Zum Gerichtsstand für Ausgleichsansprüche wegen Flugverspätung

Zum Gerichtsstand für Ausgleichsansprüche wegen Flugverspätung

Beschluss vom 18. August 2015 – X ZR 2/15

Der Bundesgerichtshof hat heute dem Gerichtshof der Europäischen Union zwei Fragen zur Auslegung des Art. 5 Nr. 1 Buchst. b* der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Brüssel-I-Verordnung) vorgelegt.

Im Ausgangsfall verlangt der Kläger eine Ausgleichszahlung in Höhe von 400 € wegen eines verspäteten Fluges nach Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Buchst. b** der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 (Fluggastrechteverordnung). Der Kläger buchte bei der Fluggesellschaft Air France unter deren Flugnummern eine Flugverbindung von Stuttgart über Paris nach Helsinki. Die Beförderung von Paris nach Helsinki erfolgte im Wege des Code-Sharing durch Finnair, die in Finnland ansässige Beklagte. Der Flug auf dieser zweiten Teilstrecke hatte eine Verspätung von drei Stunden und zwanzig Minuten.

Das vom Kläger angerufene Amtsgericht, in dessen Bezirk der Flughafen Stuttgart liegt, hat die Klage mangels Zuständigkeit der deutschen Gerichte abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Das Landgericht hat angenommen, die internationale Zuständigkeit könne sich allenfalls aus Art. 5 Nr. 1 Buchst. b* Brüssel-I-VO ergeben. Indes liege im Inland gerade kein Erfüllungsort. Der gegen die Beklagte geltend gemachte Anspruch knüpfe ausschließlich an den verspäteten Flug der Teilstrecke von Paris nach Helsinki an.

Der für das Reise- und Personenbeförderungsrecht zuständige X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs meint demgegenüber, in der vorliegenden Fallgestaltung sei ein Gerichtsstand ebenso am Abflugort der ersten Teilstrecke, also am Flughafen Stuttgart, eröffnet. Dies folgt aus zwei Überlegungen. Zum einen dürfte  eine Klage auf Ausgleichszahlung auch dann im Gerichtsstand des der Luftbeförderung zugrundeliegenden Vertrags erhoben werden können, wenn das nach der Fluggastrechteverordnung verpflichtete „ausführende Luftfahrtunternehmen“ nicht zugleich der Vertragspartner des Fluggasts ist. Dafür spricht bereits, dass die Ansprüche nach der Fluggastrechteverordnung eine vertragliche Grundlage der Beförderungsleistung voraussetzen. Zum anderen dürfte bei einer nach dem Vertrag mehrgliedrigen Flugverbindung ohne nennenswerten Aufenthalt auf den Umsteigeflughäfen der Abflugort der ersten Teilstrecke auch dann als zuständigkeitsbegründender Erfüllungsort anzusehen sein, wenn die Klageansprüche aus Ereignissen auf einer anderen Teilstrecke resultieren. Dies entspräche einer konsequenten Anknüpfung an die vertragliche Grundlage der Beförderungsleistung.

Der Gerichtshof der Europäischen Union hatte sich mit der vorliegenden Fallgestaltung noch nicht zu befassen. In der Rechtssache Rehder (EuGH, Urteil vom 9. Juli 2009 – C-204/08, Slg 2009, I-6073) hat der Unionsgerichtshof zwar entschieden, dass der Kläger bei der Durchsetzung einer Ausgleichszahlung nach der Fluggastrechteverordnung zwischen dem Gericht des Ortes des Abflugs und dem des Ortes der Ankunft des Flugzeugs wählen kann. Diese Entscheidung betraf aber eine eingliedrige Flugverbindung, die vom Vertragspartner des Fluggasts selbst durchgeführt wurde. Da sich die Bewertung der vorliegenden Fallkonstellation deshalb nicht hinreichend sicher aus der Rechtsprechung des Unionsgerichtshofs ableiten lässt, hat der Bundesgerichtshof gemäß Art. 267 AEUV*** folgende Fragen vorgelegt:

1.Ist Art. 5 Nr. 1 Buchst. a der Brüssel-I-Verordnung dahin auszulegen, dass der Begriff „Ansprüche aus einem Vertrag“ auch einen Anspruch auf Ausgleichszahlung nach Art. 7 der Fluggastrechteverordnung erfasst, der gegenüber einem ausführenden Luftfahrtunternehmen verfolgt wird, welches nicht Vertragspartner des betroffenen Fluggasts ist?

