entscheidung mit den rechtlichen Auswirkungen von Geboten befasst, die der Verkäufer im Rahmen einer Internetauktion auf von ihm selbst zum Kauf angebotene Gegenstände abgibt, um auf diese Weise den Auktionsverlauf zu seinen Gunsten zu manipulieren.

Der Sachverhalt:

Im Juni 2013 bot der Beklagte auf der Internetplattform eBay einen gebrauchten PKW Golf 6 im Wege einer Internetauktion mit einem Startpreis von 1 € zum Verkauf an. Diesen Betrag bot ein unbekannt gebliebener Fremdbieter. Als einziger weiterer Fremdbieter beteiligte sich der Kläger an der Auktion. Dabei wurde er vom Beklagten, der über ein zweites Benutzerkonto Eigengebote abgab, immer wieder überboten. Derartige Eigengebote sind nach den zugrunde liegenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen von eBay unzulässig. Bei Auktionsschluss lag ein „Höchstgebot“ des Beklagten über 17.000 € vor, so dass der Kläger mit seinem danach in gleicher Höhe abgegebenen Gebot nicht mehr zum Zuge kam.

Der Kläger ist der Auffassung, er habe das Kraftfahrzeug für 1,50 € – den auf 1 € folgenden nächsthöheren Bietschritt – ersteigert, da er ohne die unzulässige Eigengebote des Beklagten die Auktion bereits mit einem Gebot in dieser Höhe „gewonnen“ hätte. Nachdem der Beklagte ihm mitgeteilt hatte, das Fahrzeug bereits anderweitig veräußert zu haben, verlangte der Kläger Schadensersatz in Höhe des von ihm mit mindestens 16.500 € angenommenen Marktwerts des Fahrzeugs.

Prozessverlauf:

Die Schadensersatzklage hatte in der ersten Instanz Erfolg. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen (veröffentlicht in NJW-RR 2014, 1363 ff.).

Hierbei ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass zwischen den Parteien aufgrund der Internetauktion ein Kaufvertrag über den Gebrauchtwagen zu einem Preis von 17.000 € zustande gekommen ist. Es komme insoweit auf das zuletzt vom Kläger abgegebene Gebot an, auch wenn der Beklagte den Kaufpreis durch seine rechtlich unwirksamen Eigengebote unzulässigerweise in die Höhe getrieben habe. Im Ergebnis habe der Kaufpreis somit den Verkehrswert des Fahrzeugs überstiegen, so dass dem Kläger aus dem Kaufvertrag selbst und dessen Nichterfüllung kein Schaden entstanden sei.

Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der unter anderem für das Kaufrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat zunächst seine Rechtsprechung bekräftigt, dass sich der Vertragsschluss bei eBay-Auktionen nicht nach § 156 BGB* (Versteigerung) beurteilt, sondern nach den allgemeinen Regeln des Vertragsschlusses (Angebot und Annahme, §§ 145 ff. BGB**). Danach richtet sich das von einem Anbieter im Rahmen einer eBay-Auktion erklärte Angebot nur an „einen anderen“, mithin an einen von ihm personenverschiedenen Bieter. Damit konnte der Beklagte durch seine Eigengebote von vornherein keinen Vertragsschluss zustande bringen.

Der vorliegende Fall ist zudem durch die Besonderheit gekennzeichnet, dass außer dem Startgebot von 1 € und den Geboten des Klägers kein sonstiges reguläres Gebot abgegeben wurde, so dass der Kläger den streitgegenständlichen Gebrauchtwagen zum Preis von 1,50 € ersteigern konnte. Der Senat hat deshalb das Berufungsurteil aufgehoben und die im Ergebnis der Klage stattgebende Entscheidung des Landgerichts wiederhergestellt.

Im Einzelnen:

Der Beklagte gab dadurch, dass er die Auktion des zum Verkauf gestellten Fahrzeugs mit einem Anfangspreis von 1 € startete, ein verbindliches Verkaufsangebot im Sinne von § 145 BGB* ab, welches an denjenigen Bieter gerichtet war, der zum Ablauf der Auktionslaufzeit das Höchstgebot abgegeben haben würde. Bereits aus der in § 145 BGB enthaltenen Definition des Angebots – die auch dem in den eBay-AGB vorgesehenen Vertragsschlussmechanismus zugrunde liegt – ergibt sich aber, dass die Schließung eines Vertrages stets „einem anderen“ anzutragen ist. Mithin konnte der Beklagte mit seinen über das zusätzliche Benutzerkonto abgegebenen Eigengeboten von vornherein keinen wirksamen Vertragsschluss herbeiführen.

