Kein Anspruch auf Auskunft über Anmeldedaten gegen den Betreiber eines Internetportals

Kein Anspruch auf Auskunft über Anmeldedaten gegen den Betreiber eines Internetportals

Der für das Recht der unerlaubten Handlung zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte darüber zu befinden, ob der in seinem Persönlichkeitsrecht Verletzte von dem Betreiber eines Internetportals Auskunft über die bei ihm hinterlegten Anmeldedaten des Verletzers beanspruchen kann.

Der Kläger, ein frei praktizierender Arzt, machte einen Auskunftsanspruch gegen die Beklagte geltend. Diese ist Betreiberin eines Internetportals, das Bewertungen von Ärzten ermöglicht.

Im November 2011 entdeckte der Kläger auf der Internetseite der Beklagten eine Bewertung, in der über ihn verschiedene unwahre Behauptungen aufgestellt wurden. Im Juni 2012 wurden weitere, den Kläger betreffende Bewertungen mit unwahren Tatsachenbehauptungen veröffentlicht. Auf sein Verlangen hin wurden die Bewertungen jeweils von der Beklagten gelöscht. Am 4. Juli 2012 erschien (jedenfalls) bis November 2012 erneut eine Bewertung mit den von dem Kläger bereits beanstandeten Inhalten.

Das Landgericht hat die Beklagte zur Unterlassung der Verbreitung der vom Kläger beanstandeten Behauptungen und zur Auskunft über Name und Anschrift des Verfassers der Bewertung vom 4. Juli 2012 verurteilt. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg. Das Oberlandesgericht hat einen Auskunftsanspruch des Klägers gegen die Beklagte wegen der bei ihr hinterlegten Anmeldedaten des Verletzers gemäß §§ 242, 259, 260 BGB bejaht. § 13 Abs. 6 Satz 1 TMG*, wonach ein Diensteanbieter die Nutzung von Telemedien anonym oder unter Pseudonym zu ermöglichen hat, soweit dies technisch möglich und zumutbar ist, schließe den allgemeinen Auskunftsanspruch nicht aus.  

Mit der vom Oberlandesgericht beschränkt auf den Auskunftsanspruch zugelassenen Revision verfolgte die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der Klage – im Umfang der Zulassung – weiter.

Die Revision hatte Erfolg. Der Bundesgerichtshof hat die Klage auf Auskunftserteilung abgewiesen.

Der Betreiber eines Internetportals ist in Ermangelung einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage im Sinne des § 12 Abs. 2 TMG grundsätzlich nicht befugt, ohne Einwilligung des Nutzers dessen personenbezogene Daten zur Erfüllung eines Auskunftsanspruchs wegen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung an den Betroffenen zu übermitteln.

Nach dem Gebot der engen Zweckbindung des § 12 Abs. 2 TMG dürfen für die Bereitstellung von Telemedien erhobene personenbezogene Daten für andere Zwecke nur verwendet werden, soweit eine Rechtsvorschrift dies erlaubt oder der Nutzer – was hier nicht in Rede stand – eingewilligt hat. Ein Verwenden im Sinne des  § 12 Abs. 2 TMG stellt auch eine Übermittlung an Dritte dar. Eine Erlaubnis durch Rechtsvorschrift kommt außerhalb des Telemediengesetzes nach dem Gesetzeswortlaut lediglich dann in Betracht, wenn sich eine solche Vorschrift ausdrücklich auf Telemedien bezieht. Eine solche Vorschrift hat der Gesetzgeber bisher – bewusst – nicht geschaffen.

Dem durch persönlichkeitsrechtsverletzende Inhalte einer Internetseite Betroffenen kann allerdings ein Unterlassungsanspruch gegen den Diensteanbieter zustehen (vgl.  Senatsurteil vom 25. Oktober 2011 – VI ZR 93/10, BGHZ 191, 219), den das Oberlandesgericht im Streitfall auch bejaht hat. Darüber hinaus darf der Diensteanbieter nach § 14 Abs. 2, § 15 Abs. 5 Satz 4 Telemediengesetz (TMG) auf Anordnung der zuständigen Stellen im Einzelfall Auskunft über Bestands-, Nutzungs- und Abrechnungsdaten erteilen, soweit dies u. a. für Zwecke der Strafverfolgung erforderlich ist.

Urteil vom 1. Juli 2014 – VI ZR 345/13

 

LG Stuttgart – Urteil vom 11. Januar 2013 – 11 O 172/12

OLG Stuttgart – Urteil vom 26. Juni 2013 – 4 U 28/13

Karlsruhe, den 1. Juli 2014


 
Nr. 102/2014 vom 01.07.2014

Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

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Zur Wirksamkeit einer Restwertgarantie in Verbraucher-Leasingverträgen

Zur Wirksamkeit einer Restwertgarantie in Verbraucher-Leasingverträgen

Der Bundesgerichtshof hat sich heute in zwei Entscheidungen mit der Wirksamkeit von Restwertklauseln, die in Leasingverträgen gegenüber Verbrauchern verwendet wurden, sowie mit der Umsatzsteuerpflicht der zum Ausgleich des Restwertes erfolgenden Zahlung des Kunden befasst.

In dem Verfahren VIII ZR 179/13 schloss das klagende Leasingunternehmen mit der Beklagten einen „Privat-Leasing-Vertrag“ über einen Pkw. In der dem Vertrag zugrunde liegenden „PrivatLeasing-Bestellung“ der Beklagten findet sich in der Mitte des von der Klägerin verwendeten Formulars unter der Überschrift „Vereinbarungen (Vertragsabrechnung, Individualabrede)“ folgende Regelung:

„Nach Zahlung sämtlicher Leasingraten und einer eventuellen Sonderzahlung verbleibt zum Vertragsende ein Betrag von EUR 19.455,48 (einschl. USt), der durch die Fahrzeugverwertung zu tilgen ist (Restwert). Reicht dazu der vom Leasing-Geber beim Kfz-Handel tatsächlich erzielte Gebrauchtwagenerlös nicht aus, garantiert der Leasingnehmer dem Leasing-Geber den Ausgleich des Differenzbetrages (einschl. USt.). (…) Die Kalkulation erfolgt auf Basis einer jährlichen Fahrleistung vom 15.000 km. Die Gebrauchtwagenabrechnung erfolgt unabhängig von den gefahrenen Kilometern.“

Nach Ablauf der Leasingzeit gab die Beklagte das Fahrzeug an die Klägerin zurück, die es zum Preis von 12.047,89 € brutto verwertete. Den Restbetrag von 7.305,48 € brutto (6.139,06 € zzgl. 1.166,42 € USt) beansprucht die Klägerin aus der genannten Restwertgarantie. Die auf Zahlung dieses Restbetrages gerichtete Klage hat in den Vorinstanzen nur hinsichtlich des darin enthaltenen Nettobetrages vom 6.139,06 € Erfolg gehabt. Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Klägerin hatte Erfolg.