2.Soweit Art. 5 Nr. 1 Brüssel-I-VO Anwendung findet:

Ist bei einer Personenbeförderung auf einer aus mehreren Flügen bestehenden Flugverbindung ohne nennenswerten Aufenthalt auf den Umsteigeflughäfen der Abflugort der ersten Teilstrecke als Erfüllungsort gemäß Art. 5 Nr. 1 Buchst. b zweiter Spiegelstrich Brüssel-I-VO anzusehen, auch wenn die Flugverbindung von unterschiedlichen Luftfahrtunternehmen durchgeführt worden ist und sich die Klage gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen einer anderen Teilstrecke richtet, auf der es zu einer großen Verspätung gekommen ist?

AG Nürtingen – Urteil vom 16. Juni 2014 – 11 C 6/14

LG Stuttgart – Urteil vom 10. Dezember 2014 – 13 S 115/14

Karlsruhe, den 18. August 2015

* Art. 5 Nr. 1 EuGVVO

Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden:

1.

a)wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre;

b)im Sinne dieser Vorschrift – und sofern nichts anderes vereinbart worden ist – ist der Erfüllungsort der Verpflichtung

–(…)

–für die Erbringung von Dienstleistungen der Ort in einem Mitgliedstaat, an dem sie nach dem Vertrag erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen;

c)ist Buchstabe b) nicht anwendbar, so gilt Buchstabe a);

** Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Buchst. b Fluggastrechteverordnung

Wird auf diesen Artikel Bezug genommen, so erhalten die Fluggäste Ausgleichszahlungen in folgender Höhe:

(…) 400 EUR bei allen innergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung von mehr als 1 500 km und bei allen anderen Flügen über eine Entfernung zwischen 1 500 km und 3 500 km, (…)

*** Art. 267 AEUV

Der Gerichtshof der Europäischen Union entscheidet im Wege der Vorabentscheidung

a)(…),

b)über die Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen der Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union.

Wird eine derartige Frage einem Gericht eines Mitgliedstaats gestellt und hält dieses Gericht eine Entscheidung darüber zum Erlass seines Urteils für erforderlich, so kann es diese Frage dem Gerichtshof zur Entscheidung vorlegen.  

Wird eine derartige Frage in einem schwebenden Verfahren bei einem einzelstaatlichen Gericht gestellt, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, so ist dieses Gericht zur Anrufung des Gerichtshofs verpflichtet.

(…)

Nr. 147/2015 vom 18.08.2015
Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

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Verstoß von Amazon mit einer Gutscheinaktion gegen die Buchpreisbindung

Verstoß von Amazon mit einer Gutscheinaktion gegen die Buchpreisbindung

Urteil vom 23. Juli 2015 – I ZR 83/14 – Gutscheinaktion beim Buchankauf

Der unter anderem für das Wettbewerbsrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundes-gerichtshofs hat heute entschieden, dass beim Erwerb preisgebundener Bücher Gutscheine nur verrechnet werden dürfen, wenn dem Buchhändler schon bei Abgabe der Gutscheine eine entsprechende Gegenleistung zugeflossen ist.  

Der Kläger ist der Börsenverein des Deutschen Buchhandels e.V. Die Beklagte verkauft über ihre Website www.amazon.de in Deutschland preisgebundene Bücher. Über das „Trade-in-Programm“ der Beklagten können Kunden ihr gebrauchte Bücher verkaufen. Bei einer um die Jahreswende 2011/2012 durchgeführten Werbeaktion erhielten Kunden, die mindestens zwei Bücher gleichzeitig zum Ankauf eingereicht hatten, zusätzlich zum Ankaufspreis einen Gutschein über 5 € auf ihrem Kundenkonto gutgeschrieben. Dieser Gutschein konnte zum Erwerb beliebiger Produkte bei der Beklagten eingesetzt werden. Dazu zählte auch der Kauf neuer Bücher.  

