Bezeichnung als „durchgeknallte Frau“ kann ehrverletzend sein

Bezeichnung als „durchgeknallte Frau“ kann ehrverletzend sein

Die Bezeichnung als „durchgeknallte Frau“ kann, abhängig vom Kontext, eine ehrverletzende Äußerung sein, die nicht mehr vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt ist. Dies hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts in einem heute veröffentlichten Beschluss entschieden. Damit gab sie der Verfassungsbeschwerde einer ehemaligen Landrätin und Landtagsabgeordneten teilweise statt, die sich gegen einzelne Äußerungen im Beitrag eines Online-Mediums gewandt hatte.

Sachverhalt und Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin ist ehemalige Landrätin und war bis September 2013 Mitglied des
Bayerischen Landtags. Ende 2006 posierte sie für ein Gesellschaftsmagazin, das die Fotostrecke in einer ihrer Ausgaben veröffentlichte. Dies nahm die Beklagte des Ausgangsverfahrens zum Anlass, auf ihrer Internetseite einen Text zu veröffentlichen, der u. a. die folgende Passage enthält:

„Ich sage es Ihnen: Sie sind die frustrierteste Frau, die ich kenne. Ihre Hormone sind dermaßen durcheinander, dass Sie nicht mehr wissen, was wer was ist. Liebe, Sehnsucht, Orgasmus, Feminismus, Vernunft. Sie sind eine durchgeknallte Frau, aber schieben Sie Ihren Zustand nicht auf uns Männer.“

Die Beschwerdeführerin sieht sich in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt und begehrt von der Beklagten die Unterlassung verschiedener Einzeläußerungen, u. a. der Bezeichnung als „durchgeknallte Frau“, sowie eine angemessene Geldentschädigung. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen das klagabweisende Urteil des Oberlandesgerichts.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Die angegriffene Entscheidung verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit  Art. 1 Abs. 1 GG. Soweit sie die Äußerung unbeanstandet lässt, die Beschwerdeführerin sei eine „durchgeknallte Frau“, hält sich dies nicht mehr im fachgerichtlichen Wertungsrahmen. Die Entscheidung wird insoweit
aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

1. Die Bezeichnung der Beschwerdeführerin als „durchgeknallte Frau“ beeinträchtigt sie in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht findet seine Schranken gemäß Art. 2 Abs. 1 GG in der verfassungsmäßigen Ordnung einschließlich der Rechte anderer. Zu diesen Rechten gehört auch die Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Die Gerichte haben die betroffenen unterschiedlichen Interessen und das Ausmaß ihrer Beeinträchtigung zu erfassen. Die sich gegenüberstehenden Positionen sind in Ansehung der konkreten Umstände des Einzelfalls in ein Verhältnis zu bringen, das ihnen jeweils angemessen Rechnung trägt.

2. Das Oberlandesgericht misst dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Beschwerdeführerin ein zu schwaches Gewicht bei. Es übersieht die persönliche Ehre als in Art. 5 Abs. 2 GG ausdrücklich genannte Schranke.

Wenn die Beschwerdeführerin von der Beklagten die Unterlassung der Äußerung begehrt, sie sei eine „durchgeknallte Frau“, so wendet sie sich gegen diese Äußerung als Zusammenfassung des vorangegangenen Absatzes. Hierin verschiebt die Beklagte die öffentliche Auseinandersetzung um die Person der Beschwerdeführerin hin zu rein spekulativen Behauptungen über den Kern ihrer Persönlichkeit als Privatperson. Sie stützt diese Spekulationen auf Beurteilungen, die thematisch den innersten Intimbereich betreffen, ohne dass sie irgendeinen Tatsachenkern hätten. Sie knüpfen zwar an das Verhalten der Beschwerdeführerin an, die für ein Gesellschaftsmagazin posierte und eine Serie von Fotos von sich fertigen ließ, weswegen sich die Beschwerdeführerin eine Auseinandersetzung
hiermit auch gefallen lassen muss. So bleibt es der Beklagten unbenommen, sich – auch zugespitzt und polemisch – zu dem Verhalten der Beschwerdeführerin zu äußern.

Die Folgerungen der Beklagten, die sie mit den Worten „durchgeknallte Frau“ zusammenfasst, haben jedoch als solche keinerlei Anknüpfungspunkt in dem Verhalten der Beschwerdeführerin. Die Beklagte zielt hier vielmehr bewusst darauf, die Beschwerdeführerin nicht nur als öffentliche Person und wegen ihres Verhaltens zu diskreditieren, sondern ihr provokativ und absichtlich verletzend jeden Achtungsanspruch gerade schon als private Person abzusprechen. Angesichts dessen kann sich die
Meinungsfreiheit nicht durchsetzen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass es sich vorliegend um einen bewusst geschriebenen und als Verletzung gewollten Text handelt, der nicht Ausdruck einer spontanen Äußerung im Zusammenhang einer emotionalen Auseinandersetzung ist.


