„Abbruchjäger“ bei eBay: Klage scheitert bereits an Prozessführungsbefugnis

„Abbruchjäger“ bei eBay: Klage scheitert bereits an Prozessführungsbefugnis

Urteil vom 24. August 2016 – VIII ZR 182/15

Die Klägerin, eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, gestattete es dem Sohn ihres Verwalters (im Folgenden: H.), für sie ein Nutzerkonto auf der Internetplattform eBay einzurichten.

Im Januar 2012 bot der Beklagte bei eBay ein gebrauchtes Motorrad der Marke Yamaha im Wege einer zehntägigen Internetauktion mit einem Startpreis von 1 € zum Verkauf an. H. nahm das Angebot an, wobei er ein (Maximal-) Gebot in Höhe von 1.234,57 € abgab.

Als der Beklagte die Auktion wegen fälschlich eingetragener Artikelmerkmale bereits am ersten Tag abbrach, war H. der einzige Bieter geblieben. Kurz darauf stellte der Beklagte das Motorrad mit korrigierten Angaben erneut bei eBay ein.

Rund ein halbes Jahr später, im Juli 2012, forderte die Klägerin den Beklagten auf, ihr das Motorrad zum Preis von 1 € zu überlassen. Da er es zwischenzeitlich anderweitig veräußert hatte, verlangte die Klägerin mit der Behauptung, das Motorrad sei 4.900 € wert gewesen, Schadensersatz in Höhe von 4.899 €. Noch vor Zustellung der Klage trat die Klägerin ihre Ansprüche aus den vorgenommenen eBay-Geschäften unentgeltlich an H. ab.

Prozessverlauf:

Die Klage hat in erster Instanz zum Teil Erfolg gehabt. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landgericht die Klage insgesamt abgewiesen; die Berufung der Klägerin hat es zurückgewiesen.

Dabei ging das Berufungsgericht davon aus, dass die Klägerin unbeschadet der vor Klagezustellung erfolgten Abtretung der Forderung an H. berechtigt sei, die abgetretene Forderung weiter zu verfolgen (gewillkürte Prozessstandschaft).

Das Schadensersatzverlangen sei jedoch, wie sich aus den Gesamtumständen des vorliegenden Falles ergebe, rechtmissbräuchlich. Denn H. habe als „Abbruchjäger“ vor allem das Ziel verfolgt, im Fall eines vorzeitigen Auktionsabbruchs Schadensersatzansprüche geltend zu machen. Dazu hat das Berufungsgericht unter anderem ausgeführt: Allein im Sommer 2011 habe sich H., der damals unter mehreren eigenen Nutzerkonten bei eBay registriert gewesen sei, noch nicht hinter einem Nutzerkonto der Klägerin „versteckt“ und bei eBay Gebote in Höhe von 215.000 € abgegeben. Dabei habe er – jedes Mal unter Beantragung von Prozesskostenhilfe – vier Gerichtsverfahren eingeleitet. Zudem habe die Klägerin – in der Annahme, der Beklagte werde das Motorrad zwischenzeitlich anderweitig veräußern – mit der Geltendmachung von Forderungen mehr als ein halbes Jahr gewartet, bis sie ihn endlich gerichtlich in Anspruch genommen habe.

Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der unter anderem für das Kaufrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass die Klage mangels Prozessführungsbefugnis der Klägerin bereits als unzulässig abzuweisen ist.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt eine gewillkürte Prozessstandschaft – also die rechtsgeschäftliche Ermächtigung zur gerichtlichen Verfolgung eines fremden Rechts im eigenen Namen – stets auch ein eigenes schutzwürdiges Interesse des Ermächtigten an der Rechtsverfolgung voraus. Ein solches ist gegeben, wenn die Entscheidung Einfluss auf die eigene Rechtlage hat und kann auch wirtschaftlicher Natur sein. Vorliegend fehlt es jedoch an einem rechtsschutzwürdigen Interesse der Klägerin an der Prozessführung. Zwar kann auch der Verkäufer einer Forderung zur Vermeidung eigener Ersatzverpflichtungen ein eigenes berechtigtes Interesse daran haben, die abgetretene Forderung gerichtlich geltend zu machen. Vorliegend hat die Klägerin ihre Rechte aus dem eBay-Geschäft aber nicht verkauft, sondern unentgeltlich an H. übertragen.

Auf den vom Berufungsgericht als entscheidend angesehenen Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs kam es somit nicht mehr an. Der Senat hat allerdings zum Ausdruck gebracht, dass angesichts der Häufung aussagekräftiger Indizien ein Rechtsfehler des Berufungsgerichts nicht erkennbar sei.

Vorinstanzen:

LG Görlitz – Urteil vom 29. Juli 2015 – 2 S 213/14

AG Bautzen – Urteil vom 21. November 2014 – 20 C 701/12

Karlsruhe, den 24. August 2016

Nr. 143/2016 vom 24.08.2016
Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

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Die Gerichte müssen bei Nichterweislichkeit einer Tatsachenbehauptung eine Abwägungsentscheidung treffen

Die Gerichte müssen bei Nichterweislichkeit einer Tatsachenbehauptung eine Abwägungsentscheidung treffen

Beschluss vom 28. Juni 2016
1 BvR 3388/14

Ob Tatsachenbehauptungen verbreitet werden dürfen, die weder erweislich wahr noch unwahr sind, haben die Fachgerichte im Wege einer Abwägungsentscheidung zwischen Meinungsfreiheit und allgemeinem Persönlichkeitsrecht zu treffen. Das hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts auf eine Verfassungsbeschwerde hin entschieden. Dem Beschwerdeführer war von den Fachgerichten die Äußerung von Dopingvorwürfen gegen eine Sportlerin untersagt worden, weil diese Vorwürfe wegen Nichterweislichkeit als „prozessual unwahr“ einzuordnen seien und bereits deshalb das Persönlichkeitsrecht der Sportlerin überwöge. Dies beurteilte das Bundesverfassungsgericht als Verletzung der Meinungsfreiheit.

Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer hatte die Behauptung verbreitet, eine von ihm namentlich benannte Sportlerin – eine sowohl in der DDR als auch später in der BRD erfolgreiche Leichtathletin – habe im Alter von 13 Jahren von ihrem damaligen Trainer das Dopingmittel Oral-Turinabol verabreicht bekommen. Diese hatte daraufhin auf Unterlassung dieser Behauptung geklagt. Das Landgericht verurteilte den Beschwerdeführer antragsgemäß, das Oberlandesgericht bestätigte dies. Gegen diese Entscheidungen richtet sich die Verfassungsbeschwerde.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Die angegriffenen Urteile verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG).