Der Kläger sieht in der Anrechnung der Gutscheine auf den Kauf preisgebundener Bücher einen Verstoß gegen die Buchpreisbindung. Das Landgericht hat die dagegen gerichtete Unterlassungsklage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat ihr stattgegeben, weil die Beklagte gegen §§ 3, 5 BuchPrG* verstoßen habe.

Die Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg. Die Beklagte hat mit der beanstandeten Werbeaktion § 3 BuchPrG verletzt, weil sie Gutscheine, die zum Erwerb preisgebundener Bücher eingesetzt werden konnten, an Letztverbraucher ausgegeben hat, ohne dass ihr dafür eine entsprechende Gegenleistung der Kunden zugeflossen ist.

Der Zweck der Buchpreisbindung besteht darin, durch Festsetzung verbindlicher Preise beim Verkauf an Letztabnehmer ein umfangreiches, der breiten Öffentlichkeit zugängliches Buchangebot in einer großen Zahl von Verkaufsstellen zu sichern (§ 1 BuchPrG). Preisbindungsrechtlich zulässig sind Geschenkgutscheine, die Buchhandlungen verkaufen, und mit denen die Beschenkten Bücher erwerben können. In diesem Fall erhält der Buchhändler durch den Gutscheinverkauf und eine eventuelle Zuzahlung des Beschenkten insgesamt den gebundenen Verkaufspreis für das Buch. Ein Verstoß gegen die Buchpreisbindung liegt dagegen vor, wenn ein Händler beim An- oder Verkauf von Waren für den Kunden kostenlose Gutscheine ausgibt, die zum Erwerb preisgebundener Bücher benutzt werden können. Der Buchhändler erhält dann im Ergebnis für das Buch ein geringeres Entgelt als den gebundenen Preis. Unerheblich ist, dass Gutscheinausgabe und Buchverkauf zwei selbständige Rechtsgeschäfte darstellen und ein Bezug zwischen ihnen erst durch die Kaufentscheidung des Kunden hergestellt wird.

Bezugspunkt für die Prüfung eines Verstoßes gegen die Preisbindung ist danach, ob das Vermögen des Buchhändlers beim Verkauf neuer Bücher in Höhe des gebundenen Preises vermehrt wird. Daran fehlt es im Streitfall. Die Beklagte wird zwar durch den Kauf eines preisgebundenen Buches unter Anrechnung des Gutscheins von der Verpflichtung befreit, die sie gegenüber dem Kunden mit dem Gutschein beim Ankauf eines Buchs übernommen hat. Sie erhält aber für den Verkauf des preisgebundenen Buches insgesamt nicht den gebundenen Preis, wenn ihr für den Gutschein – wie im vorliegenden Fall – keine entsprechende Gegenleistung zugeflossen ist.  

LG Wiesbaden – Urteil vom 16. August 2013 – 13 O 18/13

OLG Frankfurt – Urteil vom 28. Januar 2014 – 11 U 93/13

Karlsruhe, den 23. Juli 2015

* § 3 BuchPrG

   Wer gewerbs- oder geschäftsmäßig Bücher an Letztabnehmer verkauft, muss den   

   nach § 5 festgesetzten Preis einhalten. Dies gilt nicht für den Verkauf gebrauchter  

   Bücher.

§ 5 BuchPrG

     

(1) Wer Bücher verlegt oder importiert, ist verpflichtet, einen Preis einschließlich   

     Umsatzsteuer (Endpreis) für die Ausgabe eines Buches für den Verkauf an    

     Letztabnehmer festzusetzen und in geeigneter Weise zu veröffentlichen.   

     Entsprechendes gilt für Änderungen des Endpreises.

(2) ….

Nr. 125/2015 vom 23.07.2015
Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

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Entgelt für Schwarzarbeit wird auch bei Mängeln nicht zurückgezahlt

Entgelt für Schwarzarbeit wird auch bei Mängeln nicht zurückgezahlt

Urteil vom 11. Juni 2015 – VII ZR 216/14  

Der u.a. für das Bauvertragsrecht zuständige VII. Zivilsenat hat am 11. Juni 2015 entschieden, dass dann, wenn ein Werkvertrag wegen Verstoßes gegen das Verbot des § 1 Abs. 2 Nr. 2 SchwarzArbG* vom 23. Juli 2004 nichtig ist, dem Besteller, der den Werklohn bereits gezahlt hat, gegen den Unternehmer auch dann kein Rückzahlungsanspruch unter dem Gesichtspunkt einer ungerechtfertigten Bereicherung zusteht, wenn die Werkleistung mangelhaft ist.