 
Nr. 2/2013 vom 21. Januar 2014
Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

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Die Errichtung einer Mobilfunksendeanlage auf dem Haus einer Wohnungseigentümergemeinschaft bedarf der Zustimmung sämtlicher Wohnungseigentümer

Die Errichtung einer Mobilfunksendeanlage auf dem Haus einer Wohnungseigentümergemeinschaft bedarf der Zustimmung sämtlicher Wohnungseigentümer

Die Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft fassten 2010 mehrheitlich den Beschluss, einem Unternehmen die Aufstellung und den Betrieb einer Mobilfunkanlage auf dem Fahrstuhldach der Wohnungseigentumsanlage zu gestatten. Die Klägerin – ebenfalls Mitglied der Wohnungseigentümergemeinschaft – ist damit nicht einverstanden. Der von ihr gegen den Beschluss erhobenen Anfechtungsklage haben beide Vorinstanzen mit der Begründung stattgegeben, die Anbringung der Mobilfunkanlage sei eine bauliche Veränderung, die nach § 22 Abs. 1 i.V.m § 14 Nr. 1 WEG der Zustimmung sämtlicher Wohnungseigentümer bedurft hätte. Mit der Revision möchten die Beklagten die Abweisung der Klage erreichen.

Der u.a. für Wohnungseigentumssachen zuständige V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat die Revision zurückgewiesen und die Rechtsauffassung der Vorinstanzen mit der Erwägung bestätigt, dass auf der Grundlage des allgemeinkundigen wissenschaftlichen Streits um die von Mobilfunksendeanlagen ausgehenden Gefahren und der daraus resultierenden Befürchtungen zumindest die ernsthafte Möglichkeit einer Minderung des Miet- oder Verkaufswerts von Eigentumswohnungen besteht. Dies stellt eine Beeinträchtigung dar, die ein verständiger Wohnungseigentümer nicht zustimmungslos hinnehmen muss (§ 22 Abs. 1 i.V.m. § 14 Nr. 1 WEG).

Entgegen der Auffassung der Revision ist eine andere Beurteilung auch nicht mit Blick auf die Regelung des § 906 Abs. 1 Satz 2 BGB geboten. Danach besteht zwar im Verhältnis benachbarter Grundstückseigentümer eine Vermutung dafür, dass bestimmte Einwirkungen, zu denen auch Strahlenimmisionen gehören, unwesentlich und daher hinzunehmen sind, wenn die einschlägigen Grenz- und Richtwerte eingehalten werden. Nicht aber regelt die Norm den Konflikt unter Wohnungseigentümern darüber, wie mit dem Gemeinschaftseigentum umgegangen werden soll und ob hierzu bauliche Veränderungen mit all ihren Vorzügen und Nachteilen vorgenommen werden sollen. Der Rückgriff von § 22 Abs. 1 WEG auf den Maßstab des § 14 Nr. 1 WEG soll sicherstellen, dass das Recht jedes Wohnungseigentümers, auf Entscheidungen über bauliche Veränderungen durch das Zustimmungserfordernis maßgebend Einfluss zu nehmen (§ 903 BGB), grundsätzlich gewahrt bleibt. In diese Befugnis darf nur eingegriffen werden, soweit Wohnungseigentümer von der Maßnahme gar nicht oder nur ganz geringfügig betroffen sind. Für die Konkretisierung dieser spezifisch wohnungseigentumsrechtlichen Geringfügigkeit liefern die in § 906 Abs. 1 Satz 2 BGB genannten immissionsrechtlichen Grenz- und Richtwerte keinen brauchbaren Maßstab. Das gilt umso mehr, als das Zusammenleben in einer Wohnungseigentumsanlage – auch bei Entscheidungen über bauliche Veränderungen – ein stärkeres Maß an Rücksichtnahme verlangt.

* § 22 Abs. 1 WEG

Bauliche Veränderungen und Aufwendungen, die über die ordnungsmäßige Instandhaltung oder Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums hinausgehen, können beschlossen oder verlangt werden, wenn jeder Wohnungseigentümer zustimmt, dessen Rechte durch die Maßnahmen über das in § 14 Nr. 1 bestimmte Maß hinaus beeinträchtigt werden. Die Zustimmung ist nicht erforderlich, soweit die Rechte eines Wohnungseigentümers nicht in der in Satz 1 bezeichneten Weise beeinträchtigt werden.

* § 14 WEG

Jeder Wohnungseigentümer ist verpflichtet:

1. die im Sondereigentum stehenden Gebäudeteile so instand zu halten und von diesen sowie von dem gemeinschaftlichen Eigentum nur in solcher Weise Gebrauch zu machen, dass dadurch keinem der anderen Wohnungseigentümer über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus ein Nachteil erwächst; …

* § 903 Satz 1 BGB

Der Eigentümer einer Sache kann, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen.

* § 906 Abs. 1 BGB

Der Eigentümer eines Grundstücks kann die Zuführung von Gasen, Dämpfen, Gerüchen, Rauch, Ruß, Wärme, Geräusch, Erschütterungen und ähnliche von einem anderen Grundstück ausgehende Einwirkungen insoweit nicht verbieten, als die Einwirkung die Benutzung seines Grundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt. Eine unwesentliche Beeinträchtigung liegt in der Regel vor, wenn die in Gesetzen oder Rechtsverordnungen festgelegten Grenz- oder Richtwerte von den nach diesen Vorschriften ermittelten und bewerteten Einwirkungen nicht überschritten werden.

V ZR 48/13 – Urteil vom 24. Januar 2014

AG Aschaffenburg – Urteil vom 22. Dezember 2011 – 115 C 2751/10

LG Bamberg – Urteil vom 25. Januar 2013 – 2 S 5/12

Karlsruhe, den 24. Januar 2014

 

Nr. 014/2014 vom 24.01.2014

Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

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Zum Kündigungsrecht des Vermieters bei unerlaubter Untervermietung

Zum Kündigungsrecht des Vermieters bei unerlaubter Untervermietung

Der Bundesgerichtshof hat sich heute in einer Entscheidung mit der Frage befasst, ob der Vermieter ein Mietverhältnis kündigen kann, wenn er eine zuvor erteilte Untervermietungserlaubnis widerruft, der Untermieter die Wohnung aber nicht sogleich räumt.