Dem Verfahren VIII ZR 241/13 liegt ebenfalls ein zwischen der klagenden Leasinggesellschaft und der dortigen Beklagten unter Verwendung des gleichen Vertragsformulars „PrivatLeasing-Bestellung“ abgeschlossener Leasingvertrag über einen Pkw zu Grunde. Der am Vertragsende zu tilgende Betrag (Restwertgarantie) war hier mit 44.694,71 einschließlich der Mehrwertsteuer beziffert. Nach Ablauf der Vertragslaufzeit verwertete die Klägerin das Fahrzeug hier für 26.210 € zuzüglich Umsatzsteuer. Den Restbetrag vom 14.660,72 € (12.319,93 € nebst Umsatzsteuer) beansprucht die Klägerin aus der Restwertgarantie. Die auf Zahlung dieses Betrages gerichtete Klage hatte in der ersten Instanz mit Ausnahme der Umsatzsteuer Erfolg. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht die Beklagte auch zur Zahlung der Umsatzsteuer verurteilt; die Berufung der Beklagten hat es zurückgewiesen. Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision hatte keinen Erfolg.

Der unter anderem für das Leasingrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass die Formularklausel über die Restwertgarantie wirksam ist und die beklagten Leasingnehmerinnen deshalb zum Restwertausgleich sowie zur Entrichtung von Umsatzsteuer auf den Differenzbetrag zwischen dem kalkulierten Restwert und dem erzielten Verwertungserlös verpflichtet sind.

Eine Verpflichtung des Leasingnehmers zum sogenannten Restwertausgleich ist wegen des – einem Finanzierungsleasingvertrag tragend zugrunde liegenden – Vollamortisationsprinzips (Ersatz aller Aufwendungen des Leasinggebers einschließlich eines kalkulierten Gewinns) auch in der hier vereinbarten Form einer Restwertgarantie leasingtypisch und als solche rechtlich unbedenklich.

Auch ein juristisch nicht vorgebildeter Durchschnittskunde kann nach dem Text der Klausel nicht davon ausgehen, dass der Aufwand der Klägerin, den sie sich vom Leasingnehmer vergüten lässt, durch die Zahlung der Leasingraten abgegolten ist und er darüber hinaus keine Leistungen erbringen muss. Bereits im Eingangssatz der Klausel wird vielmehr deutlich zum Ausdruck gebracht, dass der Klägerin neben der Zahlung der Leasingraten und einer etwaigen Sonderzahlung auch noch der bezifferte Restwert zusteht, der möglichst – wenn auch nicht notwendigerweise und auch nicht regelmäßig – durch die Fahrzeugverwertung gedeckt werden solle, im Übrigen aber vom Leasingkunden zu zahlen ist.

Aus dem zweiten Satz der Klausel ergibt sich, dass eine vollständige Abdeckung des kalkulierten Restwerts durch die vorgesehene Fahrzeugverwertung ungewiss ist. Mit der weiteren Formulierung, dass der Leasingnehmer den Ausgleich des Differenzbetrages „garantiert“, wenn der Erlös aus der Fahrzeugverwertung den als Restwert genannten Betrag nicht erreicht, wird dem Leasingnehmer die eingegangene Verpflichtung unmissverständlich vor Augen geführt.

Der Leasingkunde kann deshalb gerade nicht davon ausgehen, dass es sich bei dem als Restwert genannten Betrag um den Fahrzeugerlös handelt, der nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge am Ende der Leasingzeit zu erwarten ist. Die Klausel ist in den hier vorliegenden Fällen weder überraschend im Sinne von § 305c Abs. 1 BGB* noch ist sie gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BGB** wegen eines Verstoßes gegen das Transparenzgebots unwirksam.

Weil es sich bei der Restwert-Ausgleichszahlung um einen Teil des Entgelts für die Gebrauchsüberlassung des Fahrzeugs und damit der Hauptleistungspflicht handelt, findet eine Inhaltskontrolle der Klausel (§ 307 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, §§ 308, 309 BGB) im Übrigen nicht statt. Als Teil des Entgelts für die Gebrauchsüberlassung unterliegt die Ausgleichszahlung gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG*** der Umsatzsteuerpflicht.

*§ 305c BGB Überraschende und mehrdeutige Klauseln

(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags, so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht, werden nicht Vertragsbestandteil.

** § 307 BGB Inhaltskontrolle

(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.

(2) Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung

1. mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder

2. wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.

(3) Die Absätze 1 und 2 sowie die §§ 308 und 309 gelten nur für Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Andere Bestimmungen können nach Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 unwirksam sein.

*** § 1 UStG Steuerbare Umsätze

(1) Der Umsatzsteuer unterliegen die folgenden Umsätze:

1. die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. Die Steuerbarkeit entfällt nicht, wenn der Umsatz auf Grund gesetzlicher oder behördlicher Anordnung ausgeführt wird oder nach gesetzlicher Vorschrift als ausgeführt gilt; (…)

§ 10 UStG Bemessungsgrundlage für Lieferungen, sonstige Leistungen und innergemeinschaftliche Erwerbe

(1) Der Umsatz wird bei Lieferungen und sonstigen Leistungen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1) (…) nach dem Entgelt bemessen. Entgelt ist alles, was der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten, jedoch abzüglich der Umsatzsteuer.

Urteil vom 28. Mai 2014 – VIII ZR 179/13

LG Düsseldorf, Urteil vom 2. August 2012 – 1 O 257/11

OLG Düsseldorf, Urteil vom 18 Juni 2013 – I-24 U 148/12

und

Urteil vom 28. Mai 2014 – VIII ZR 241/13

LG Saarbrücken – Urteil vom 10. Juli 2013 – 6 O 216/11

OLG Saarbrücken – Urteil vom 10. Juli 2013 – 2 U 35/13

Karlsruhe, den 28. Mai 2014

Nr. 086/2014 vom 28.05.2014

Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

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Zur fristlosen Kündigung des Vermieters im Anschluss an einen Streit mit dem Mieter

Zur fristlosen Kündigung des Vermieters im Anschluss an einen Streit mit dem Mieter

Der Beklagte ist seit Juli 2006 Mieter eines Hauses der Klägerin. Am 16. August 2012 suchte die Klägerin den Beklagten vereinbarungsgemäß auf, um zwischenzeitlich installierte Rauchmelder in Augenschein zu nehmen. Bei dieser Gelegenheit versuchte die Klägerin, das gesamte Haus zu inspizieren und gegen den Willen des Beklagten auch Zimmer zu betreten, die nicht mit Rauchmeldern versehen waren. Sie öffnete dabei ein Fenster und nahm Gegenstände von der Fensterbank. Der Aufforderung des Beklagten, das Haus zu verlassen, kam die Klägerin nicht nach. Daraufhin umfasste der Beklagte die Klägerin mit den Armen und trug sie aus dem Haus. Wegen dieses Vorfalls erklärte die Klägerin mit Schreiben vom 29. August 2012 die fristlose und hilfsweise die ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses.