Der Kläger beauftragte den Beklagten 2007 mit der Ausführung von Dachausbauarbeiten. Vereinbart wurde ein Werklohn von 10.000 € ohne Umsatzsteuer. Der Beklagte führte die Arbeiten aus und stellte eine Rechnung ohne Steuerausweis. Der Kläger zahlte den geforderten Betrag. Mit der Klage begehrt er jetzt Rückzahlung von 8.300 € wegen Mängeln der Werkleistung.

Das Oberlandesgericht hat der Klage insoweit stattgegeben. Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat die Entscheidung des Oberlandesgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen.

Der Beklagte hat bewusst gegen § 1 Abs. 2 Nr. 2 SchwarzArbG verstoßen, indem er mit dem Kläger, der dies auch zu seinem Vorteil ausgenutzt hat, vereinbart, dass für den Werklohn keine Rechnung mit Steuerausweis gestellt und keine Umsatzsteuer gezahlt werden sollte.  

Der Bundesgerichtshof hat bereits entschieden, dass in solchen Fällen weder Mängelansprüche des Bestellers noch Zahlungsansprüche des Werkunternehmers bestehen (BGH, Urteile vom 1. August 2013 – VII ZR 6/13 und vom 10. April 2014 – VII ZR 241/13, vgl. Pressemitteilungen vom 1. August 2013 und vom 10. April 2014).  

Dem Kläger (Besteller) steht auch kein Anspruch auf Ausgleich der Bereicherung des Beklagten (Unternehmers) zu, die darin besteht, dass er für die mangelhafte Werkleistung zu viel bezahlt hat. Zwar kann ein Besteller, der aufgrund eines nichtigen Vertrags Leistungen erbracht hat, von dem Unternehmer grundsätzlich die Herausgabe dieser Leistungen verlangen. Dies gilt jedoch gem. § 817 Satz 2 BGB** nicht, wenn der Besteller mit seiner Leistung gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen hat. Das ist hier der Fall. Entsprechend der Zielsetzung des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes, die Schwarzarbeit zu verhindern, verstößt nicht nur die vertragliche Vereinbarung der Parteien gegen ein gesetzliches Verbot, sondern auch die in Ausführung dieser Vereinbarung erfolgende Leistung, somit auch die Zahlung.  

Der Anwendung des § 817 Satz 2 BGB stehen die Grundsätze von Treu und Glauben nicht entgegen. Die Durchsetzung der vom Gesetzgeber mit dem Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz verfolgten Ziele, die Schwarzarbeit effektiv einzudämmen, erfordert eine strikte Anwendung dieser Vorschrift. Insoweit ist eine andere Sicht geboten, als sie vom Senat noch zum Bereicherungsanspruch nach einer Schwarzarbeiterleistung vertreten wurde, die nach der alten Fassung des Gesetzes zur Bekämpfung der Schwarzarbeit zu beurteilen war (BGH, Urteil vom 31. Mai 1990 – VII ZR 336/89).  

LG Verden – Urteil vom 14. März 2014 – 8 O 3/11  

OLG Celle – Urteil vom 28. August 2014 – 6 U 49/14

Karlsruhe, den 15. Juni 2015  

*§ 1 Abs. 2 Nr. 2 Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz  

Schwarzarbeit leistet, wer Dienst-oder Werkleistungen erbringt oder ausführen lässt und dabei als Steuerpflichtiger seine sich aufgrund der Dienst- oder Werkleistungen ergebenden steuerlichen Pflichten nicht erfüllt.  

**§ 817 BGB  

War der Zweck einer Leistung in der Art bestimmt, dass der Empfänger durch die Annahme gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstoßen hat, so ist der Empfänger zur Herausgabe verpflichtet. Die Rückforderung ist ausgeschlossen, wenn dem Leistenden gleichfalls ein solcher Verstoß zur Last fällt, es sei denn, dass die Leistung in der Eingehung einer Verbindlichkeit bestand; das zur Erfüllung einer solchen Verbindlichkeit Geleistete kann nicht mehr zurückgefordert werden.