1. Auslegung und Anwendung einfachen Rechts sind Sache der Fachgerichte und einer Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich entzogen. Bei Auslegung und Anwendung der einschlägigen einfach-rechtlichen Vorschriften müssen die zuständigen Gerichte allerdings die betroffenen Grundrechte interpretationsleitend berücksichtigen. Dies verlangt in der Regel eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange. Im Fall von Tatsachenbehauptungen, die weder erweislich wahr noch erwiesenermaßen unwahr sind, ist eine Abwägungsentscheidung zwischen Meinungsfreiheit und allgemeinem Persönlichkeitsrecht zu treffen. Jedenfalls in Fällen, in denen es um eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Angelegenheit geht, kann auch eine möglicherweise unwahre Behauptung solange nicht untersagt werden, wie zuvor hinreichend sorgfältig deren Wahrheitsgehalt recherchiert worden ist.

2. Mit diesen Anforderungen ist die unbedingte Verurteilung des Beschwerdeführers zur Unterlassung nicht vereinbar. Die Auffassung der Gerichte, die Behauptung des Beschwerdeführers, die Klägerin habe von ihrem damaligen Trainer das Dopingmittel Oral-Turinabol bekommen, habe wegen ihrer Nichterweislichkeit als „prozessual unwahr“ zu gelten, weshalb das Persönlichkeitsrecht der Klägerin überwiege, ist nicht tragfähig.

Sofern der Wahrheitsgehalt einer Tatsachenbehauptung nicht feststellbar ist, kann das Grundrecht der Meinungsfreiheit einem generellen Vorrang des Persönlichkeitsrechts entgegenstehen. Dabei dürfen die Fachgerichte einerseits im Interesse der Meinungsfreiheit keine Anforderungen an die Wahrheitspflicht stellen, die die Bereitschaft zum Gebrauch des Grundrechts herabsetzen. Andererseits haben sie zu berücksichtigen, dass die Wahrheitspflicht Ausdruck der aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht folgenden Schutzpflicht ist. Je schwerwiegender die aufgestellte Behauptung in das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen eingreift, desto höher sind die Anforderungen an die Erfüllung der Pflicht zur sorgfältigen Recherche. Der Umfang der Sorgfaltspflicht richtet sich nach dem jeweiligen Einzelfall und den Aufklärungsmöglichkeiten der Äußernden und ist für Äußerungen der Presse strenger als für Äußerungen von Privatpersonen. Im Fall äußerungsrechtlicher Unterlassungsbegehren kann die Wahrheitspflicht über die Verpflichtung hinausgehen, alle Nachforschungsmöglichkeiten auszuschöpfen. Wird offenbar, dass die Wahrheit einer persönlichkeitsverletzenden Behauptung sich nicht erweisen lässt, ist es zuzumuten, auch nach Abschluss umfassender Recherchen kenntlich zu machen, wenn verbreitete Behauptungen durch das Ergebnis eigener Nachforschungen nicht gedeckt sind oder kontrovers beurteilt werden.

Nr. 53/2016 vom 9. August 2016
Quelle: Bundesverfassungsgericht, Pressestelle

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Wahre Tatsachenbehauptungen über Vorgänge aus der Sozialsphäre sind grundsätzlich hinzunehmen

Wahre Tatsachenbehauptungen über Vorgänge aus der Sozialsphäre sind grundsätzlich hinzunehmen

Beschluss vom 29. Juni 2016
1 BvR 3487/14

Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts einer Verfassungsbeschwerde gegen eine zivilgerichtliche Verurteilung stattgegeben, mit der dem Beschwerdeführer die Behauptung wahrer Tatsachen über einen drei Jahre zurückliegenden Rechtsstreit auf Internet-Portalen untersagt worden war. Die Fachgerichte haben die Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit nicht hinreichend gewürdigt. Die Schwelle zur Persönlichkeitsrechtsverletzung wird bei der Mitteilung wahrer Tatsachen über die Sozialsphäre regelmäßig erst überschritten, wo sie einen Persönlichkeitsschaden befürchten lässt, der außer Verhältnis zu dem Interesse an der Verbreitung der Wahrheit steht.

Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer führte mit dem Kläger des Ausgangsverfahrens einen Rechtsstreit um Rückzahlungsansprüche aus einem gewerblichen Mietverhältnis. Der Kläger verpflichtete sich in einem Vergleich zur Zahlung von 1.100 € an den Beschwerdeführer. Nachdem der Beschwerdeführer das Ratenzahlungsangebot des Klägers abgelehnt hatte, erfolgte die vollständige Zahlung erst nach Stellung einer Strafanzeige und Erteilung eines Zwangsvollstreckungsauftrags. Drei Jahre später berichtete der Beschwerdeführer unter namentlicher Nennung des Klägers über diesen Vorgang auf Internet-Portalen, welche die Möglichkeit bieten, Firmen zu suchen und eine Bewertung abzugeben. Der Kläger begehrte im Ausgangsverfahren die Unterlassung dieser Äußerungen. Das Landgericht verurteilte den Beschwerdeführer antragsgemäß; das Oberlandesgericht wies die Berufung des Beschwerdeführers zurück. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seines Rechts auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG).

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.

1. Die Gerichte legen zunächst zutreffend dar, dass die Behauptung wahrer Tatsachen über die Sozialsphäre grundsätzlich hingenommen werden müsse. Die Schwelle zur Persönlichkeitsrechtsverletzung wird in diesen Fällen regelmäßig erst überschritten, wo sie einen Persönlichkeitsschaden befürchten lässt, der außer Verhältnis zu dem Interesse an der Verbreitung der Wahrheit steht. Die Gerichte gehen weiter zutreffend davon aus, dass auch die Nennung des Namens im Rahmen einer solchen der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglichen Bewertung das Persönlichkeitsrecht des Klägers berührt. Hierbei darf der Einbruch in die persönliche Sphäre nicht weiter gehen, als eine angemessene Befriedigung des Informationsinteresses dies erfordert. Die für den Genannten entstehenden Nachteile müssen im rechten Verhältnis zur Schwere des geschilderten Verhaltens oder der sonstigen Bedeutung für die Öffentlichkeit stehen.

2. Eine ausreichend schwere Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers zeigen die angegriffenen Entscheidungen nicht auf und begründen nicht in tragfähiger Weise, dass der Kläger die unbestritten wahren Äußerungen ausnahmsweise nicht hinnehmen muss. Sie lassen nicht erkennen, dass dem Kläger ein unverhältnismäßiger Verlust an sozialer Achtung droht. Auch die namentliche Nennung des Klägers, der seine Firma unter diesem Namen führt, steht nicht außer Verhältnis zum geschilderten Verhalten. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Gerichte hier ein öffentliches Informationsinteresse möglicher Kundinnen und Kunden des Klägers bejahen.