Die von der Klägerin erhobene Räumungsklage ist vor dem Amtsgericht erfolglos geblieben. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landgericht das amtsgerichtliche Urteil aufgehoben und dem Räumungsantrag stattgegeben. Die vom Bundesgerichtshof zugelassene Revision des Beklagten hatte Erfolg und führte zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Der unter anderem für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat hat entschieden, dass die von der Klägerin erklärte Kündigung weder als fristlose Kündigung (§ 543 Abs. 1 BGB*) noch als ordentliche Kündigung (§ 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB*) wirksam ist. Die Parteien hatten verabredet, dass die Klägerin (lediglich) die Räume mit den angebrachten Rauchmeldern in Augenschein nehmen sollte. Zu einer weiteren eigenmächtigen Besichtigung war die Klägerin nicht berechtigt. Indem sie dies gleichwohl – gegen den Willen des Beklagten – durchzusetzen versuchte und seiner Aufforderung, das Haus zu verlassen, nicht nachkam, hat sie das Hausrecht des Beklagten verletzt. Sie trägt deshalb zumindest eine Mitschuld an dem nachfolgenden Geschehen, die das Berufungsgericht bei seiner Abwägung rechtsfehlerhaft nicht berücksichtigt hat. Da weitere Feststellungen nicht zu erwarten waren, hat der Senat unter Aufhebung des Berufungsurteils in der Sache selbst entschieden und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts zurückgewiesen.

Angesichts der Gesamtumstände, insbesondere des vorangegangenen pflichtwidrigen Verhaltens der Klägerin, stellt das mit der Kündigung beanstandete Verhalten des Beklagten – selbst wenn er damit, wie das Berufungsgericht angenommen hat, die Grenzen erlaubter Notwehr (geringfügig) überschritten haben sollte – jedenfalls keine derart gravierende Pflichtverletzung dar, dass der Klägerin deshalb die weitere Fortsetzung des Mietverhältnis nicht zugemutet werden könnte (§ 543 Abs. 1 Satz 2 BGB). Auch von einer Vertragsverletzung von einem Gewicht, das ein berechtigtes Interesse der Klägerin an der Beendigung des Mietvertrags rechtfertigt (§ 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB), kann unter diesen Umständen nicht ausgegangen werden.

* § 543 BGB Außerordentliche fristlose Kündigung aus wichtigem Grund

(1) Jede Partei kann das Mietverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich fristlos kündigen. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(…)

§ 573 BGB Ordentliche Kündigung des Vermieters

(1) Der Vermieter kann nur kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat. (…)

(2) Ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses liegt insbesondere vor, wenn

1. der Mieter seine vertraglichen Pflichten schuldhaft nicht unerheblich verletzt hat (…).

Urteil vom 4. Juni 2014 – VIII ZR 289/13

AG Bad Neuenahr-Ahrweiler – Urteil vom 24. April 2013 – 32 C 666/12

LG Koblenz – Urteil vom 19. September 2013 – 14 S 57/13

Karlsruhe, den 4. Juni 2014


 
Nr. 090/2014 vom 04.06.2014

Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

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Schadensersatzpflicht des Vermieters bei pflichtwidrig verweigerter Erlaubnis zur Untervermietung

Schadensersatzpflicht des Vermieters bei pflichtwidrig verweigerter Erlaubnis zur Untervermietung

Der Bundesgerichtshof hat sich heute in einer Entscheidung mit der Frage der Schadensersatzpflicht eines Vermieters befasst, der den Mietern einer Dreizimmerwohnung, die sich aus beruflichen Gründen mehrere Jahre im Ausland aufhielten, die Untervermietung zweier Zimmer versagt hatte.

Die Kläger sind seit 2001 Mieter einer Dreizimmerwohnung der Beklagten in Hamburg. Sie halten sich seit 15. November 2010 in Kanada auf, weil der Kläger zu 2 zum 1. Januar 2011 eine befristete mehrjährige Arbeitstätigkeit in Ottawa aufgenommen hat. Mit Schreiben vom 19. August 2010 unterrichteten sie die Hausverwaltung der Beklagten von ihrer Absicht, die Wohnung – mit Ausnahme eines von ihnen weiter genutzten Zimmers – ab dem 15. November 2010 voraussichtlich für zwei Jahre an eine namentlich benannte Interessentin unterzuvermieten, weil sie sich in dieser Zeit aus beruflichen Gründen regelmäßig im Ausland aufhalten würden. Die Beklagte verweigerte die Zustimmung zur Untervermietung. Mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts vom 4. Oktober 2011 wurde sie verurteilt, die Untervermietung der beiden vorderen Zimmer der Wohnung bis zum 31. Dezember 2012 an die von den Klägern benannte Interessentin zu gestatten.

Im vorliegenden Verfahren nehmen die Kläger die Beklagte auf Zahlung entgangener Untermiete im Zeitraum vom 15. November 2010 bis 30. Oktober 2011 in Höhe von insgesamt 7.475 € nebst Zinsen in Anspruch. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Die vom Landgericht zugelassene Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg.

Der unter anderem für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass den Klägern nach § 553 Abs. 1 BGB* ein Anspruch auf Gestattung der Untervermietung der zwei vorderen Zimmer der Mietwohnung an die Untermietinteressentin zustand. Indem die Beklagte die Zustimmung zur Untervermietung verweigert hat, hat sie schuldhaft eine mietvertragliche Pflicht verletzt und ist zum Ersatz des daraus entstandenen Schadens (Mietausfalls) verpflichtet.

Der Wunsch der Kläger, im Hinblick auf die (befristete) Arbeitstätigkeit des Klägers zu 2 im Ausland von berufsbedingt entstehenden Reise- und Wohnungskosten entlastet zu werden, stellt ein berechtigtes Interesse zur Untervermietung eines Teils der Wohnung dar. Dem Anspruch auf Gestattung der Untervermietung stand auch nicht entgegen, dass die Kläger nur ein Zimmer der Dreizimmerwohnung von der Untervermietung ausnahmen und auch dieses während ihres Auslandaufenthalts nur gelegentlich zu Übernachtungszwecken nutzen wollten. § 553 Abs. 1 BGB stellt weder quantitative Vorgaben hinsichtlich des beim Mieter verbleibenden Anteils des Wohnraums noch qualitative Anforderungen bezüglich seiner weiteren Nutzung durch den Mieter auf. Von einer „Überlassung eines Teils des Wohnraums an Dritte“ im Sinne des § 553 Abs. 1 BGB ist regelmäßig bereits dann auszugehen, wenn der Mieter den Gewahrsam an dem Wohnraum nicht vollständig aufgibt. Hierfür genügt es, wenn er ein Zimmer einer größeren Wohnung zurückbehält, um hierin Einrichtungsgegenstände zu lagern und/oder es gelegentlich zu Übernachtungszwecken zu nutzen.