Nr. 095/2015 vom 15.06.2015
Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

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Verschattung eines Grundstücks durch Bäume des Nachbarn

Verschattung eines Grundstücks durch Bäume des Nachbarn

Urteil vom 10. Juli 2015 – V ZR 229/14

Der Bundesgerichtshof hat sich heute mit der Frage befasst, ob ein Grundstückseigentümer von seinem Nachbarn die Beseitigung von Bäumen wegen der von ihnen verursachten Verschattung verlangen kann.

Die Kläger sind seit 1990 Bewohner und seit 1994 Eigentümer eines in Nordrhein-Westfalen belegenen Grundstücks, das mit einem nach Süden ausgerichteten Reihenhausbungalow bebaut ist. Ihr 10 mal 10 m großer Garten grenzt an eine öffentliche Grünanlage der beklagten Stadt. Dort stehen in einem Abstand von 9 bzw. 10,30 m von der Grenze zwei ca. 25 m hohe, gesunde Eschen. Die Kläger verlangen die Beseitigung dieser Bäume mit der Begründung, ihr Garten werde vollständig verschattet. Er eigne sich infolgedessen weder zur Erholung noch zur Hege und Pflege der von ihnen angelegten anspruchsvollen Bonsai-Kulturen. Das Wachstum der Bäume sei für sie bei Erwerb des Hauses nicht vorhersehbar gewesen. Derartig hoch wachsende Laubbäume seien mit einer konzeptionell nach Süden ausgerichteten Bungalow-Siedlung unvereinbar. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Kläger zurückgewiesen.

Der für das Nachbarrecht zuständige V. Zivilsenat hat dieses Urteil heute bestätigt. Ein Beseitigungsanspruch gemäß § 1004 Abs. 1 BGB* setzt voraus, dass das Eigentum der Kläger beeinträchtigt wird. Daran fehlt es. Eine Benutzung des Grundstücks in dessen räumlichen Grenzen – hier durch die auf dem Grundstück der Beklagten wachsenden Bäume – ist im Zweifel von dem Eigentumsrecht des Nachbarn gedeckt. Zwar können nach dem in § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB** enthaltenen Maßstab bestimmte Einwirkungen auf das benachbarte Grundstück durch den Nachbarn abgewehrt werden. Dazu zählt aber nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, die bereits das Reichsgericht begründet hat, der Entzug von Luft und Licht als sogenannte „negative“ Einwirkung nicht. Dies hat der Senat im Hinblick auf Anpflanzungen erneut bestätigt.

Allerdings wird das Eigentum des angrenzenden Nachbarn durch den Schattenwurf von Pflanzen und Bäumen im Sinne von § 1004 BGB beeinträchtigt, wenn die in den Landesnachbargesetzen enthaltenen Abstandsvorschriften nicht eingehalten werden. Dies ist hier nicht der Fall, weil der nach dem maßgeblichen nordrhein-westfälischen Landesrecht für stark wachsende Bäume vorgeschriebene Abstand von 4 m (§ 41 Abs. 1 Nr. 1a NachbG NRW) gewahrt ist. Ein aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis hergeleiteter Beseitigungsanspruch kommt mit Rücksicht auf die nachbarrechtlichen Sonderregelungen nur in Ausnahmefällen in Betracht. Er setzt voraus, dass die Kläger wegen der Höhe der Bäume ungewöhnlich schweren und nicht mehr hinzunehmenden Nachteilen ausgesetzt werden. Daran fehlt es, selbst wenn insoweit – was der Senat offengelassen hat – nicht auf die Verschattung des gesamten Grundstücks, sondern nur auf die der Gartenfläche abzustellen wäre. Denn das Oberlandesgericht ist nachvollziehbar zu dem Ergebnis gekommen, dass die Bepflanzung den Klägern noch zuzumuten sei, weil es an einer ganzjährigen vollständigen Verschattung der Gartenfläche fehle. Zudem ist bei der erforderlichen Abwägung auch zu berücksichtigen, dass der vorgeschriebene Abstand um mehr als das Doppelte überschritten wird. Umso mehr tritt in den Vordergrund, dass öffentliche Grünanlagen zum Zwecke der Luftverbesserung, zur Schaffung von Naherholungsräumen und als Rückzugsort für Tiere gerade auch große Bäume enthalten sollen, für deren Anpflanzung auf vielen privaten Grundstücken kein Raum ist. Die damit einhergehende Verschattung ist Ausdruck der Situationsgebundenheit des klägerischen Grundstücks, das am Rande einer öffentlichen Grünanlage belegen ist.   