3. Soweit die Gerichte darauf abstellen, dass sich der Beschwerdeführer erst drei Jahre nach dem Rechtsstreit äußert, führt dies nicht zu einem Überwiegen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers. Es würde den Beschwerdeführer unverhältnismäßig in seiner Meinungsfreiheit einschränken, wenn er nach einer solchen Zeitspanne von ihm erlebte unstreitig wahre Tatsachen nicht mehr äußern dürfte.

Nr. 50/2016 vom 4. August 2016
Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

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Die falsche Einordnung einer Äußerung als Schmähkritik verkürzt den grundrechtlichen Schutz der MeinungsfreiheitDie falsche Einordnung einer Äußerung als Schmähkritik verkürzt den grundrechtlichen Schutz der Meinungsfreiheit

Die falsche Einordnung einer Äußerung als Schmähkritik verkürzt den grundrechtlichen Schutz der Meinungsfreiheit

Beschluss vom 29. Juni 2016
1 BvR 2646/15

Wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts ist der Begriff der Schmähkritik von Verfassungs wegen eng zu verstehen. Schmähkritik ist ein Sonderfall der Beleidigung, der nur in seltenen Ausnahmekonstellationen gegeben ist. Die Anforderungen hierfür sind besonders streng, weil bei einer Schmähkritik anders als sonst bei Beleidigungen keine Abwägung mit der Meinungsfreiheit stattfindet. Wird eine Äußerung unzutreffend als Schmähkritik eingestuft, liegt darin ein eigenständiger verfassungsrechtlicher Fehler, auch wenn die Äußerung im Ergebnis durchaus als Beleidigung bestraft werden darf. Dies hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts mit heute veröffentlichtem Beschluss entschieden und damit einer Verfassungsbeschwerde gegen die strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Beleidigung stattgegeben.

Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt und vertrat als Strafverteidiger den Beschuldigten in einem Ermittlungsverfahren wegen Veruntreuung von Spendengeldern. Nachdem gegen den Beschuldigten auf Antrag der Staatsanwaltschaft Haftbefehl erlassen worden war, kam es bei der Haftbefehlsverkündung zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen der mit dem Verfahren betrauten Staatsanwältin und dem Beschwerdeführer, der der Ansicht war, dass sein Mandant zu Unrecht verfolgt wurde. Am Abend desselben Tages meldete sich ein Journalist, der eine Reportage über den Beschuldigten plante, telefonisch beim Beschwerdeführer. Der Beschwerdeführer wollte mit dem ihm unbekannten Journalisten nicht sprechen. Auf dessen hartnäckiges Nachfragen und weil er immer noch verärgert über den Verlauf der Ermittlungen war, äußerte er sich dann doch über das Verfahren und bezeichnete im Laufe des Telefonats die mit dem Verfahren betraute Staatsanwältin unter anderem als „dahergelaufene Staatsanwältin“ und „durchgeknallte Staatsanwältin“.

Das Landgericht verurteilte den Beschwerdeführer wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 120 €. Die Revision des Beschwerdeführers war erfolglos. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer vornehmlich die Verletzung seines Grundrechts auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG).

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Die angegriffenen Entscheidungen verletzten den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.

1. Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit schützt nicht nur sachlich-differenzierte Äußerungen. Vielmehr darf Kritik auch pointiert, polemisch und überspitzt erfolgen. Einen Sonderfall bilden herabsetzenden Äußerungen, die sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen. In diesen Fällen ist ausnahmsweise keine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht notwendig, weil die Meinungsfreiheit regelmäßig hinter den Ehrenschutz zurücktritt. Diese für die Meinungsfreiheit einschneidende Folge gebietet es aber, hinsichtlich des Vorliegens von Formalbeleidigungen und Schmähkritik strenge Maßstäbe anzuwenden. Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit sind auch dann verkannt, wenn eine Äußerung unzutreffend als Schmähkritik eingestuft wird mit der Folge, dass sie dann nicht im selben Maß am Schutz des Grundrechts teilnimmt wie Äußerungen, die als Werturteil ohne beleidigenden oder schmähenden Charakter anzusehen sind.

2. Das Landgericht geht bei seiner Verurteilung ohne hinreichende Begründung vom Vorliegen einer Schmähkritik aus. Zwar sind die in Rede stehenden Äußerungen ausfallend scharf und beeinträchtigen die Ehre der Betroffenen. Die angegriffenen Entscheidungen legen aber nicht in einer den besonderen Anforderungen für die Annahme einer Schmähung entsprechenden Weise dar, dass ihr ehrbeeinträchtigender Gehalt von vornherein außerhalb jedes in einer Sachauseinandersetzung wurzelnden Verwendungskontextes stand. Es hätte insoweit näherer Darlegungen bedurft, dass sich die Äußerungen von dem Ermittlungsverfahren völlig gelöst hatten oder der Verfahrensbezug nur als mutwillig gesuchter Anlass oder Vorwand genutzt wurde, um die Staatsanwältin als solche zu diffamieren. So lange solche Feststellungen nicht tragfähig unter Ausschluss anderer Deutungsmöglichkeiten getroffen sind, hätte das Landgericht den Beschwerdeführer nicht wegen Beleidigung verurteilen dürfen, ohne eine Abwägung zwischen seiner Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht der Staatsanwältin vorzunehmen. An dieser fehlt es hier. Auch das Kammergericht hat diese nicht nachgeholt, denn es verweist lediglich auf eine „noch hinreichende“ Abwägung durch das Landgericht, die indes nicht stattgefunden hat.

3. Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auf diesem Fehler. Die Gerichte haben folglich erneut über die strafrechtliche Beurteilung der Äußerung nunmehr im Rahmen einer Abwägung zu entscheiden. Dabei ist freilich festzuhalten, dass ein Anwalt grundsätzlich nicht berechtigt ist, aus Verärgerung über von ihm als falsch angesehene Maßnahmen einer Staatsanwältin oder eines Staatsanwalts diese gerade gegenüber der Presse mit Beschimpfungen zu überziehen. Insoweit muss sich im Rahmen der Abwägung grundsätzlich das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Betroffenen durchsetzen. Die insoweit gebotene Abwägung ‑ die sich gegebenenfalls auch auf die Strafzumessung auswirkt ‑ obliegt jedoch den Fachgerichten.

Nr. 48/2016 vom 2. August 2016
Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

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BGH präzisiert Anforderungen an die Fristsetzung zur Nacherfüllung im Kaufrecht

BGH präzisiert Anforderungen an die Fristsetzung zur Nacherfüllung im Kaufrecht

Urteil vom 13. Juli 2016 – VIII ZR 49/15

Der Bundesgerichtshof hat sich heute in einer Entscheidung mit der Frage befasst, welche Anforderungen an die Fristsetzung zur Nacherfüllung gemäß § 323 Abs. 1 BGB und § 281 Abs. 1 Satz 1 BGB zu stellen sind.