Die Beklagte kann sich hinsichtlich der verweigerten Zustimmung zur Untervermietung nicht auf einen unverschuldeten Rechtsirrtum berufen. Dass die Frage, ob ein Mieter Anspruch auf Zustimmung zur Untervermietung hat, wenn er einen mehrjährigen Auslandsaufenthalt antritt, während dessen er den ihm verbleibenden Teil des Wohnraums nur sporadisch nutzen wird, bislang noch nicht Gegenstand einer höchstrichterlichen Entscheidung gewesen ist, entlastet die Beklagte nicht von ihrer rechtlichen Fehleinschätzung. Denn sie hätte sich mit Rücksicht auf eine insoweit bestehende Rechtsunsicherheit nicht der Möglichkeit verschließen dürfen, dass sie zur Erteilung der Erlaubnis verpflichtet war, und durfte das Risiko einer Fehleinschätzung nicht den Mietern zuweisen.

* § 553 BGB Gestattung der Gebrauchsüberlassung an Dritte

(1) Entsteht für den Mieter nach Abschluss des Mietvertrags ein berechtigtes Interesse, einen Teil des Wohnraums einem Dritten zum Gebrauche zu überlassen, so kann er von dem Vermieter die Erlaubnis hierzu verlangen. (…)

Urteil vom 11. Juni 2014 – VIII ZR 349/13

AG Hamburg – Urteil vom 6. Juni 2013 – 44 C 257/12

LG Hamburg – Urteil vom 26. November 2013 – 316 S 57/13

Karlsruhe, den 11. Juni 2014


 
Nr. 092/2014 vom 11.06.2014

Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

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Organklage der NPD gegen den Bundespräsidenten zurückgewiesen

Organklage der NPD gegen den Bundespräsidenten zurückgewiesen

Mit heute verkündetem Urteil hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts einen Antrag der NPD gegen den Bundespräsidenten wegen Äußerungen während der Zeit des Bundestagswahlkampfes 2013 zurückgewiesen. Wie der Bundespräsident seine Repräsentations- und Integrationsaufgaben mit Leben erfüllt, entscheidet der Amtsinhaber grundsätzlich selbst. Hierbei hat er die Verfassung und die Gesetze zu achten, darunter auch das Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit. Einzelne Äußerungen des Bundespräsidenten können jedoch gerichtlich nur dann beanstandet werden, wenn er mit ihnen unter evidenter Vernachlässigung seiner Integrationsaufgabe und damit
willkürlich Partei ergreift. Dies war vorliegend nicht der Fall.

Sachverhalt:

Im August 2013 nahm der Antragsgegner an einer Gesprächsrunde vor mehreren hundert Berufsschülern im Alter zwischen 18 und 25 Jahren in einem Schulzentrum in Berlin-Kreuzberg teil. In der unter dem Motto „22.09.2013 – Deine Stimme zählt!“ stehenden Veranstaltung wies der Antragsgegner unter anderem auf die Bedeutung von freien Wahlen für die Demokratie hin und forderte die Schülerinnen und Schüler zu sozialem und politischem Engagement auf. Auf die Frage einer Schülerin ging der Antragsgegner auch auf Ereignisse ein, die mit den Protesten von Mitgliedern und Unterstützern der Antragstellerin gegen ein Asylbewerberheim in Berlin-Hellersdorf in Zusammenhang standen. In der Presseberichterstattung über die Veranstaltung wurden die Aussagen des Antragsgegners zitiert: „Wir brauchen Bürger, die auf die Straße gehen und den Spinnern ihre Grenzen aufweisen. Dazu sind Sie alle aufgefordert“ und „Ich bin stolz, Präsident eines Landes zu sein, in dem die Bürger ihre Demokratie verteidigen“.

Wesentliche Erwägungen des Senats:

Die von der Antragstellerin angegriffenen Äußerungen des Antragsgegners sind von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden und verletzen daher die Antragstellerin nicht in ihrem Recht auf Wahrung der Chancengleichheit der politischen Parteien.

1. Der Bundespräsident repräsentiert Staat und Volk der Bundesrepublik Deutschland nach außen und innen und soll die Einheit des Staates verkörpern. Wie der Bundespräsident seine Repräsentations- und Integrationsaufgaben mit Leben erfüllt, entscheidet der Amtsinhaber grundsätzlich selbst. Besteht eine wesentliche Aufgabe des
Bundespräsidenten darin, durch sein öffentliches Auftreten die Einheit des Gemeinwesens sichtbar zu machen und diese Einheit mittels der Autorität des Amtes zu fördern, muss ihm insoweit ein weiter Gestaltungsspielraum zukommen. Der Bundespräsident kann den mit dem Amt verbundenen Erwartungen nur gerecht werden, wenn er auf
gesellschaftliche Entwicklungen und allgemeinpolitische Herausforderungen entsprechend seiner Einschätzung eingehen kann und dabei in der Wahl der Themen ebenso frei ist wie in der Entscheidung über die jeweils angemessene Kommunikationsform. Der Bundespräsident bedarf daher, auch soweit er auf Fehlentwicklungen hinweist oder vor
Gefahren warnt und dabei die von ihm als Verursacher ausgemachten Kreise oder Personen benennt, über die seinem Amt immanente Befugnis zu öffentlicher Äußerung hinaus keiner gesetzlichen Ermächtigung.

2. Das Handeln des Bundespräsidenten findet seine Grenzen in der Bindung an die Verfassung und die Gesetze. Zu den vom Bundespräsidenten zu achtenden Rechten gehört das Recht politischer Parteien auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 GG, soweit es um die Chancengleichheit bei Wahlen geht in Verbindung mit Art. 38 Abs. 1 GG oder Art. 28 Abs. 1 GG. Eine die Gleichheit ihrer Wettbewerbschancen beeinträchtigende Wirkung kann für eine Partei auch von der Kundgabe negativer Werturteile über ihre Ziele und Betätigungen ausgehen.