Der Beklagte mietete von dem Rechtsvorgänger der Klägerin im Jahr 1994 eine Wohnung in Berlin. Im Mietvertrag heißt es: „Eine Untervermietung bis zu zwei Personen ist gestattet. Diese Untervermietungsgenehmigung kann widerrufen werden. Bei Aufgabe der Wohnung sind die Untermieter zum gleichen Zeitpunkt zu entfernen“.

Im Jahr 2010 erwarb die Klägerin das Eigentum an der Wohnung. Im Dezember 2011 widerrief sie die Untervermietungserlaubnis und kündigte zugleich das Mietverhältnis gegenüber dem Beklagten wegen unerlaubter Untervermietung fristlos. Zu diesem Zeitpunkt führte der Beklagte im Anschluss an eine von ihm ausgesprochene Kündigung bereits einen Räumungsprozess gegen seine Untermieter, denen er seit 2002 die Wohnung untervermietet hatte. Im Februar 2012 kündigte die Klägerin das Mietverhältnis erneut.

Das Amtsgericht hat die Räumungsklage der Klägerin abgewiesen, das Landgericht hat ihr stattgegeben. Die vom Bundesgerichtshof zugelassene Revision des Beklagten hatte Erfolg. Der unter anderem für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat hat entschieden, dass der Beklagte seine vertraglichen Pflichten aus dem Mietvertrag nicht verletzt hat und die Klägerin deshalb nicht gemäß § 543 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BGB* zur Kündigung des Mietverhältnisses berechtigt war. Dabei konnte offen bleiben, ob der Beklagte, wie das Berufungsgericht angenommen hat, angesichts des Widerrufs der Untervermietungserlaubnis verpflichtet war, das Untermietverhältnis zu beenden und für eine einen Auszug der Untermieter zu sorgen. Denn der Beklagte hat im Anschluss an seine Kündigung einen Räumungsprozess gegen die Untermieter betrieben und damit alle rechtlich zulässigen und erforderlichen Schritte unternommen, um eine Beendigung des Untermietverhältnisses und einen Auszug der Untermieter herbeizuführen. Der Beklagte hat seine vertraglichen Pflichten gegenüber der Klägerin auch nicht dadurch verletzt, dass er mit den Untermietern am 21. Februar/6. März 2012 einen Räumungsvergleich unter Bewilligung einer Räumungsfrist bis 30. Juni 2012 abschlossen hat. Denn mit der anderenfalls erforderlichen Fortsetzung des gerichtlichen Verfahrens hätte eine Räumung jedenfalls nicht deutlich früher erreicht werden können.

* § 543 BGB

(1) Jede Vertragspartei kann das Mietverhältnis aus wichtigem Grund kündigen. (…)

(2) Ein wichtiger Grund liegt insbesondere vor, wenn (…)

 

2. der Mieter die Rechte des Vermieters dadurch in erheblichem Maße verletzt, dass er die Mietsache (…) unbefugt einem Dritten überlässt.

Urteil vom 4. Dezember 2013 – VIII ZR 5/13

 

AG Berlin-Charlottenburg – Urteil vom 28. März 2012 – 212 C 188/11

LG Berlin – Urteil vom 14. Dezember 2012 – 65 S 176/12

Karlsruhe, den 4. Dezember 2013

 

Nr. 195/2013 vom 04.12.2013

Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

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Wirksamkeit eines mit einer Anwaltsempfehlung verbundenen Schadenfreiheitssystems mit variabler Selbstbeteiligung in der Rechtsschutzversicherung

Wirksamkeit eines mit einer Anwaltsempfehlung verbundenen Schadenfreiheitssystems mit variabler Selbstbeteiligung in der Rechtsschutzversicherung

Der für das Versicherungsvertragsrecht zuständige IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute entschieden, dass die durch §§ 127, 129 VVG, § 3 Abs. 3 BRAO gewährleistete freie Anwaltswahl finanziellen Anreizen eines Versicherers in Bezug auf eine Anwaltsempfehlung nicht entgegensteht, wenn die Entscheidung über die Auswahl des Rechtsanwalts beim Versicherungsnehmer liegt und die Grenze des unzulässigen psychischen Drucks nicht überschritten wird.

Die klagende Rechtsanwaltskammer verlangt von der Beklagten – einem Rechtsschutzversicherer – unter anderem, die Verwendung von Bestimmungen in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 2009) zu unterlassen, die ein Schadenfreiheitssystem mit variabler Selbstbeteiligung im Zusammenhang mit einer Anwaltsempfehlung betreffen. Die Bedingungen sehen eine Rückstufung von maximal 150 € pro Schadenfall vor, wobei diese durch Zeitablauf in den Folgejahren wieder ausgeglichen werden kann. Im Schadenfall unterbleibt allerdings diese Rückstufung – und damit in der Regel eine höhere Selbstbeteiligung beim nächsten Versicherungsfall -, wenn der Versicherungsnehmer einen Rechtsanwalt aus dem Kreis der aktuell vom Versicherer empfohlenen Rechtsanwälte beauftragt.