Sachverhalt:

Die Klägerin bestellte bei der Beklagten, die ein Küchenstudio betreibt, eine Einbauküche zum Gesamtpreis von 82.913,24 € brutto. Die Küche wurde Mitte Januar 2009 im Haushalt der Klägerin eingebaut. Der Ehemann der Klägerin beanstandete in einem Gespräch mit dem Inhaber der Beklagten am 29. Januar oder 2. Februar 2009 mehrere Sachmängel der Einbauküche. Die Klägerin behauptet, ihr Ehemann habe „unverzügliche“ Beseitigung der gerügten Mängel verlangt.

Mit einer E-Mail vom 16. Februar 2009 äußerte die Klägerin die Bitte um schnelle Behebung von näher bezeichneten Mängeln, die sich zusätzlich bemerkbar gemacht hätten. Mit Schreiben vom 11. März 2009 listete die Klägerin alle ihr bekannten Mängel auf und verlangte, diese bis zum 27. März 2009 zu beheben. Nach Behauptung der Klägerin habe der Inhaber der Beklagten ihr daraufhin am 16. März 2009 telefonisch zugesagt, die Küche werde bis zum 23. März 2009 „fix und fertig“ gestellt. Nach Ausbleiben der Mängelbeseitigung erklärte die Klägerin mit Anwaltsschreiben vom 31. März 2009 den Rücktritt vom Vertrag.

In einem von der Klägerin eingeleiteten selbstständigen Beweisverfahren kam der Sachverständige im Juli 2009 zu dem Befund, dass die wichtigsten Bereiche der Einbauküche nicht oder nur bedingt funktionierten.

Bisheriger Prozessverlauf:

Die auf Rückabwicklung des Vertrages sowie Schadensersatz gerichtete Klage hat in den Vorinstanzen keinen Erfolg gehabt. Das Oberlandesgericht hat im Wesentlichen darauf abgestellt, dass die Klägerin es versäumt habe, der Beklagten vor dem am 31. März 2009 erklärten Rücktritt eine angemessene Frist zur Nachbesserung der gerügten Mängel zu setzen, für die es eine Zeit von vier bis sechs Wochen als angemessen erachtet hat.

Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der unter anderem für das Kaufrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in Bestätigung und Fortführung seiner bisherigen Rechtsprechung entschieden, dass es für eine Fristsetzung zur Nacherfüllung genügt, wenn der Käufer durch das Verlangen nach sofortiger, unverzüglicher oder umgehender Leistung oder durch vergleichbare Formulierungen deutlich macht, dass dem Verkäufer für die Erfüllung nur ein begrenzter Zeitraum zur Verfügung steht. Der Angabe eines bestimmten Zeitraums oder eines bestimmten (End-) Termins bedarf es dabei nicht.

Insbesondere das in der E-Mail vom 16. Februar 2009 mit auf fünf Seiten konkretisierten Mängeln der Einbauküche und der Bitte um „schnelle Behebung“ versehene Nachbesserungsverlangen der Klägerin enthielt eine ausreichende Fristsetzung. Denn mit einer derartigen Formulierung wird dem Verkäufer eine zeitliche Grenze gesetzt, die aufgrund der jeweiligen Umstände des Einzelfalls bestimmbar ist und ihm vor Augen führt, dass er die Nachbesserung nicht zu einem beliebigen Zeitpunkt bewirken darf. Trotz der gewählten höflichen Bezeichnung als „Bitte“ ließ die Klägerin dabei auch keine Zweifel an der Ernsthaftigkeit des Nacherfüllungsverlangens aufkommen, zumal der E-Mail bereits die mündliche Nachbesserungsaufforderung vom 29. Januar/2. Februar 2009 vorausgegangen war. Die nach Zugang dieser E-Mail bis zur Rücktrittserklärung verstrichene Zeit von sechs Wochen war nach der insoweit nicht angegriffenen Beurteilung des Oberlandesgerichts zur Nachbesserung auch angemessen.

Außerdem hat das Oberlandesgericht verkannt, dass nach der genannten Senatsrechtsprechung auch die von der Klägerin behaupteten mündlichen Mängelrügen ihres Ehemannes am 29. Januar/ 2. Februar 2009 – die ihr zuzurechnen wären – mit dem Verlangen „unverzüglicher“ Beseitigung der Mängel Grundlage eines tauglichen Nachbesserungsverlangens sein könnten. Weiterhin hat es im Zusammenhang mit der Nachbesserungsaufforderung vom 11. März 2009, die mit einer – zu kurzen – Fristsetzung versehen war, der unter Beweis gestellten der Behauptung der Klägerin, der Inhaber der Beklagten habe ihr in einem Telefonat zugesagt, dass die Einbauküche bereits zum 23. März 2009 „fix und fertig“ gestellt würde, zu Unrecht keine Bedeutung zugemessen. Denn auch eine objektiv zu kurze Nachbesserungsfrist darf der Gläubiger als angemessen ansehen, wenn der Verkäufer sie dem Käufer selbst vorgeschlagen hat.

Überdies spricht – jedenfalls nach dem im Revisionsverfahren zugrunde zu legenden Sachvortrag der Klägerin – schließlich alles dafür, dass die Klägerin gemäß § 440 Satz 1 Var. 3 BGB*** sogar ohne vorherige Fristsetzung zum Rücktritt berechtigt war, weil die ihr zustehende Art der Nacherfüllung unzumutbar war. Um dies zu beurteilen, sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen – insbesondere die Zuverlässigkeit des Verkäufers oder der Umstand, dass der Verkäufer bereits bei Übergabe einen erheblichen Mangel an fachlicher Kompetenz hat erkennen lassen und das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien nachhaltig gestört ist. Das Oberlandesgericht hat auch insoweit den Tatsachenvortrag der Klägerin unzureichend gewürdigt und außer Acht gelassen, dass diese eine ungewöhnliche Häufung grober Montagemängel beanstandet hatte.

Der Senat hat nach alledem das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an einen anderen Senat des Oberlandesgericht zurückverwiesen, der insbesondere Beweis über die behaupteten Sachmängel zu erheben haben wird.

*§ 323 BGB Rücktritt wegen nicht oder nicht ordnungsgemäß erbrachter Leistung

(1) 1Erbringt bei einem gegenseitigen Vertrag der Schuldner eine fällige Leistung nicht oder nicht vertragsgemäß, so kann der Gläubiger, wenn er dem Schuldner erfolglos eine angemessene Frist zu Leistung oder Nacherfüllung bestimmt hat, vom Vertrag zurücktreten

(…)

**§ 281 BGB Schadensersatz statt der Leistung wegen nicht oder nicht wie geschuldet erbrachter Leistung

(1) 1Soweit der Schuldner die fällige Leistung nicht oder nicht wie geschuldet erbringt, kann der Gläubiger unter den Voraussetzungen des § 280 Abs. 1 Schadensersatz statt der Leistung verlangen, wenn er dem Schuldner erfolglos eine angemessene Frist zur Leistung oder Nacherfüllung bestimmt hat.