LG Bielefeld – Urteil vom 26. November 2013 – 1 O 307/12

OLG Hamm – Urteil vom 1. September 2014 – I-5 U 229/13

Karlsruhe, den 10. Juli 2015

*§ 1004 Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch

(1) Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.

(2) Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist.

**§ 906 BGB Zuführung unwägbarer Stoffe

(1) Der Eigentümer eines Grundstücks kann die Zuführung von Gasen, Dämpfen, Gerüchen, Rauch, Ruß, Wärme, Geräusch, Erschütterungen und ähnliche von einem anderen Grundstück ausgehende Einwirkungen insoweit nicht verbieten, als die Einwirkung die Benutzung seines Grundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt. (…)

(2) Das Gleiche gilt insoweit, als eine wesentliche Beeinträchtigung durch eine ortsübliche Benutzung des anderen Grundstücks herbeigeführt wird und nicht durch Maßnahmen verhindert werden kann, die Benutzern dieser Art wirtschaftlich zumutbar sind. (…)

Nr. 116/2015 vom 10.07.2015
Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

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Hintergrundmusik in Zahnarztpraxen

Hintergrundmusik in Zahnarztpraxen

Urteil vom 18. Juni 2015 – I ZR 14/14

Der unter anderem für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute entschieden, dass die Wiedergabe von Hintergrundmusik in Zahnarztpraxen im Allgemeinen keine – vergütungspflichtige – öffentliche Wiedergabe im Sinne des Urheberrechtsgesetzes darstellt.

Die Klägerin ist die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (GEMA). Sie nimmt die ihr von Komponisten, Textdichtern und Musikverlegern eingeräumten Rechte zur Nutzung von Werken der Tonkunst (mit oder ohne Text) wahr. Sie ist von der Verwertungsgesellschaft Wort (VG Wort) und der Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten (GVL) ermächtigt, die von diesen wahrgenommenen Rechte und Ansprüche der Urheber von Sprachwerken (VG Wort) sowie der ausübenden Künstler und Tonträgerhersteller (GVL) geltend zu machen. Der Beklagte ist Zahnarzt und betreibt eine zahnärztliche Praxis. In deren Wartebereich werden Hörfunksendungen als Hintergrundmusik übertragen.

Die Parteien haben am 6. August 2003 einen urheberrechtlichen Lizenzvertrag geschlossen, mit dem die Klägerin dem Beklagten das Recht zur Nutzung des Repertoires der GEMA, der VG-Wort und der GVL zur Wiedergabe von Hörfunksendungen in seiner Praxis gegen Zahlung einer Vergütung eingeräumt hat.

Der Beklagte hat der Klägerin zum 17. Dezember 2012 die fristlose Kündigung des Lizenzvertrags erklärt. Diese hat er damit begründet, dass die Wiedergabe von Hintergrundmusik in Zahnarztpraxen nach dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 15. März 2012 (C-135/10) keine öffentliche Wiedergabe darstelle.

Die Klägerin hat den Beklagten mit ihrer Klage auf Zahlung der für den Zeitraum vom 1. Juni 2012 bis zum 31. Mai 2013 geschuldeten Vergütung von 113,57 € in Anspruch genommen.

Das Amtsgericht hat den Beklagten zur Zahlung von 61,64 € nebst Zinsen verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Das Landgericht hat angenommen, die Klägerin könne von dem Beklagten lediglich die Zahlung einer anteiligen Vergütung für den Zeitraum vom 1. Juni 2012 bis zum 16. Dezember 2012 in Höhe von 61,64 € beanspruchen. Der Lizenzvertrag sei durch die fristlose Kündigung des Beklagten mit Wirkung zum 17. Dezember 2012 beendet worden.