3. Die verfassungsgerichtliche Kontrolle von Äußerungen des Bundespräsidenten, die die Chancengleichheit der Parteien berühren, hat zu berücksichtigen, dass es ausschließlich Sache des Bundespräsidenten selbst ist, darüber zu befinden, wie er seine Amtsführung gestaltet und seine Integrationsfunktion wahrnimmt. Inwieweit er sich dabei am Leitbild eines „neutralen Bundespräsidenten“ orientiert, unterliegt weder generell noch im Einzelfall gerichtlicher Überprüfung. Andererseits widerspräche es rechtsstaatlichen Grundsätzen, wären politische Parteien, deren Recht auf Chancengleichheit ein wesentlicher Bestandteil der demokratischen Grundordnung ist, im Verhältnis zum Bundespräsidenten rechtsschutzlos gestellt. Vor diesem Hintergrund erscheint es geboten, aber auch ausreichend, negative Äußerungen des Bundespräsidenten über eine Partei gerichtlich daraufhin zu überprüfen, ob er mit ihnen unter evidenter Vernachlässigung seiner Integrationsfunktion und damit willkürlich Partei ergriffen hat.

4. Nach diesem Maßstab sind die von der Antragstellerin angegriffenen Äußerungen des Antragsgegners nicht zu beanstanden.

a) Soweit die Antragstellerin sich in ihren Rechten dadurch verletzt sieht, dass der Antragsgegner Proteste gegen die Antragstellerin in Berlin-Hellersdorf öffentlich unterstützt habe, bleibt der Antrag ohne Erfolg. Dass der Bundespräsident gewaltsame Proteste gegen die Antragstellerin unterstützt oder auch nur gutgeheißen hätte, lässt sich seinen Äußerungen bei der gebotenen objektiven Auslegung nicht entnehmen. Der Bundespräsident hat eingangs seiner Antwort ausdrücklich darauf hingewiesen, bereits das Abreißen von Plakaten sei nicht zu billigen. Es konnte daher kein Zweifel bestehen, dass er erst recht gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Antragstellerin ablehnte. Im
Weiteren hat er lediglich in der Sache auf die Meinungs- und Versammlungsfreiheit hingewiesen und zum politischen Meinungskampf aufgefordert. Hierzu war er befugt.

b) Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist auch die Verwendung des Wortes „Spinner“ im konkreten Zusammenhang. Der Antragsgegner hat damit über die Antragstellerin und ihre An-hänger und Unterstützer ein negatives Werturteil abgegeben, das isoliert betrachtet durchaus als diffamierend empfunden werden und auf eine unsachliche Ausgrenzung der so Bezeichneten hindeuten kann. Hier indes dient, wie sich aus dem Duktus der Äußerungen des Antragsgegners ergibt, die Bezeichnung als
„Spinner“ – neben derjenigen als „Ideologen“ und „Fanatiker“ – als Sammelbegriff für Menschen, die die Geschichte nicht verstanden haben und, unbeeindruckt von den verheerenden Folgen des Nationalsozialismus, rechtsradikale – nationalistische und antidemokratische – Überzeugungen vertreten. Die mit der Bezeichnung als „Spinner“ vorgenommene Zuspitzung sollte den Teilnehmern an der Veranstaltung nicht nur die Unbelehrbarkeit der so Angesprochenen verdeutlichen, sondern auch hervorheben, dass sie ihre Ideologie vergeblich durchzusetzen hofften, wenn die Bürger ihnen „ihre Grenzen aufweisen“. Indem der Antragsgegner, anknüpfend an die aus der Unrechtsherrschaft des Nationalsozialismus zu ziehenden Lehren, zu bürgerschaftlichem Engagement gegenüber politischen Ansichten, von denen seiner Auffassung nach Gefahren für die
freiheitliche demokratische Grundordnung ausgehen und die er von der Antragstellerin vertreten sieht, aufgerufen hat, hat er für die dem Grundgesetz entsprechende Form der Auseinandersetzung mit solchen Ansichten geworben und damit die ihm von Verfassungs wegen gesetzten Grenzen negativer öffentlicher Äußerungen über politische Parteien nicht überschritten.


 
Pressemitteilung Nr. 50/2014 vom 3. Juni 2014

Quelle: Bundesverfassungsgericht, Pressestelle

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Haftung bei einem teils schicksalhaft, teils behandlungsfehlerhaft verursachten Gesundheitsschaden

Haftung bei einem teils schicksalhaft, teils behandlungsfehlerhaft verursachten Gesundheitsschaden

Der Kläger erlitt im Zusammenhang mit seiner Geburt einen schweren Gesundheitsschaden. Deswegen nahm er den behandelnden Gynäkologen, die Hebamme, eine Kinderkrankenschwester und den Träger des Beleg-Krankenhauses auf Schadensersatz in Anspruch.

Im ersten Teil des Verfahrens erging zum Anspruchsgrund ein rechtskräftiges Grund- und Teilendurteil des Oberlandesgerichts. In diesem wurde festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche Schäden zu ersetzen, die dem Kläger „anlässlich und aufgrund der Behandlung durch die Beklagten nach seiner Geburt“ entstanden sind und noch entstehen werden. Im vorliegenden Verfahrensabschnitt ging es um die Höhe des dem Kläger zustehenden Schadensersatzes. Das Oberlandesgericht hat insoweit entschieden, dass sich aus dem vorangegangenen Grundurteil eine Bindungswirkung dahin ergebe, dass die Beklagten nur für die Schäden hafteten, die dem Kläger nach seiner Geburt entstanden seien. Insoweit sei der von den Beklagten verursachte Schadensanteil auf höchstens 20 % zu begrenzen.

Der u.a. für das Arzthaftungsrecht zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat die Revision des Klägers zurückgewiesen. In dem Grundurteil ist mit Bindungswirkung nur festgestellt worden, dass die Beklagten als Gesamtschuldner für die Gesundheitsschäden haften, die auf nachgeburtlichen Pflichtversäumnissen der Beklagten beruhen, die für die Gesundheitsverletzung des Klägers mitursächlich geworden sind. Das Berufungsgericht hat die Haftung der Beklagten auf dieser Grundlage rechtsfehlerfrei auf einen Haftungsanteil von 20 % begrenzt. Eine Mitursächlichkeit steht zwar haftungsrechtlich der Alleinursächlichkeit grundsätzlich in vollem Umfang gleich. Dies ist aber ausnahmsweise nicht der Fall, wenn feststeht, dass die Mitursächlichkeit nur zu einem abgrenzbaren Teil des Schadens geführt hat. Einen solchen abgrenzbaren Teil des Schadens hat das Berufungsgericht festgestellt. Die Beklagten haben danach den Nachweis erbracht, dass der größte Teil des Gesundheitsschadens nicht in dem Zeitraum entstanden ist, für den sie nach dem rechtskräftigen Grundurteil schadensersatzpflichtig sind, sondern zu diesem Zeitpunkt bereits vorhanden war. Während der Geburt war danach bereits ohne einen Behandlungsfehler ein irreparabler Gesundheitsschaden eingetreten, der durch Fehler bei der nachgeburtlichen Betreuung und Behandlung verstärkt wurde. Den während der Geburt schicksalhaft eingetretenen Gesundheitsschaden hat das Berufungsgericht nach sachverständiger Beratung mit einem abgrenzbaren Anteil von mindestens 80 % angenommen und demgemäß den Haftungsanteil der Beklagten rechtsfehlerfrei auf maximal 20 % beschränkt. Das Berufungsgericht konnte sich neben der Schätzung der Sachverständigen auf weitere konkrete Anhaltspunkte zur „medizinischen Unterscheidung der Schadensanteile“ stützen. Nach den Ausführungen der Sachverständigen wäre der Kläger auch bei der gebotenen unverzüglichen Verlegung nach der Geburt in die Kinderklinik auf jeden Fall ein Pflegefall gewesen und für den Arbeitsprozess nicht in Frage gekommen. Er wäre nicht in der Lage gewesen, ein selbständiges Leben zu führen. Die mentale Beeinträchtigung hätte in jedem Fall auch bestanden. Aufgrund dieser Umstände war die Annahme eines abgrenzbaren Teils des Gesundheitsschadens revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Urteil vom 20. Mai 2014 – VI ZR 187/13