(…)

*** § 440 BGB Besondere Bestimmungen für Rücktritt und Schadensersatz

1Außer in den Fällen des § 281 Abs. 2 und des § 323 Abs. 2 bedarf es der Fristsetzung auch dann nicht, wenn der Verkäufer beide Arten der Nacherfüllung gemäß § 439 Abs. 3 verweigert oder wenn die dem Käufer zustehende Art der Nacherfüllung fehlgeschlagen oder ihm unzumutbar ist.

(…)

Vorinstanzen:

Landgericht München I – Urteil vom 10. März 2014 (34 O 9440/10)

Oberlandesgericht München – Urteil vom 30. September 2014 (18 U 1270/14)

Karlsruhe, den 13. Juli 2016

Nr. 121/2016 vom 13.07.2016
Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

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BGH verneint Anwendbarkeit des § 314 Abs. 3 BGB im Wohnraummietrecht (Kündigung wegen älterer Mietrückstände)

BGH verneint Anwendbarkeit des § 314 Abs. 3 BGB im Wohnraummietrecht (Kündigung wegen älterer
Mietrückstände)

Urteil vom 13. Juli 2016 – VIII ZR 296/15

Der Bundesgerichtshof hat sich heute in einer Entscheidung mit der Frage befasst, ob eine auf § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. b BGB* gestützte fristlose Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses gemäß § 314 Abs. 3 BGB** unwirksam ist, wenn sie aufgrund älterer Mietrückstände erfolgt.

Sachverhalt:

Die Klägerin, eine katholische Kirchengemeinde, hatte der Beklagten seit dem Jahr 2006 eine Wohnung in Düsseldorf vermietet. Die Beklagte blieb die Mieten für die Monate Februar und April 2013 schuldig. Nach einer erfolglosen Mahnung vom 14. August 2013 kündigte die Klägerin das Mietverhältnis mit Schreiben vom 15. November 2013 wegen der weiterhin offenen Mietrückstände fristlos.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Amtsgericht hat der Räumungsklage stattgegeben, das Landgericht hat sie unter Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung abgewiesen. Nach Auffassung des Landgerichts war die Kündigung der Klägerin gemäß § 314 Abs. 3 BGB unwirksam, weil sie erst mehr als sieben Monate nach Entstehen des Kündigungsgrundes und damit nicht mehr in angemessener Zeit erfolgt sei. Die Beklagte sei schutzwürdig, weil sie angesichts des Zeitablaufs davon habe ausgehen dürfen, dass die Klägerin von ihrem Kündigungsrecht keinen Gebrauch mehr machen werde. Für die Beklagte als ehemalige Küsterin der Klägerin habe es durchaus nahe gelegen, dass diese aus sozialen und ethischen Erwägungen nach derart langer Zeit keine Kündigung mehr erklären werde.

Mit ihrer vom Landgericht zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der unter anderem für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass § 314 Abs. 3 BGB neben den speziell geregelten Vorschriften zur fristlosen außerordentlichen Kündigung im Wohnraummietrecht (§§ 543, 569 BGB) keine Anwendung findet. Diese vom Senat bislang offen gelassene Frage ist in der Instanzrechtsprechung und im Schrifttum umstritten.

Bereits der Wortlaut der §§ 543 und 569 BGB spricht gegen eine zeitliche Schranke für den Ausspruch der Kündigung. Diese Vorschriften, die im Einzelnen die Modalitäten der fristlosen Kündigung eines Mietverhältnisses regeln, sehen weder eine Zeitspanne, innerhalb derer die Kündigung auszusprechen ist, noch einen Verweis auf § 314 Abs. 3 BGB vor.

Das entspricht auch der Zielsetzung des Gesetzgebers. Dieser hat ausweislich der Materialien zum Mietrechtsreformgesetz von 2001 bewusst davon abgesehen festzulegen, dass die außerordentliche Kündigung nach §§ 543, 569 BGB innerhalb einer „angemessenen Zeit“ ab Kenntnis vom Kündigungsgrund zu erfolgen hat. Die Gesetzesbegründung verweist darauf, dass nach ständiger Rechtsprechung ein Kündigungsrecht verwirkt werden könne und deshalb ein Bedürfnis für eine solche Festlegung nicht bestehe – zumal eine einheitliche konkrete Ausschlussfrist angesichts der Vielgestaltigkeit der Mietverhältnisse ohnehin nicht festgelegt werden könne. Hieran hat sich durch die Einführung der allgemein für Dauerschuldverhältnisse geltenden Vorschrift des § 314 BGB durch das kurze Zeit später eingeführte Schuldrechtsmodernisierungsgesetz nichts geändert, da ausweislich der Gesetzesbegründung die spezialgesetzlichen Einzelbestimmungen weder aufgehoben noch geändert werden sollten.

Da die fristlose Kündigung von Mietverhältnissen in §§ 543, 569 BGB abschließend geregelt ist, war bereits die Anwendung des § 314 Abs. 3 BGB durch das Landgericht rechtsfehlerhaft. Überdies war seine Annahme, die Kündigung sei nicht in angemessener Frist ausgesprochen worden, als solche nicht berechtigt. Denn das Landgericht hat weder berücksichtigt, dass die Zahlungsrückstände trotz Mahnung fortbestanden, noch dass die Klägerin durch das Zuwarten mit der Kündigung vielmehr Rücksicht auf die Belange der Beklagten genommen hat (vgl. § 543 Abs. 2 Satz 2 BGB*).

Die vom Landgericht beanstandete „Verzögerung“ der Kündigung führte überdies auch nicht zur Verwirkung des Kündigungsrechts, denn tragfähige Anhaltspunkte für ein berechtigtes Vertrauen der Beklagten, dass die Klägerin von ihrem Recht zur fristlosen Kündigung wegen Verzugs mit zwei Monatsmieten keinen Gebrauch machen werde, sind nicht festgestellt und auch nicht ersichtlich (sog. Umstandsmoment). Sie liegen insbesondere nicht schon darin, dass es sich bei der Klägerin um eine Kirchengemeinde handelt und die Beklagte früher bei ihr als Küsterin beschäftigt gewesen ist.

Der Senat hat deshalb das Berufungsurteil aufgehoben und das amtsgerichtliche Urteil wiederhergestellt, da die fristlose Kündigung aufgrund des Zahlungsverzugs berechtigt und wirksam war.