Das Landgericht hat die auf Unterlassung und Erstattung vorgerichtlicher Abmahnkosten gerichtete Klage abgewiesen, da die Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten das Recht des Versicherungsnehmers auf freie Anwaltswahl nicht verletzten und keine gravierende Einflussnahme auf seine Auswahlentscheidung vorliege. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht die Beklagte unter anderem dazu verurteilt, die Verwendung der streitgegenständlichen Bestimmungen in ihren Allgemeinen Versicherungsbedingungen zu unterlassen. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.

Mit dem heutigen Urteil hat der Bundesgerichtshof das Urteil des Oberlandesgerichts aufgehoben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts zurückgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass das Recht auf freie Anwaltswahl im Zuge der Umsetzung der Richtlinie des Rates vom 22. Juni 1987 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Rechtsschutzversicherung (87/344/EWG) im VVG verankert wurde und § 127 VVG deshalb richtlinienkonform auszulegen ist. Nach der maßgeblichen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs schließt die Freiheit der Anwaltswahl nicht jegliche Anreizsysteme des Versicherers in Bezug auf die vom Versicherungsnehmer zu treffende Entscheidung aus, welchen Anwalt er mandatiert. Die Grenze zur Verletzung des Rechts auf freie Anwaltswahl wird erst überschritten, wenn die Vertragsgestaltung einen unzulässigen psychischen Druck zur Mandatierung des vom Versicherer vorgeschlagenen Anwalts ausübt. Das ist bei den von der Beklagten verwendeten Versicherungsbedingungen nicht der Fall.

Das Berufungsgericht hat diese richtlinienkonforme Auslegung nicht berücksichtigt und infolgedessen das Recht auf freie Anwaltswahl aus § 127 VVG zu Unrecht als verletzt angesehen. Ebenso wenig wie § 127 VVG berührt das streitgegenständliche Schadenfreiheitssystem die durch § 3 Abs. 3 BRAO geschützte freie Anwaltswahl in rechtlich erheblicher Weise. Da auch andere Ansprüche – insbesondere wettbewerbsrechtliche, soweit sie Gegenstand des Verfahrens geworden sind – nicht durchgreifen, hat der Bundesgerichtshof das landgerichtliche Urteil wiederhergestellt.

IV ZR 215/12 – Urteil vom 4. Dezember 2013

Landgericht Bamberg – Urteil vom 8. November 2011 – 1 O 336/10

Oberlandesgericht Bamberg – Urteil vom 20. Juni 2012 – 3 U 236/11

Karlsruhe, den 4. Dezember 2013

Die maßgeblichen Normen lauten wie folgt:

Versicherungsvertragsgesetz

§ 127 Freie Anwaltswahl

(1) 1Der Versicherungsnehmer ist berechtigt, zu seiner Vertretung in Gerichts- und Verwaltungsverfahren den Rechtsanwalt, der seine Interessen wahrnehmen soll, aus dem Kreis der Rechtsanwälte, deren Vergütung der Versicherer nach dem Versicherungsvertrag trägt, frei zu wählen. 2Dies gilt auch, wenn der Versicherungsnehmer Rechtsschutz für die sonstige Wahrnehmung rechtlicher Interessen in Anspruch nehmen kann.

§ 129 Abweichende Vereinbarungen

Von den §§ 126 bis 128 kann nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers abgewichen werden.

Bundesrechtsanwaltsordnung

§ 3 Recht zur Beratung und Vertretung

(3) Jedermann hat im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften das Recht, sich in Rechtsangelegenheiten aller Art durch einen Rechtsanwalt seiner Wahl beraten und vor Gerichten, Schiedsgerichten oder Behörden vertreten zu lassen.

 

Nr. 196/2013 vom 04.12.2013

Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

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Bundesgerichtshof entscheidet zur Untervermietung an Touristen durch Wohnraummieter

Bundesgerichtshof entscheidet zur Untervermietung an Touristen durch Wohnraummieter

Der Bundesgerichtshof hat sich heute in einer Entscheidung mit der Frage befasst, ob eine Untervermietungserlaubnis einen Mieter zur Überlassung der Wohnung an Touristen berechtigt.  

Der Beklagte ist seit dem 1. März 2003 Mieter einer Zwei-Zimmer-Wohnung (42,85 qm) in Berlin. Die Kläger sind im Jahr 2011 als Vermieter in den Vertrag eingetreten. Im Jahr 2008 erbat der Beklagte von der damaligen Vermieterin die Erlaubnis zur Untervermietung, weil er die Wohnung nur etwa alle 14 Tage am Wochenende zu einem Besuch seiner Tochter nutze und er sie deshalb zeitweise untervermieten wolle. Die Vermieterin erteilte mit Schreiben vom am 13. Februar 2008 eine Erlaubnis zur Untervermietung „ohne vorherige Überprüfung“ gewünschter Untermieter. In dem Schreiben heißt es weiter: „Sie verpflichten sich, Ihren Untermietern Postvollmacht zu erteilen. Das bedeutet, dass alle Willenserklärungen, Betriebskostenabrechnungen, Mieterhöhungsverlangen etc. (…) als ordnungsgemäß zugestellt gelten, wenn sie in Ihrem Briefkasten (…) landen, auch wenn sie vielleicht durch Ihre Untermieter nicht an Sie weitergegeben sein sollten.“