LG Kempten – 3 O 2613/92 – Urteil vom 20. Januar 2011

OLG München – 24 U 671/11 – Urteil vom 28. März 2013

Karlsruhe, den 20. Mai 2014


 
Nr. 083/2014 vom 20.05.2014

Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

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Zur Begründung der Eigenbedarfskündigung

Zur Begründung der Eigenbedarfskündigung

Der Bundesgerichtshof hat sich heute in einer Entscheidung mit den Anforderungen an die Begründung einer Eigenbedarfskündigung des Vermieters befasst.

Die Beklagten sind seit dem Jahr 1999 Mieter einer 158 qm großen Wohnung der Kläger in Essen. Mit Schreiben vom 23. Oktober 2012 erklärten die Kläger die Kündigung des Mietverhältnisses mit der Begründung, ihre Tochter, die bisher eine 80 qm große Wohnung in der benachbarten Doppelhaushälfte bewohne, benötige die größere Wohnung der Beklagten, um dort mit ihrem Lebensgefährten einen gemeinsamen Hausstand zu begründen.

Das Amtsgericht hat der Räumungsklage stattgegeben, das Landgericht hat sie unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils abgewiesen.

Die vom Senat zugelassene Revision, mit der die Kläger die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils erstreben, hatte Erfolg. Der unter anderem für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass es nicht erforderlich war, den Lebensgefährten in dem Kündigungsschreiben namentlich zu benennen. Das Begründungserfordernis in § 573 Abs. 3 BGB* soll gewährleisten, dass der Kündigungsgrund derart konkretisiert ist, dass er von anderen Kündigungsgründen unterschieden werden kann. Diese Konkretisierung ermöglicht es dem Mieter, der die Kündigung nicht hinnehmen will, seine Verteidigung auf den angegebenen Kündigungsgrund auszurichten, denn eine Auswechselung des Kündigungsgrundes ist dem Vermieter verwehrt. Im Falle der Eigenbedarfskündigung genügt es, die Eigenbedarfsperson – hier die Tochter – identifizierbar zu benennen und das Interesse darzulegen, das diese an der Erlangung der Wohnung hat. Insoweit reicht die Angabe, dass die Tochter in die größere Wohnung der Beklagten ziehen wolle, um dort mit ihrem Lebensgefährten einen gemeinsamen Hausstand zu begründen.

* § 573 BGB

(3) Die Gründe für ein berechtigtes Interesse des Vermieters sind in dem Kündigungsschreiben anzugeben. (…)

Urteil vom 30. April 2014 – VIII ZR 107/13

AG Essen – Urteil vom 26. April 2013 – 19 C 459/13

LG Essen – Urteil vom 8. August 2013 – 10 S 244/13

Karlsruhe, den 30. April 2014


 
Nr. 072/2014 vom 30.04.2014

Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

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Gewerbetreibende haben Anspruch, kostenlos unter ihrer Geschäftsbezeichnung im Telefonbuch eingetragen zu werden

Gewerbetreibende haben Anspruch, kostenlos unter ihrer Geschäftsbezeichnung im Telefonbuch eingetragen zu werden

Der unter anderem für das Telekommunikationsrecht zuständige III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in drei heute verkündeten Urteilen entschieden, dass Gewerbetreibende verlangen können, kostenlos unter ihrer Geschäftsbezeichnung im Teilnehmerverzeichnis „Das Telefonbuch“ und seiner Internetausgabe „www.dastelefonbuch.de“ eingetragen zu werden.

In den drei Fällen hatten die Betreiber von Kundendienstbüros einer Versicherung von den Betreibern ihrer Telefonanschlüsse verlangt, sie ohne zusätzliche Kosten unter ihrer Geschäftsbezeichnung „X. (= Name der Versicherung) Kundendienstbüro Y.Z. (=Vorname und Nachname der Kläger)“ in den genannten Verzeichnissen eingetragen zu werden. Die Telefondienstanbieter waren demgegenüber der Ansicht, die Kläger hätten lediglich einen Anspruch darauf, einen kostenlosen Eintrag unter ihrem Nach- und Vornamen gefolgt von der Angabe „Versicherungen“ zu erhalten (= Z., Y., Versicherungen). Die gewünschte Eintragung beginnend mit dem Namen der Versicherung sei nur gegen einen Aufpreis möglich.

Der III. Zivilsenat hat entschieden, dass die Kläger gemäß § 45m Abs. 1 Satz 1 des Telekommunikationsgesetzes einen Anspruch auf den kostenlosen Eintrag unter ihrer Geschäftsbezeichnung haben. Zum „Namen“ im Sinne dieser Vorschrift zählt auch die Geschäftsbezeichnung, unter der ein Teilnehmer ein Gewerbe betreibt, für das der Telefonanschluss besteht. Denn diese Angabe ist erforderlich, um den Gewerbetreibenden, der als solcher – und nicht als Privatperson – den Anschluss unterhält, als Teilnehmer identifizieren zu können. Dies gilt nicht nur für juristische Personen, Kaufleute, die einen handelsrechtlichen Namen (Firma) führen oder in die Handwerksrolle eingetragene Handwerker, sondern auch für sonstige Gewerbetreibende, die eine Geschäftsbezeichnung führen. Es ist kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, beim Eintragungsanspruch des § 45m Abs. 1 Satz 1 TKG danach zu unterscheiden, ob ein Geschäftsname im Handelsregister oder in der Handwerksrolle eingetragen ist oder ob dies nur deswegen nicht der Fall ist, weil der Unternehmer weder ein Handelsgeschäft noch ein Handwerk betreibt. Entscheidend ist vielmehr, ob ein im Verkehr tatsächlich gebrauchter Geschäftsname besteht, dem für die Identifizierung des Gewerbetreibenden – in dieser Funktion – ein maßgebliches Gewicht zukommt.