*§ 543 BGB Außerordentliche fristlose Kündigung aus wichtigem Grund

(1) Jede Vertragspartei kann das Mietverhältnis aus wichtigem Grund kündigen. (…)

(2) Ein wichtiger Grund liegt insbesondere vor, wenn

(…)

3. der Mieter

(…)

b) in einem Zeitraum, der sich über mehr als zwei Termine erstreckt, mit der Entrichtung der Miete in Höhe eines Betrages in Verzug ist, der die Miete für zwei Monate erreicht.

2Im Falle des Satzes 1 Nr. 3 ist die Kündigung ausgeschlossen, wenn der Vermieter vorher befriedigt wird. (…)

** § 314 BGB Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund

(1) 1Dauerschuldverhältnisse kann jeder Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen. (…)

(…)

(3) Der Berechtigte kann nur innerhalb einer angemessenen Frist kündigen, nachdem er vom Kündigungsgrund Kenntnis erlangt hat.

(…)

Vorinstanzen:

LG Düsseldorf – Urteil vom 16. Dezember 2015 – 5 S 40/15
AG Düsseldorf – Urteil vom 6. Mai 2015 – 23 C 626/14

Karlsruhe, den 13. Juli 2016

Nr. 120/2016 vom 13.07.2016
Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

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Bundesgerichtshof entscheidet über die Wirksamkeit des Widerrufs einer auf Abschluss eines Verbraucherdarlehensvertrags gerichteten Willenserklärung

Bundesgerichtshof entscheidet über die Wirksamkeit des Widerrufs einer auf Abschluss eines Verbraucherdarlehensvertrags gerichteten Willenserklärung

Urteil vom 12. Juli 2016 – XI ZR 564/15

Der u.a. für das Bankrecht zuständige XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute über die Wirksamkeit eines Widerrufs nach Abschluss eines Verbraucherdarlehensvertrags erkannt (siehe auch Pressemitteilung Nr. 98/2016).

Die Kläger schlossen im April 2008 mit der Beklagten einen Darlehensvertrag über einen Nennbetrag in Höhe von 50.000 €. Als Sicherheit der Beklagten dienten Grundpfandrechte. Die Beklagte belehrte die Kläger über ihr Widerrufsrecht. Die Kläger erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen. Unter dem 24. Juni 2013 widerriefen sie ihre auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichtete Willenserklärung. Sie leisteten an die Beklagte ohne Anerkennung einer Rechtspflicht weitere 40.625,33 €.

Ihre Klage auf Zahlung der Differenz zwischen diesem Betrag und dem von ihnen als der Beklagten bei Wirksamwerden des Widerrufs noch geschuldet berechneten Betrag von 34.809,73 €, folglich auf Zahlung von 5.815,60 €, hat das Landgericht abgewiesen. Auf ihre Berufung hat das Oberlandesgericht den Klägern einen Teil der Klageforderung zuerkannt und das Rechtsmittel im Übrigen zurückgewiesen. Die vom Oberlandesgericht zugelassene und gegen den zusprechenden Teil gerichtete Revision der Beklagten hat der XI. Zivilsenat zurückgewiesen. Auf die Anschlussrevision der Klägerin zu 2, die sie zugleich als Rechtsnachfolgerin des Klägers zu 1 eingelegt hat, hat der XI. Zivilsenat unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen die Beklagte zur Zahlung eines geringen weiteren Betrages verurteilt.

Dabei waren im Wesentlichen folgende Überlegungen leitend: Das Oberlandesgericht hat richtig gesehen, dass bei Ausübung des Widerrufsrechts am 24. Juni 2013 die Widerrufsfrist noch nicht abgelaufen war. Die dem Darlehensvertrag beigegebene Widerrufsbelehrung, die dahin lautete, die Widerrufsfrist beginne „frühestens mit Erhalt dieser Belehrung“, belehrte die Kläger schon nicht hinreichend deutlich über den Beginn der Widerrufsfrist. Auf die Gesetzlichkeitsfiktion des vom Verordnungsgeber eingeführten Musters für die Widerrufsbelehrung kann sich die Beklagte nicht berufen, weil sie gegenüber dem Muster erhebliche Änderungen vorgenommen hat. Die Kläger haben das Widerrufsrecht weder verwirkt noch sonst unzulässig ausgeübt. Lediglich bei den aus dem Widerruf resultierenden Rechtsfolgen hat das Oberlandesgericht nicht hinreichend beachtet, dass zwischen den Parteien unstreitig geblieben ist, dass die Kläger zum 30. April 2008 eine Zahlung in Höhe von 375 € und nicht nur in Höhe von 125 € an die Beklagte erbracht haben.

Vorinstanzen:

OLG Nürnberg – Urteil vom 11. November 2015 – 14 U 2439/14
LG Nürnberg-Fürth – Urteil vom 27. Oktober 2014 – 10 O 3952/14

Karlsruhe, den 12. Juli 2016

Nr. 119/2016 vom 12.07.2016
Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

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Bundesgerichtshof entscheidet über die angeblich rechtsmissbräuchliche Ausübung eines Verbraucherwiderrufsrechts

Bundesgerichtshof entscheidet über die angeblich rechtsmissbräuchliche Ausübung eines
Verbraucherwiderrufsrechts

Urteil vom 12. Juli 2016 – XI ZR 501/15

Der u.a. für das Bankrecht zuständige XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute Grundsätze zum Einwand des Rechtsmissbrauchs bei der Ausübung eines Verbraucherwiderrufsrechts aufgestellt (siehe auch Pressemitteilung Nr. 88/2016).

Der Kläger schloss noch unter der Geltung des Haustürwiderrufsgesetzes und nach seiner Behauptung nach Anbahnung in einer Haustürsituation am 25. November 2001 mit der Beklagten einen Darlehensvertrag, der der Finanzierung einer Beteiligung an einer Fondsgesellschaft diente. Dem Darlehensvertrag war eine Widerrufsbelehrung beigefügt. Der Kläger führte das Darlehen bis zum 15. Januar 2007 vollständig zurück. Mit Schreiben vom 20. Juni 2014 widerrief er seine auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichtete Willenserklärung.

Seine auf Zahlung und Freistellung Zug um Zug gegen Abtretung der Beteiligung und auf Feststellung gerichtete Klage ist in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben. Der XI. Zivilsenat hat auf die vom Oberlandesgericht zugelassene Revision des Klägers das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Dafür waren folgende Überlegungen leitend: Die Widerrufsbelehrung war – zugunsten des Klägers die Anbahnung des Darlehensvertrags in einer Haustürsituation und damit das Bestehen eines Widerrufsrechts nach dem Haustürwiderrufsgesetz unterstellt – nicht korrekt. Denn sie bezog die Unterschrift des Verbrauchers zugleich auf den Belehrungstext selbst und auf eine unmittelbar an den Belehrungstext anschließende Empfangsbestätigung. Das Oberlandesgericht hat aber bei der Entscheidung der Frage, ob die Ausübung des Widerrufsrechts rechtsmissbräuchlich war, unzutreffend gemeint, dem Kläger zur Last legen zu können, er habe sich über den Widerruf von den negativen Folgen einer unvorteilhaften Investition lösen wollen. Das Oberlandesgericht durfte das Motiv des Klägers für die Ausübung des Widerrufsrechts nicht allein deshalb zulasten des Klägers in seine Gesamtabwägung einbeziehen, weil es außerhalb des Schutzzwecks des Haustürwiderrufsgesetzes lag.