Im Mai 2011 bot der Beklagte die Wohnung im Internet zur tageweisen Anmietung von bis zu vier Feriengästen an. Die Kläger beanstandeten eine derartige Nutzung als vertragswidrig und mahnten den Beklagten mit Schreiben vom 16. Mai 2011 unter Androhung einer Kündigung ab. Der Beklagte erwiderte, die Vermietung an Touristen sei von der erteilten Untervermietungserlaubnis umfasst; er wolle lediglich eine Deckung der Unkosten durch Leerstand erreichen und betrachte damit die Abmahnung als gegenstandslos. Die Kläger mahnten ihn daraufhin nochmals ab. Im November 2011 und August 2012 war das Internetangebot des Beklagten erneut im Internet abrufbar. Die Kläger kündigten das Mietverhältnis daraufhin am 12. Januar 2012, am 5. Dezember 2012 sowie mit Klageerhebung fristlos und hilfsweise fristgemäß. Der Beklagte hat sich im Prozess unter Beweisantritt darauf berufen, dass er die Vermietung an Touristen nach der Abmahnung unverzüglich eingestellt und die Internetanzeigen gelöscht habe.

Das Amtsgericht hat der Räumungsklage stattgegeben, das Landgericht hat sie unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils abgewiesen. Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Kläger hatte Erfolg. Der unter anderem für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass der Beklagte nicht zur Untervermietung an Touristen berechtigt war und die Klage deshalb nicht mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung abgewiesen werden kann. Das Berufungsgericht hat bei der Auslegung der Untervermietungserlaubnis rechtsfehlerhaft außer Acht gelassen, dass die Überlassung der Wohnung an beliebige Touristen sich von einer gewöhnlich auf gewisse Dauer angelegten Untervermietung unterscheidet und deshalb nicht ohne weiteres von einer Erlaubnis zur Untervermietung umfasst ist. Hier hatte die Vermieterin zudem verlangt, dass der Beklagte den Untermietern Postvollmacht erteilen solle; schon daraus war erkennbar, dass sich die Erlaubnis nicht auf die Vermietung an Touristen bezog, die eine derartige Funktion offensichtlich nicht wahrnehmen konnten.  

Die nicht entscheidungsreife Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen worden.

Urteil vom 8. Januar 2014 – VIII ZR 210/13

AG Berlin -Tempelhof – Kreuzberg – Urteil vom 6. September 2012 – 8 C 67/12

LG Berlin – Urteil vom 19. Juni 2013 – 65 S 449/12  

Karlsruhe, den 8. Januar 2014
 

 

Nr. 004/2014 vom 08.01.2014

Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

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Bundesgerichtshof zur Bindung des Reiseveranstalters an „vorläufige Flugzeiten“

Bundesgerichtshof zur Bindung des Reiseveranstalters an „vorläufige Flugzeiten“

Der für das Reise- und Personenbeförderungsrecht zuständige X. Zivilsenat hat zwei Klauseln in allgemeinen Reisebedingungen betreffend die Festlegung von Flugzeiten und die Verbindlichkeit von Informationen des Reisebüros über Flugzeiten für unwirksam erachtet.

Der Kläger ist der bundesweit tätige Dachverband der Verbraucherzentralen der Bundesländer. Die Beklagte ist eine Reiseveranstalterin. Sie verwendet „Ausführliche Reisebedingungen“, die u.a. folgende Regelungen enthalten:

„Die endgültige Festlegung der Flugzeiten obliegt dem Veranstalter mit den Reiseunterlagen. Informationen über Flugzeiten durch Reisebüros sind unverbindlich.“

Der Kläger hält diese Klauseln für unwirksam.

Das Landgericht hat der Beklagten nur die Verwendung der ersten Klausel untersagt. Das Berufungsgericht hat beide Klauseln für unwirksam gehalten und ihre Verwendung verboten.

Der Bundesgerichtshof hat die dagegen gerichtete Revision der Beklagten zurückgewiesen.

Die angegriffenen Klauseln unterliegen der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 3 Satz 1* BGB. Sie benachteiligen den Reisenden entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen und sind gemäß § 308 Nr. 4** und § 307 Abs. 1 Satz 1* BGB unwirksam.

Die erste Klausel modifiziert das Hauptleistungsversprechen des Reisevertrags nicht nur dann, wenn feste Flugzeiten vereinbart wurden, sondern auch dann, wenn im Vertrag nur vorläufige Flugzeiten genannt sind. Nach allgemeinen Grundsätzen der Vertragsauslegung sind „voraussichtliche“ Flugzeiten zwar nicht unter allen Umständen exakt einzuhalten. Der Reisende darf aber berechtigterweise erwarten, dass die Reisezeiten nicht ohne sachlichen Grund geändert werden und dass der aus den vorläufigen Angaben ersichtliche Zeitrahmen nicht vollständig aufgegeben wird. Andernfalls ergäbe auch die § 6 Abs. 2 Nr. 2 BGB-InfoV*** vorgeschriebene Information des Reisenden über diese Zeiten keinen Sinn und würde der hiermit angestrebte Verbraucherschutz verfehlt. Demgegenüber ermöglicht die beanstandete Klausel dem Reiseveranstalter, die Flugzeiten beliebig und unabhängig davon zu ändern, ob hierfür ein sachlicher Grund vorliegt. Dies ist dem Reisenden, der berechtigterweise Sicherheit in der zeitlichen Planung der Reise erwartet, auch bei Beachtung der berechtigten Interessen des Reiseveranstalters, die vorgesehenen Flugzeiten veränderten oder bei Vertragsschluss nicht vorhersehbaren Gegebenheiten anpassen zu können, nicht zuzumuten.