Das höchste zum Auktionsablauf abgegebene Gebot stammte daher vom Kläger. Es betrug allerdings – entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts – nicht 17.000 €, sondern lediglich 1,50 €. Denn auch wenn er seine zahlreichen Maximalgebote immer wieder und zuletzt auf 17.000 € erhöhte, gab er damit noch keine auf das jeweilige Maximalgebot bezifferte und auf den Abschluss eines entsprechenden Kaufvertrages gerichteten Annahmeerklärungen ab. Deren Inhalt erschöpfte sich vielmehr darin, das im Vergleich zu den bereits bestehenden Geboten regulärer Mitbieter jeweils nächsthöhere Gebot abzugeben, um diese Gebote um den von eBay jeweils vorgegebenen Bietschritt zu übertreffen und auf diese Weise bis zum Erreichen des von ihm vorgegebenen Maximalbetrages Höchstbietender zu werden oder zu bleiben. Nachdem aber außer den unwirksamen Eigengeboten des Beklagten nur ein einziges reguläres Gebot in Höhe von 1 € auf den Gebrauchtwagen abgegeben worden war, wurde der Kläger mit dem nächsthöheren Gebot von 1,50 € Höchstbietender.

Es begründet keine Sittenwidrigkeit des Kaufvertrages, dass dieser damit im Ergebnis zu einem weit unter dem Verkehrswert liegenden Betrag zustande kam, da es – wie der Senat in der Vergangenheit bereits entschieden hat – gerade den Reiz einer Internetauktion ausmacht, den Auktionsgegenstand zu einem „Schnäppchenpreis“ erwerben zu können. Dass der Kläger nach dem Auktionsergebnis die Lieferung des Fahrzeugs für einen eher symbolischen Kaufpreis von 1,50 € hat beanspruchen können, beruht allein auf dem erfolglosen Versuch des Beklagten, den Auktionsverlauf in unlauterer Weise zu seinen Gunsten zu manipulieren.

*§ 156 BGB Vertragsschluss bei Versteigerung

1Bei einer Versteigerung kommt der Vertrag erst durch den Zuschlag zustande.

2Ein Gebot erlischt, wenn ein Übergebot abgegeben oder die Versteigerung ohne Erteilung des Zuschlags geschlossen wird.

**§ 145 BGB Bindung an den Antrag

Wer einem anderen die Schließung eines Vertrages anträgt, ist an den Antrag gebunden, es sei denn, dass er die Gebundenheit ausgeschlossen hat.

Vorinstanzen:

OLG Stuttgart – Urteil vom 14. April 2015 – 12 U 153/14

LG Tübingen – Urteil vom 26. September 2014 – 7 O 490/13

Karlsruhe, den 24. August 2016

Nr. 144/2016 vom 24.08.2016
Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

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Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen die diskriminierende Preisgestaltung durch ein kommunales Freizeitbad

Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen die diskriminierende Preisgestaltung durch ein kommunales Freizeitbad

Beschluss vom 19. Juli 2016
2 BvR 470/08

Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts einer Verfassungsbeschwerde stattgegeben, die sich gegen die Preisgestaltung durch ein kommunales Freizeitbad richtete. Der aus Österreich stammende Beschwerdeführer hatte mit seiner Verfassungsbeschwerde vornehmlich eine Benachteiligung gerügt, da er als Besucher des Freizeitbads den regulären Eintrittspreis zu entrichten hatte, während die Einwohner der umliegenden Betreibergemeinden einen verringerten Eintrittspreis bezahlten.

Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer ist österreichischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Österreich. Bei einem Besuch eines von mehreren Gemeinden und einem Landkreis betriebenen Freizeitbades im Bertechsgadener Land musste er den regulären Eintrittspreis entrichten, während den Einwohnern dieser Gemeinden ein Nachlass auf den regulären Eintrittspreis von etwa einem Drittel gewährt wurde. Der Beschwerdeführer erhob Klage zum Amtsgericht und forderte wegen unzulässiger Benachteiligung die Rückzahlung des Differenzbetrags und die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet sei, dem Kläger den Eintritt künftig zu dem ermäßigten Entgelt zu gewähren. Das Amtsgericht wies die Klage ab; die gegen das Urteil eingelegte Berufung war ebenfalls erfolglos. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) und eine Verletzung seines Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) durch Unterlassung einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

1. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG.

a) Das Bundesverfassungsgericht überprüft die fachgerichtliche Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts grundsätzlich nur darauf, ob sie willkürlich ist oder auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von Bedeutung und Tragweite eines Grundrechts beruht oder mit anderen verfassungsrechtlichen Vorschriften unvereinbar ist.

b) Die Annahme der Fachgerichte, die Grundrechte des Beschwerdeführers seien vorliegend nicht anwendbar oder jedenfalls nicht verletzt, lässt sich unter keinem Blickwinkel nachvollziehen.