Das Oberlandesgericht wird zu klären haben, ob, wovon das Bestehen eines Widerrufsrechts nach dem Haustürwiderrufsgesetz abhängt und was die Beklagte bestreitet, der Darlehensvertrag tatsächlich in einer Haustürsituation angebahnt wurde. Gegebenenfalls wird es zu prüfen haben, ob der Kläger aus sonstigen Gründen rechtsmissbräuchlich gehandelt hat und ob das Widerrufsrecht des Klägers verwirkt ist.

Vorinstanzen:

Hanseatisches OLG Hamburg – Urteil vom 16. Oktober 2015 – 13 U 45/15
LG Hamburg – Urteil vom 15. April 2015 – 301 O 156/14

Karlsruhe, den 12. Juli 2016

Nr. 118/2016 vom 12.07.2016
Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

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Bundesgerichtshof entscheidet über Widerrufsrecht von Verbrauchern bei im Fernabsatz geschlossenen Immobilien-Maklerverträgen

Bundesgerichtshof entscheidet über Widerrufsrecht von Verbrauchern bei im Fernabsatz geschlossenen Immobilien-Maklerverträgen

Urteile vom 7. Juli 2016 – I ZR 30/15 und I ZR 68/15

Der unter anderem für das Maklerrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute in zwei Revisionsverfahren entschieden, dass ein per E-Mail oder telefonisch geschlossener Grundstücksmaklervertrag ein Fernabsatzgeschäft im Sinne von § 312b BGB in der bis zum 12. Juni 2014 geltenden Fassung (= BGB aF) ist und vom Maklerkunden innerhalb der gesetzlichen Fristen widerrufen werden kann.

Im Verfahren I ZR 30/15 wird der Beklagte auf Zahlung einer Maklerprovision in Anspruch genommen. Die Immobilienmaklerin bewarb im April 2013 in einem Internetportal ein Hausgrundstück. Der Beklagte bekundete per E-Mail sein Interesse an dem Objekt. Die Immobilienmaklerin übersandte ihm darauf als PDF-Datei ein Exposé, in dem eine vom Käufer zu zahlende Maklerprovision von 6,25% des Kaufpreises ausgewiesen war. Eine Widerrufsbelehrung enthielten weder die Internetanzeige noch das Exposé. Der Beklagte bestätigte telefonisch den Eingang des Exposés und bat um einen Besichtigungstermin. Einige Wochen nach der Besichtigung erwarb er das Grundstück zu einem Kaufpreis von 240.000 Euro. Die Klägerin verlangt vom Beklagten die Zahlung einer Maklerprovision in Höhe von 15.000 Euro. Der Beklagte hat den Maklervertrag im Laufe des Rechtsstreits widerrufen. Das Landgericht hat der Zahlungsklage stattgegeben. Die Berufung des Beklagten hatte keinen Erfolg.

Im Verfahren I ZR 68/15 bewarb die Klägerin, eine Immobilienmaklerin, im Jahr 2013 im Internet ein Grundstück. Auf die Anfrage des Beklagten übersandte sie ihm per
E-Mail ein Exposé, in dem eine vom Käufer zu zahlende Maklerprovision von 3,57% des Kaufpreises ausgewiesen war. Eine Widerrufsbelehrung fand sich in dem Exposé nicht. Der Beklagte bestätigte per E-Mail den Eingang des Exposés und vereinbarte mit der Klägerin einen Besichtigungstermin. In der Folgezeit erwarb er das Grundstück zu einem Kaufpreis von 650.000 Euro. Die Klägerin verlangt von dem Beklagten die Zahlung einer Maklerprovision in Höhe von 23.205 Euro. Im Laufe des Rechtsstreits hat der Beklagte den Maklervertrag widerrufen. Das Landgericht hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Das Oberlandesgericht hat die Klage auf die Berufung des Beklagten abgewiesen.

Der Bundesgerichtshof hat in dem Verfahren I ZR 30/15 das Berufungsurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. In dem Verfahren I ZR 68/15 hat er die Revision der Klägerin zurückgewiesen.

Nach § 312d Abs. 1 Satz 1 BGB aF steht einem Verbraucher bei einem Fernabsatzvertrag ein Widerrufsrecht nach § 355 BGB aF zu. Nach § 312b Abs. 1 Satz 1 BGB aF sind Fernabsatzverträge Verträge über die Lieferung von Waren oder über die Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich Finanzdienstleistungen, die zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln abgeschlossen werden, es sei denn, dass der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die Maklerverträge, die Gegenstand der beiden Revisionsverfahren sind, Fernabsatzverträge über die Erbringung von Dienstleistungen im Sinne von § 312b Abs. 1 Satz 1 BGB aF sind, bei denen ein Widerrufsrecht besteht.

Die jeweiligen Beklagten konnten die Maklerverträge noch im Prozess widerrufen, weil sie nicht über ihr Widerrufsrecht belehrt worden waren. Nach der Übergangsregelung in Art. 229 § 32 Abs. 2 Nr. 3 EGBGB erlischt das Widerrufsrecht bei vor dem 13. Juni 2014 im Wege des Fernabsatzes geschlossenen Dienstleistungsverträgen bei fehlender Belehrung mit Ablauf des 27. Juni 2015. Der Widerruf ist in beiden Verfahren vor diesem Datum erklärt worden.

Das Widerrufsrecht der jeweiligen Beklagten war zum Zeitpunkt der Widerrufserklärungen noch nicht gemäß § 312d Abs. 3 BGB aF erloschen. Das Erlöschen des Widerrufsrechts nach dieser Bestimmung setzt voraus, dass bei einer Dienstleistung der Vertrag von beiden Seiten auf ausdrücklichen Wunsch des Verbrauchers vollständig erfüllt worden ist, bevor der Verbraucher sein Widerrufsrecht ausgeübt hat. Diese Voraussetzungen lagen in beiden Fällen nicht vor, weil die jeweiligen Beklagten die Provision vor der Ausübung des Widerrufsrechts nicht bezahlt hatten.