Die zweite Klausel ermöglicht dem Reiseveranstalter, sich einer vertraglichen Bindung, die durch eine Information eines für ihn tätigen Reisebüros eintritt, zu entziehen. Darin liegt ebenfalls eine unangemessene Benachteiligung des Reisenden.

Urteil vom 10. Dezember 2013 – X ZR 24/13

LG Hannover – Urteil vom 13. März 2012 – 18 O 79/11

OLG Celle – Urteil vom 7. Februar 2013 – 11 U 82/12

Karlsruhe, den 10. Dezember 2013

* § 307 BGB

(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.

(2) …

(3) Die Absätze 1 und 2 sowie die §§ 308 und 309 gelten nur für Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden.

** § 308 Nr. 4 BGB

In Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind insbesondere unwirksam…

die Vereinbarung eines Rechts des Verwenders, die versprochene Leistung zu ändern oder von ihr abzuweichen, wenn nicht die Vereinbarung der Änderung oder Abweichung unter Berücksichtigung der Interessen des Verwenders für den anderen Vertragsteil zumutbar ist.

*** § 6 Abs. 2 Nr. 2 BGB-InfoV

Die Reisebestätigung muss…folgende Angaben enthalten

Tag, voraussichtliche Zeit und Ort der Abreise und Rückkehr
 

 

Nr. 198/2013 vom 10.12.2013

Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

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Zur Unterbrechung der Stromversorgung bei Einwänden des Kunden gegen die erteilte Jahresrechnung

Zur Unterbrechung der Stromversorgung bei Einwänden des Kunden gegen die erteilte Jahresrechnung

Der Bundesgerichtshof hat sich heute in einer Entscheidung mit der Frage befasst, ob ein Versorgungsunternehmen die Stromversorgung wegen Zahlungsverzugs unterbrechen kann, wenn der Kunde die erteilte Jahresrechnung mit der Begründung nicht bezahlt, sie enthalte nicht gerechtfertigte Preiserhöhungen.

Der Kläger wird von der Beklagten seit August 2005 als Tarifkunde nach der Stromgrundversorgungsverordnung (StromGVV) mit Strom versorgt. Die Beklagte erhöhte jeweils zum Anfang der Jahre 2006, 2007 und 2008 ihre Preise. Auf die Jahresrechnung der Beklagten vom 7. November 2008 über 1.311,98 € für den Zeitraum bis zum 29. September 2008 leistete der Kläger zunächst keine Zahlungen. Die Beklagte mahnte mehrfach den Zahlungsrückstand unter gleichzeitiger Androhung der Unterbrechung der Stromversorgung an und ließ am 20. April 2009 die Stromsperre vollziehen. Der Kläger bestreitet die Richtigkeit und Angemessenheit der Abrechnung sowie eine Preisanpassungsberechtigung der Beklagten und macht die Unbilligkeit von in der Abrechnung enthaltenen Preiserhöhungen geltend. Er begehrt mit seiner Klage die Feststellung, dass die Androhung und Durchführung der Einstellung der Stromversorgung durch die Beklagte rechtswidrig gewesen ist.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Klägers hatte keinen Erfolg. Der unter anderem für das Kaufrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass die Beklagte gemäß § 19 Abs. 2 StromGVV* zur Unterbrechung der Stromversorgung berechtigt war. Der Kläger schuldete aus der Jahresrechnung – unabhängig von den streitigen Preiserhöhungen, die bei der Berechnung des Zahlungsrückstandes außer Betracht bleiben (§ 19 Abs. 2 Satz 4 bis 6 StromGVV) – bereits aufgrund des bei Vertragsschluss vereinbarten Anfangspreises zumindest einen Betrag von 1.005,48 €. Diese Teilforderung ist auch fällig geworden und rechtfertigte – auch unter Berücksichtigung späterer Zahlungen des Klägers – die Unterbrechung der Stromversorgung. Ohne Erfolg macht die Revision geltend, dass der Kläger auch die Billigkeit der Anfangspreise in Abrede gestellt habe. Denn bei den bei Vertragsbeginn verlangten, allgemein bekannt gemachten Preisen handelt es sich um vereinbarte Preise, die keiner Billigkeitskontrolle unterliegen.

* § 19 StromGVV – Unterbrechung der Versorgung

(1) ….

(2) Bei anderen Zuwiderhandlungen, insbesondere bei der Nichterfüllung einer Zahlungsverpflichtung trotz Mahnung, ist der Grundversorger berechtigt, die Grundversorgung vier Wochen nach Androhung unterbrechen zu lassen und den zuständigen Netzbetreiber nach § 24 Abs. 3 der Niederspannungsanschlussverordnung mit der Unterbrechung der Grundversorgung zu beauftragen. Dies gilt nicht, wenn die Folgen der Unterbrechung außer Verhältnis zur Schwere der Zuwiderhandlung stehen oder der Kunde darlegt, dass hinreichende Aussicht besteht, dass er seinen Verpflichtungen nachkommt. Der Grundversorger kann mit der Mahnung zugleich die Unterbrechung der Grundversorgung androhen, sofern dies nicht außer Verhältnis zur Schwere der Zuwiderhandlung steht. Wegen Zahlungsverzuges darf der Grundversorger eine Unterbrechung unter den in den Sätzen 1 bis 3 genannten Voraussetzungen nur durchführen lassen, wenn der Kunde nach Abzug etwaiger Anzahlungen mit Zahlungsverpflichtungen von mindestens 100 Euro in Verzug ist. Bei der Berechnung der Höhe des Betrages nach Satz 4 bleiben diejenigen nicht titulierten Forderungen außer Betracht, die der Kunde form- und fristgerecht sowie schlüssig begründet beanstandet hat. Ferner bleiben diejenigen Rückstände außer Betracht, die wegen einer Vereinbarung zwischen Versorger und Kunde noch nicht fällig sind oder die aus einer streitigen und noch nicht rechtskräftig entschiedenen Preiserhöhung des Grundversorgers resultieren.