Urteil vom 17. April 2014 – III ZR 87/13

OLG Köln – Az. 11 U 136/11 vom 13.02.2013

LG Bonn – Az. 13 O 66/11 vom 11.07.2011

und

Urteil vom 17. April 2014 – III ZR 182/13

OLG Düsseldorf – Az. I-20 U 34/12 vom 18.12.2012

LG Düsseldorf – Az. 2a O 203/11 vom 11.01.2012

Und

Urteil vom 17. April 2014 – III ZR 201/13

OLG Düsseldorf – Az. I-20 U 33/12 vom 29.01.2013

LG Düsseldorf – Az. 2a O 204/11 vom 11.01.2012

Karlsruhe, den 17. April 2014

 
Nr. 065/2014 vom 17.04.2014

Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

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Zur Erstattungsfähigkeit von Privatgutachterkosten zur Aufklärung der Verantwortlichkeit für Mängel einer Kaufsache

Zur Erstattungsfähigkeit von Privatgutachterkosten zur Aufklärung der Verantwortlichkeit für Mängel einer Kaufsache

Der Bundesgerichtshof hat sich heute in einer Entscheidung mit der Erstattungsfähigkeit von Privatgutachterkosten befasst, die zur Aufklärung der Verantwortlichkeit für Mängel einer Kaufsache aufgewandt worden sind.

Die Kläger kauften bei der Beklagten, die unter anderem mit Bodenbelägen handelt, Massivholzfertigparkett, das sie anschließend von einem Schreiner in ihrem Wohnhaus verlegen ließen. Der Schreiner ging nach einer von der Beklagten mitgelieferten Verlegeanleitung vor, die von der Streithelferin der Beklagten als der Herstellerin des Parketts stammte. Nach der Verlegung traten am Parkett Mängel (u.a. Verwölbungen) auf. Die Beklagte sah die Ursache nach Rücksprache mit der Streithelferin in einer zu geringen Raumfeuchtigkeit und wies die Mängelrüge der Kläger zurück. Die Kläger holten daraufhin ein Privatgutachten ein. Dieses kam zu dem Ergebnis, dass die Veränderungen des Parketts auf eine in diesem Fall ungeeignete, in der Verlegeanleitung aber als zulässig und möglich empfohlenen Art der Verlegung zurückzuführen seien. Hierauf gestützt begehrten die Kläger eine Minderung des Kaufpreises um 30 Prozent sowie Erstattung der Privatgutachterkosten.

Das Amtsgericht hat die Mängelrüge für berechtigt erachtet, der Klage aber nur hinsichtlich der geltend gemachten Minderung stattgegeben. Auf die Berufung der Kläger hat das Landgericht ihnen auch den Ersatz der Sachverständigenkosten zugesprochen.

Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Streithelferin der Beklagten, mit der sie die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils begehrt, hatte keinen Erfolg. Der unter anderem für das Kaufrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass den Klägern der vom Berufungsgericht bejahte verschuldensunabhängige Anspruch aus § 439 Abs. 2 BGB* auf Erstattung der Kosten des Privatgutachtens zusteht. Denn schon für § 476a BGB a.F., der dem § 439 Abs. 2 BGB als Vorbild gedient hat, hat der Bundesgerichtshof in der Vergangenheit mehrfach eine Erstattungsfähigkeit von Sachverständigenkosten zur Aufklärung der Verantwortlichkeit für Mängel bejaht. Auf dieses Normverständnis hat der Gesetzgeber für § 439 Abs. 2 BGB zurückgegriffen, so dass für die heutige Rechtslage nichts anderes gelten kann. Da die Aufwendungen ursprünglich „zum Zwecke der Nacherfüllung“ getätigt worden sind, ist es im Übrigen auch unschädlich ist, dass die Kläger nach Erstattung des Gutachtens schließlich erfolgreich zur Minderung übergangen sind. Denn ob derartige Aufwendungen anschließend tatsächlich zu einer (erfolgreichen) Nacherfüllung führen, ist für den zuvor bereits wirksam entstandenen Ersatzanspruch ohne Bedeutung, wenn der Mangel und die dafür bestehende Verantwortlichkeit des Verkäufers feststehen.

* § 439 BGB

(…) (2) Der Verkäufer hat die zum Zwecke der Nacherfüllung erforderlichen Aufwendungen, insbesondere Transport-, Wege-, Arbeits- und Materialkosten zu tragen. (…)

Urteil vom 30. April 2014 – VIII ZR 275/13

AG Andernach – Urteil vom 1. Februar 2013 – Az. 62 C 947/11

LG Koblenz – Urteil vom 20. August 2013 – Az. 6 S 58/13

Karlsruhe, den 30. April 2014


 
Nr. 071/2014 vom 30.04.2014

Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

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Unanwendbarkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. auf Lebens- und Rentenversicherungen und Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung

Unanwendbarkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. auf Lebens- und Rentenversicherungen und Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung

Der klagende Versicherungsnehmer begehrt Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge aus einer Rentenversicherung nach einem Widerspruch gemäß § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. und Schadensersatz wegen vorvertraglicher Aufklärungspflichtverletzung.

Er beantragte bei der Beklagten den Abschluss eines Rentenversicherungsvertrages mit Vertragsbeginn zum 1. Dezember 1998. Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen und die Verbraucherinformation erhielt er mit Übersendung des Versicherungsscheins. Dabei wurde er nicht ausreichend über sein Widerspruchsrecht belehrt. Von Dezember 1998 bis Dezember 2002 zahlte der Kläger Versicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 51.129,15 €. Nachdem er den Vertrag im Juni 2007 gekündigt hatte, kehrte ihm die Beklagte im September 2007 einen Rückkaufswert von 52.705,94 € aus. Mit Schreiben vom 31. März 2008 erklärte der Kläger den Widerspruch nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. gegenüber der Beklagten und forderte sie zur Rückzahlung aller Beiträge nebst Zinsen auf.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen, weil der Widerspruch gegen das Zustandekommen des Vertrages gemäß § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. verfristet gewesen sei. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Zahlungsanspruch weiter.

Der für das Versicherungsvertragsrecht zuständige IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat mit Beschluss vom 28. März 2012 (VersR 2012, 608) dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Vorabentscheidung die Frage vorgelegt, ob Art. 15 Abs. 1 Satz 1 der Zweiten Richtlinie Lebensversicherung unter Berücksichtigung des Art. 31 Abs. 1 der Dritten Richtlinie Lebensversicherung dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung wie in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. entgegensteht, nach der ein Rücktritts- oder Widerspruchsrecht spätestens ein Jahr nach Zahlung der ersten Versicherungsprämie erlischt, selbst wenn der Versicherungsnehmer nicht über das Recht zum Rücktritt oder Widerspruch belehrt worden ist.