Den Maklern steht in beiden Fällen wegen der erbachten Maklerleistungen kein Anspruch auf Wertersatz zu. Nach § 312e Abs. 2 BGB aF hat der Verbraucher bei Fernabsatzverträgen über Dienstleistungen Wertersatz für die erbrachte Dienstleistung nach den Vorschriften über den gesetzlichen Rücktritt nur zu leisten, wenn er vor Abgabe seiner Vertragserklärung auf diese Rechtsfolge hingewiesen worden ist und wenn er ausdrücklich zugestimmt hat, dass der Unternehmer vor Ende der Widerrufsfrist mit der Ausführung der Dienstleistung beginnt. In beiden Fällen hatte es an einer entsprechenden Belehrung der Maklerkunden gefehlt.

Vorinstanzen:

I ZR 30/15

LG Itzehoe – Urteil vom 30. Mai 2014 – 6 O 379/13

OLG Schleswig – Urteil vom 22. Januar 2015 – 16 U 89/14

I ZR 68/15

LG Erfurt, – Urteil vom 25. Februar 2014 – 8 O 804/13

OLG Jena – Urteil vom 4. März 2015 – 2 U 205/14

Nr. 114/2016 vom 07.07.2016
Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

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Bundesgerichtshof verneint Sachmangel bei einer zwölf Monate überschreitenden Standzeit eines Gebrauchtwagens zwischen Herstellung und Erstzulassung

Bundesgerichtshof verneint Sachmangel bei einer zwölf Monate überschreitenden Standzeit eines Gebrauchtwagens zwischen Herstellung und Erstzulassung

Der Bundesgerichtshof hat sich heute in einer Entscheidung mit der Frage befasst, ob ein zwei Jahre und vier Monate nach seiner Erstzulassung verkaufter Gebrauchtwagen mangelhaft ist, wenn das Fahrzeug zwischen Herstellung und Erstzulassung eine Standzeit von mehr als zwölf Monaten aufweist.

Der Sachverhalt:

Der Kläger kaufte im Juni 2012 von der Beklagten, einer Kraftfahrzeughändlerin, einen Gebrauchtwagen mit einer Laufleistung von 38.616 km zu einem Preis von 33.430 €. Im Kaufvertragsformular war unter der Rubrik „Datum der Erstzulassung lt. Fzg.-Brief“ der 18. Februar 2010 eingetragen. Ein Baujahr wurde nicht genannt. Später erfuhr der Kläger, dass das Fahrzeug bereits am 1. Juli 2008 hergestellt worden war. Nach Ansicht des Klägers begründet die sich hieraus ergebende Dauer der Standzeit vor Erstzulassung (19 ½ Monate) schon für sich genommen einen Sachmangel des Kraftfahrzeugs. Er ist deshalb vom Kaufvertrag zurückgetreten und verlangt die Rückzahlung des Kaufpreises.

Das Landgericht hat seiner Zahlungsklage stattgegeben, das Oberlandesgericht hat sie auf die Berufung der Beklagten abgewiesen.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Die hiergegen gerichtete, vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Klägers hatte keinen Erfolg. Der unter anderem für das Kaufrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass eine Standzeit von über zwölf Monaten vor Erstzulassung bei einem Gebrauchtwagenkauf nicht ohne Weiteres einen Sachmangel begründet.

Die Parteien hatten weder ausdrücklich noch stillschweigend eine Beschaffenheitsvereinbarung über ein bestimmtes Herstellungsdatum oder Baujahr getroffen (§ 433 Abs. 1 Satz 2*, § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB**). Der bloßen Angabe des Datums der Erstzulassung im Kaufvertrag kann – anders als der Kläger meint – eine solche (stillschweigende) Beschaffenheitsvereinbarung schon deshalb nicht entnommen werden, weil die Beklagte durch den einschränkenden Zusatz „lt. Fzg.-Brief“ keine verbindliche Willenserklärung abgegeben, sondern lediglich mitgeteilt hat, aus welcher Quelle sie die entsprechenden Angaben entnommen hat (Wissensmitteilung). Die Beklagte hat damit deutlich gemacht, dass sie weder für die Richtigkeit des Erstzulassungsdatums noch – darüber hinausgehend – für ein bestimmtes Baujahr des Fahrzeugs einstehen will.

Die Standzeit von 19 ½ Monaten zwischen Herstellung und Erstzulassung führt auch nicht dazu, dass sich der erworbene Gebrauchtwagen zum Zeitpunkt der Übergabe nicht für die gewöhnliche Verwendung eignete und nicht die übliche, vom Käufer berechtigterweise zu erwartende Beschaffenheit aufwies (§ 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB**). Zwar hat der Senat für den Kauf von Neu- oder Jahreswagen bereits entschieden, dass ein Autokäufer in diesen Fällen eine zwölf Monate nicht überschreitende Standzeit vor der Erstzulassung erwarten darf. Denn dem durch die Standzeit voranschreitenden Alterungsprozess kommt bei neuen Fahrzeugen oder zumindest „jungen Gebrauchtwagen“ besonderes wirtschaftliches Gewicht zu. Vergleichbare allgemein gültige Aussagen lassen sich bei sonstigen Gebrauchtwagen jedoch nicht treffen. Welche Standzeiten bei solchen Fahrzeugen üblich sind und ein Käufer – ohne zusätzliche Verkäuferangaben – erwarten darf, hängt vielmehr von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab, wie etwa der Dauer der Zulassung zum Verkehr und der Laufleistung des Fahrzeugs, der Anzahl der Vorbesitzer und der Art der Vorbenutzung. Wenn das erworbene Gebrauchtfahrzeug – wie hier – zum Zeitpunkt des Verkaufs bereits längere Zeit zum Straßenverkehr zugelassen war und durch eine relativ hohe Laufleistung eine nicht unerhebliche Abnutzung des Fahrzeugs eingetreten ist, verlieren – wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei angenommen hat – eine vor der Erstzulassung eingetretene Standzeit und der hierauf entfallende Alterungsprozess zunehmend an Bedeutung. Dass konkrete standzeitbedingte Mängel aufgetreten sind, hat der Kläger nicht geltend gemacht. Der Kaufvertrag ist daher nicht rückabzuwickeln.

*§ 433 BGB Vertragstypische Pflichten beim Kaufvertrag

(1) (…) 2Der Verkäufer hat dem Käufer die Sache frei von Sach- und Rechtsmängeln zu verschaffen.

(…)

**§ 434 BGB Sachmangel

(1) 1Die Sache ist frei von Sachmängeln, wenn sie bei Gefahrübergang die vereinbarte Beschaffenheit hat. 2Soweit die Beschaffenheit nicht vereinbart ist, ist die Sache frei von Sachmängeln,

(…)

2. wenn sie sich für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach Art der Sache erwarten kann.

(…)

Vorinstanzen:

Landgericht Göttingen – Urteil vom 27. November 2014 – 4 O 214/13
Oberlandesgericht Braunschweig – Urteil vom 23. Juli 2015 – 9 U 2/15

Karlsruhe, den 29. Juni 2016

Nr. 109/2016 vom 29.06.2016
Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

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