Urteil vom 11. Dezember 2013 – VIII ZR 41/13

LG Dortmund – Urteil vom 27. Januar 2011 – 13 O 46/09

OLG Hamm – Urteil vom 18. Januar 2013 – I-19 U 53/11

Karlsruhe, den 11. Dezember 2013

Nr. 201/2013 vom 11.12.2013

Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

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Bundesgerichtshof zur Zulässigkeit einer Kopplung von Gewinnspiel und Warenabsatz

Der unter anderem für das Wettbewerbsrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute über eine Fernsehwerbung für ein Gewinnspiel entschieden, an dem nur Käufer teilnehmen konnten, die das beworbene Produkt zuvor erworben hatten.

Die Parteien sind Hersteller von Lakritz und Fruchtgummi. Die Beklagte warb ab Februar 2011 im Fernsehen mit „GLÜCKS-WOCHEN“. Beim Kauf von fünf Packungen zum Preis von etwa je 1 € und Einsendung der Kassenbons bestand die Chance, bei einer Verlosung einen von 100 „Goldbärenbarren“ im Wert von jeweils 5.000 € zu gewinnen. In dem Werbespot traf der Fernsehmoderator Thomas Gottschalk im Supermarkt auf zwei Familien mit Kindern.

Die Klägerin hält die Werbung für wettbewerbswidrig, weil sie die geschäftliche Unerfahrenheit von Kindern und Jugendlichen ausnutze. Sie hat die Beklagte deshalb auf Unterlassung in Anspruch genommen.

Die Klage hatte in den Vorinstanzen Erfolg. Nach Ansicht des Berufungsgerichts stellt die Gewinnspielkopplung aufgrund der Umstände des Einzelfalls eine unlautere Geschäftspraktik dar. Dabei sei der strengere Sorgfaltsmaßstab des § 3 Abs. 2 Satz 3 UWG* zugrunde zu legen und auf die Sicht von Kindern und Jugendlichen abzustellen, die durch die Werbung zu einem Kauf über Bedarf veranlasst werden könnten. Der Bundesgerichtshof hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Gewinnspielkopplungen können nach § 4 Nr. 6 UWG** im Einzelfall verboten sein, wenn sie gegen die berufliche Sorgfalt verstoßen. Nach Auffassung des Bundes-gerichtshofs gilt für die Beurteilung des Gewinnspiels im Streitfall nicht der Sorgfaltsmaßstab des § 3 Abs. 2 Satz 3 UWG, da die beanstandete Werbung voraussichtlich und vorhersehbar nicht allein das geschäftliche Verhalten von Kindern und Jugendlichen wesentlich beeinflussen konnte. Die Produkte der Beklagten sind bei Kindern und Erwachsenen gleichermaßen beliebt. Ein an den Absatz dieser Produkte gekoppeltes Gewinnspiel ist daher voraussehbar geeignet, auch das Einkaufsverhalten von Erwachsenen zu beeinflussen. Daher ist für die Beurteilung des Streitfalls das Verständnis eines durchschnittlichen Verbrauchers maßgeblich.

Auf dieser Grundlage verstößt die beanstandete Fernsehwerbung nicht gegen die berufliche Sorgfalt. Die Kosten der Gewinnspielteilnahme werden deutlich. Es werden auch keine unzutreffenden Gewinnchancen suggeriert.

Der Fernsehspot der Beklagten verstößt auch nicht gegen die speziell dem Schutz von Kindern und Jugendlichen dienenden Vorschriften des Wettbewerbsrechts. Er enthält keine unmittelbare Kaufaufforderung an Kinder (Nr. 28 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG). Er ist auch nicht geeignet, die geschäftliche Unerfahrenheit Minder-jähriger in unlauterer Weise auszunutzen (§ 4 Nr. 2 UWG).

Urteil vom 12. Dezember 2013 – I ZR 192/12 – GLÜCKS-WOCHEN

LG Köln – Urteil vom 8. Februar 2012 – 84 O 215/11

OLG Köln – Urteil vom 21. September 2012 – 6 U 53/12,

GRUR-RR 2013, 168 = WRP 2013, 92

Karlsruhe, den 12. Dezember 2013

*§ 3 UWG lautet:

(2) Geschäftliche Handlungen gegenüber Verbrauchern sind jedenfalls dann unzulässig, wenn sie nicht der für den Unternehmer geltenden fachlichen Sorgfalt entsprechen und dazu geeignet sind, die Fähigkeit des Verbrauchers, sich auf Grund von Informationen zu entscheiden, spürbar zu beeinträchtigen und ihn damit zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Dabei ist auf den durchschnittlichen Verbraucher oder, wenn sich die geschäftliche Handlung an eine bestimmte Gruppe von Verbrauchern wendet, auf ein durchschnittliches Mitglied dieser Gruppe abzustellen. Auf die Sicht eines durchschnittlichen Mitglieds einer auf Grund von geistigen oder körperlichen Gebrechen, Alter oder Leichtgläubigkeit besonders schutzbedürftigen und eindeutig identifizierbaren Gruppe von Verbrauchern ist abzustellen, wenn für den Unternehmer vorhersehbar ist, dass seine geschäftliche Handlung nur diese Gruppe betrifft.