aa) Die unmittelbare Bindung der öffentlichen Gewalt an die Grundrechte hängt weder von der Organisationsform ab noch von der Handlungsform. Das gilt auch dann, wenn der Staat oder andere Träger öffentlicher Gewalt auf privatrechtliche Organisationsformen zurückgreifen. In diesen Fällen trifft die Grundrechtsbindung nicht nur die dahinterstehende Körperschaft des öffentlichen Rechts, sondern auch unmittelbar die juristische Person des Privatrechts selbst. Unerheblich ist auch, ob die für den Staat oder andere Träger öffentlicher Gewalt handelnde Einheit „spezifische“ Verwaltungsaufgaben wahrnimmt, ob sie erwerbswirtschaftlich oder zur reinen Bedarfsdeckung tätig wird („fiskalisches“ Handeln) und welchen sonstigen Zweck sie verfolgt.

Vor diesem Hintergrund besteht an der unmittelbaren und uneingeschränkten Bindung der Beklagten des Ausgangsverfahrens an die Grundrechte kein Zweifel. Sie ist ein öffentliches Unternehmen, dessen einzige Gesellschafterin eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist, die sich ihrerseits auf einen Landkreis und fünf Gemeinden stützt.

bb) Es ist auch nicht zu erkennen, dass die Auffassung der Fachgerichte im Ergebnis hinzunehmen sein könnte, weil die in Rede stehende Ungleichbehandlung gerechtfertigt wäre. Zwar ist es Gemeinden nicht von vornherein verwehrt, ihre Einwohner bevorzugt zu behandeln. Die darin liegende Ungleichbehandlung Auswärtiger muss aber durch hinreichende Sachgründe gerechtfertigt sein. Verfolgt eine Gemeinde das Ziel, knappe Ressourcen auf den eigenen Aufgabenbereich zu beschränken, Gemeindeangehörigen einen Ausgleich für besondere Belastungen zu gewähren oder Auswärtige für einen erhöhten Aufwand in Anspruch zu nehmen, oder sollen die kulturellen und sozialen Belange der örtlichen Gemeinschaft dadurch gefördert und der kommunale Zusammenhalt dadurch gestärkt werden, dass Einheimischen besondere Vorteile gewährt werden, kann dies mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar sein. Das Bad der Beklagten ist jedoch auf Überregionalität angelegt, soll Auswärtige ansprechen und gerade nicht kommunale Aufgaben im engeren Sinne erfüllen.

c) Das Urteil des Oberlandesgerichts verletzt Art. 3 Abs. 1 GG in dessen Ausprägung als Willkürverbot ferner dadurch, dass es Art. 49 EGV (Art. 56 AEUV) mit Blick auf das darin enthaltene Diskriminierungsverbot nicht als Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB ansieht. Diese Annahme lässt sich unter keinem erdenklichen Gesichtspunkt begründen.

2. Darüber hinaus verletzt das Urteil des Oberlandesgerichts den Beschwerdeführer auch in seinem Recht aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.

a) Die nationalen Gerichte sind von Amts wegen gehalten, den Gerichtshof der Europäischen Union anzurufen, wenn die Voraussetzungen des Art. 267 Abs. 3 AEUV vorliegen. Sie verletzen das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG), wenn die Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsregel des Art. 267 Abs. 3 AEUV bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist.

b) Das Oberlandesgericht hat seine Vorlagepflicht offensichtlich unhaltbar gehandhabt, weil es sich hinsichtlich des materiellen Unionsrechts nicht hinreichend kundig gemacht hat. Dies gilt zunächst für den Umgang des Oberlandesgerichts mit der Frage, ob die Beklagte als öffentliches Unternehmen unmittelbar an die Grundfreiheiten gebunden ist. Angesichts der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Bindungswirkung des Diskriminierungsverbots und der Grundfreiheiten für vom Staat beherrschte Unternehmen liegt die Annahme einer unmittelbaren Bindung der Beklagten an die in Rede stehenden Vorgaben des Unionsrechts nahe. Ferner hat der Gerichtshof der Europäischen Union zu Entgeltsystemen für die Nutzung kultureller Einrichtungen, die Gemeindeeinwohner bevorzugen, festgestellt, dass wirtschaftliche Ziele die darin liegende Beschränkung der Grundfreiheiten nicht rechtfertigen könnten und dass auch steuerrechtliche Gründe nur dann anzuerkennen seien, wenn ein spezifischer Zusammenhang zwischen der Besteuerung und den Tarifvorteilen bestehe.

Nr. 58/2016 vom 23. August 2016
Quelle: Bundesverfassungsgericht, Pressestelle

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