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat mit Urteil vom 19. Dezember 2013 (VersR 2014, 225) die Vorlagefrage bejaht. Der IV. Zivilsenat hatte zu entscheiden, welche Folgerungen sich aus diesem Urteil für den Streitfall und vergleichbare Verfahren ergeben.

Bezüglich der Schadensersatzforderung ist die Revision als unzulässig verworfen worden, weil sie insoweit vom Berufungsgericht nicht zugelassen worden ist.

Soweit der Kläger einen Bereicherungsanspruch gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB geltend macht, hat der Senat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Kläger kann dem Grunde nach aus ungerechtfertigter Bereicherung Rückzahlung der an die Beklagte gezahlten Prämien verlangen, weil er diese rechtsgrundlos geleistet hat. Der zwischen den Parteien abgeschlossene Rentenversicherungsvertrag ist auf der Grundlage des § 5a VVG a.F. nicht wirksam zustande gekommen, weil der Kläger rechtzeitig den Widerspruch erklärt hat. Soweit er sich darauf beruft, das Policenmodell als solches sei europarechtswidrig, konnte der Senat offenlassen, ob sich ein Versicherungsnehmer, der ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrt worden ist und die Versicherungsbedingungen sowie eine Verbraucherinformation erhalten hat, darauf nach Durchführung des Vertrages noch berufen könnte. Jedenfalls wurde die 14-tägige Widerspruchsfrist gemäß § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. gegenüber dem Kläger nicht in Lauf gesetzt, da er nach den für das Revisionsverfahren bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts mit Übersendung des Versicherungsscheins nicht in drucktechnisch deutlicher Form i.S. von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. über sein Widerspruchsrecht belehrt wurde.

Nachdem der Kläger die erste von ihm geschuldete Prämie im Dezember 1998 gezahlt hatte, wäre gemäß § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sein Recht zum Widerspruch längst erloschen gewesen, als er diesen im März 2008 erklärte. Indes bestand sein Widerspruchsrecht nach Ablauf der Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort. Das ergibt sich aus einer richtlinienkonformen Auslegung des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union. Die Vorschrift weist eine verdeckte Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes auf. Sie steht in Widerspruch zu dem mit dem Gesetz verfolgten Grundanliegen, die Dritte Richtlinie Lebensversicherung ordnungsgemäß in deutsches Recht umzusetzen. Die Regelung ist richtlinienkonform dergestalt zu reduzieren, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon erfasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht, wenn der Versicherungsnehmer nicht ordnungsgemäß über sein Recht zum Widerspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat. Hingegen ist § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. für alle Versicherungsarten außerhalb des Bereichs der Richtlinien unverändert anwendbar.

Der Höhe nach umfasst der Bereicherungsanspruch des Klägers nicht uneingeschränkt alle Prämien, die er an die Beklagte gezahlt hat, ohne hierzu durch einen wirksamen Versicherungsvertrag verpflichtet gewesen zu sein. Im Rahmen einer gemeinschaftsrechtlich geforderten rechtsfortbildenden Auslegung einer nationalen Norm darf bei der Regelung der Rechtsfolgen des Widerspruchs nach nationalem Recht ein vernünftiger Ausgleich und eine gerechte Risikoverteilung zwischen den Beteiligten hergestellt werden. Der Versicherungsnehmer hat während der Prämienzahlung Versicherungsschutz genossen. Erlangter Versicherungsschutz ist ein Vermögensvorteil, dessen Wert zu ersetzen sein kann. Dieser kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden; bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung zukommen. Hierzu wird das Berufungsgericht noch Feststellungen zu treffen haben.

Urteil vom 7. Mai 2014 – IV ZR 76/11

OLG Stuttgart – Urteil vom 31. März 2011 – 7 U 147/10

LG Stuttgart – Urteil vom 13. Juli 2010 – 22 O 587/09

Karlsruhe, den 7. Mai 2014

Die maßgeblichen Normen lauten wie folgt:

Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

§ 812

(1) Wer durch Leistung eines anderen oder in sonstiger Weise auf dessen Kosten etwas ohne rechtlichen Grund erlangt, ist ihm zur Herausgabe verpflichtet. …

Versicherungsvertragsgesetz in der Fassung des Dritten Gesetzes zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 21. Juli 1994 (Drittes Durchführungsgesetz/EWG zum VAG)

§ 5a

(1) Hat der Versicherer dem Versicherungsnehmer bei Antragstellung die Versicherungsbedingungen nicht übergeben oder eine Verbraucherinformation nach § 10a des Versicherungsaufsichtsgesetzes unterlassen, so gilt der Vertrag auf der Grundlage des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der weiteren für den Vertragsinhalt maßgeblichen Verbraucherinformation als abgeschlossen, wenn der Versicherungsnehmer nicht innerhalb von vierzehn Tagen nach Überlassung der Unterlagen schriftlich widerspricht. …

(2) Der Lauf der Frist beginnt erst, wenn dem Versicherungsnehmer der Versicherungsschein und die Unterlagen nach Absatz 1 vollständig vorliegen und der Versicherungsnehmer bei Aushändigung des Versicherungsscheins schriftlich, in drucktechnisch deutlicher Form über das Widerspruchsrecht, den Fristbeginn und die Dauer belehrt worden ist. Der Nachweis über den Zugang der Unterlagen obliegt dem Versicherer. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs. Abweichend von Satz 1 erlischt das Recht zum Widerspruch jedoch ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie.

Zweite Richtlinie 90/619/EWG des Rates vom 8. November 1990 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) und zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs sowie zur Änderung der Richtlinie 79/267/EWG

Artikel 15

(1) Jeder Mitgliedstaat schreibt vor, dass der Versicherungsnehmer eines individuellen Lebensversicherungsvertrags, der in einem der in Titel III genannten Fälle geschlossen wird, von dem Zeitpunkt an, zu dem der Versicherungsnehmer davon in Kenntnis gesetzt wird, dass der Vertrag geschlossen ist, über eine Frist verfügt, die zwischen 14 und 30 Tagen betragen kann, um von dem Vertrag zurückzutreten.

Richtlinie 92/96/EWG des Rates vom 10. November 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) sowie zur Änderung der Richtlinien 79/267/EWG und 90/619/EWG (Dritte Richtlinie Lebensversicherung)

Artikel 31

(1) Vor Abschluss des Versicherungsvertrags sind dem Versicherungsnehmer mindestens die in Anhang II Buchstabe A aufgeführten Angaben mitzuteilen.


 
Nr. 078/2014 vom 07.05.2014

Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

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