** § 4 UWG lautet

6.Unlauter handelt insbesondere, wer die Teilnahme von Verbrauchern an einem Preisausschreiben oder Gewinnspiel von dem Erwerb einer Ware oder der Inanspruchnahme einer Dienstleistung abhängig macht, es sei denn, das Preisausschreiben oder Gewinnspiel ist naturgemäß mit der Ware oder der Dienstleistung verbunden;

 

 

Nr. 205/2013 vom 12.12.2013

Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

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Bundesgerichtshof entscheidet über eine Entgeltklausel für die Nacherstellung von Kontoauszügen

Der u.a. für das Bankrecht zuständige XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat die Unwirksamkeit einer Entgeltklausel für die Nacherstellung von Kontoauszügen gegenüber Verbrauchern bestätigt.

Der klagende Verbraucherschutzverband nimmt die beklagte Bank auf Unterlassung der Verwendung folgender Klausel in ihrem Preis- und Leistungsverzeichnis gegenüber Verbrauchern in Anspruch:

„Nacherstellung von KontoauszügenPro Auszug15,00 EUR“.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht hat ihr auf die Berufung des Klägers stattgegeben. Der XI. Zivilsenat hat die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der beklagten Bank zurückgewiesen.

Die Klausel, die nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB* der Inhaltskontrolle unterliegt, ist nach § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam. Sie wird den Vorgaben des § 675d Abs. 3 Satz 2 BGB** nicht gerecht, demzufolge das Entgelt für die Nacherstellung von Kontoauszügen unter anderem in dem hier gegebenen Fall von § 675d Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BGB an den tatsächlichen Kosten der Bank ausgerichtet sein muss.

Die beklagte Bank hat vorgetragen, für die Nacherstellung von Kontoauszügen, die in mehr als 80% der Fälle Vorgänge beträfen, die bis zu sechs Monate zurückreichten, fielen aufgrund der internen Gestaltung der elektronischen Datenhaltung Kosten in Höhe von (lediglich) 10,24 € an. In den übrigen Fällen, in denen Zweitschriften für Vorgänge beansprucht würden, die länger als sechs Monate zurücklägen, entstünden dagegen deutlich höhere Kosten.

Damit hat sie selbst bei der Bemessung der tatsächlichen Kosten eine Differenzierung zwischen Kunden, die eine Nacherstellung vor Ablauf der Sechsmonatsfrist begehren, und solchen, die nach Ablauf der Sechsmonatsfrist eine erneute Information beanspruchen, eingeführt und belegt, dass ihr eine Unterscheidung nach diesen Nutzergruppen ohne weiteres möglich ist. Sie hat weiter, ohne dass es im Einzelnen auf die Einwände des klagenden Verbraucherschutzverbandes gegen die Kostenberechnung ankam, dargelegt, dass die weit überwiegende Zahl der Kunden deutlich geringere Kosten verursacht als von ihr veranschlagt. Entsprechend muss sie das Entgelt im Sinne des § 675d Abs. 3 Satz 2 BGB für jede Gruppe gesondert bestimmen. Die pauschale Überwälzung von Kosten in Höhe von 15 € pro Kontoauszug auf alle Kunden verstößt gegen § 675d Abs. 3 Satz 2 BGB.

Der XI. Zivilsenat hat überdies entschieden, dass die inhaltlich sowie ihrer sprachlichen Fassung nach nicht teilbare Klausel nicht teilweise aufrechterhalten werden kann. Das widerspräche dem in ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannten Verbot der geltungserhaltenden Reduktion.

Urteil vom 17. Dezember 2013 – XI ZR 66/13

OLG Frankfurt am Main – Urteil vom 23. Januar 2013 – 17 U 54/12

(veröffentlicht: ZIP 2013, 452)

LG Frankfurt am Main – Urteil vom 2. April 2012 – 2-19 O 409/11

Karlsruhe, den 17. Dezember 2013

* § 307 Inhaltskontrolle

(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.

(2) Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung

1.mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder

2.wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.

(3) Die Absätze 1 und 2 sowie die §§ 308 und 309 gelten nur für Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Andere Bestimmungen können nach Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 unwirksam sein.

** § 675d Unterrichtung bei Zahlungsdiensten

(…)

(3) Für die Unterrichtung darf der Zahlungsdienstleister mit dem Zahlungsdienstnutzer nur dann ein Entgelt vereinbaren, wenn die Information auf Verlangen des Zahlungsdienstnutzers erbracht wird und der Zahlungsdienstleister

1.diese Information häufiger erbringt, als in Artikel 248 §§ 1 bis 16 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche vorgesehen,

2. eine Information erbringt, die über die in Artikel 248 §§ 1 bis 16 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche vorgeschriebenen hinausgeht, oder

3.diese Information mithilfe anderer als der im Zahlungsdiensterahmenvertrag vereinbarten Kommunikationsmittel erbringt.

Das Entgelt muss angemessen und an den tatsächlichen Kosten des Zahlungsdienstleisters ausgerichtet sein.

(…)

Nr. 206/2013 vom 17.12.2013

Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

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