Mit ihrer vom Landgericht zugelassenen Revision hat die Klägerin die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung der auf den Zeitraum vom 17. Dezember 2012 bis zum 31. Mai 2013 entfallenden Vergütung 51,93 € erstrebt. Die Revision hatte keinen Erfolg. Die Klägerin kann die restliche Vergütung nicht beanspruchen, weil der Lizenzvertrag durch die fristlose Kündigung des Beklagten mit Wirkung zum 17. Dezember 2012 beendet worden ist. Der Beklagte war zu einer fristlosen Kündigung berechtigt, weil die Geschäftsgrundlage des Lizenzvertrages durch das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 15. März 2012 entfallen ist.

Die Parteien hatten den Lizenzvertrag am 6. August 2003 in der damals zutreffenden Annahme geschlossen, dass die Rechtsprechung in der Lautsprecherübertragung von Hörfunksendungen in Wartezimmern von Arztpraxen eine – vergütungspflichtige – öffentliche Wiedergabe im Sinne von § 15 Abs. 3 UrhG* sieht, die zum einen in das ausschließliche Recht der Urheber von Musikwerken oder Sprachwerken eingreift, Funksendungen ihrer Werke durch Lautsprecher öffentlich wahrnehmbar zu machen (§ 22 Satz 1 Fall 1 UrhG**) und zum anderen einen Anspruch der ausübenden Künstler auf angemessene Vergütung begründet, soweit damit Sendungen ihrer Darbietungen öffentlich wahrnehmbar gemacht werden (§ 78 Abs. 2 Nr. 3 Fall 1 UrhG***).

Dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 15. März 2012 ist zu entnehmen, dass eine öffentliche Wiedergabe im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft****  und Art. 8 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 2006/115/EG zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums***** jedenfalls voraussetzt, dass die Wiedergabe gegenüber einer unbestimmten Zahl potentieller Adressaten und recht vielen Personen erfolgt. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat mit diesem Urteil ferner entschieden, dass diese Voraussetzungen im Allgemeinen nicht erfüllt sind, wenn ein Zahnarzt in seiner Praxis für seine Patienten Hörfunksendungen als Hintergrundmusik wiedergibt.

Der Bundesgerichtshof ist an die Auslegung  des Unionsrechts durch den Gerichtshof der Europäischen Union gebunden und hat die entsprechenden Bestimmungen des nationalen Rechts richtlinienkonform auszulegen. Der vom Bundesgerichtshof zu beurteilende Sachverhalt stimmte darüber hinaus in allen wesentlichen Punkten mit dem Sachverhalt überein, der dem Gerichtshof der Europäischen Union bei seiner Entscheidung vorgelegen hatte. Der Bundesgerichtshof hat daher entschieden, dass die Wiedergabe von Hörfunksendungen in Zahnarztpraxen im Allgemeinen – und so auch bei dem Beklagten – nicht öffentlich und damit auch nicht vergütungspflichtig ist.

Vorinstanzen:

AG Düsseldorf – Urteil vom 17. Oktober 2013 – 57 C 12732/12

LG Düsseldorf – Urteil vom 4. April 2013 – 23 S 144/13, juris

Karlsruhe, den 18. Juni 2015

*§ 15 Abs. 3 UrhG:

Die Wiedergabe ist öffentlich, wenn sie für eine Mehrzahl von Mitgliedern der Öffentlichkeit bestimmt ist. Zur Öffentlichkeit gehört jeder, der nicht mit demjenigen, der das Werk verwertet, oder mit den anderen Personen, denen das Werk in unkörperlicher Form wahrnehmbar oder zugänglich gemacht wird, durch persönliche Beziehungen verbunden ist.

**§ 22 Satz 1 UrhG:

Das Recht der Wiedergabe von Funksendungen (…) ist das Recht, Funksendungen (…) des Werkes durch (…) Lautsprecher (…) öffentlich wahrnehmbar zu machen.

***§ 78 Abs. 2 Nr. 3 UrhG:

Dem ausübenden Künstler ist eine angemessene Vergütung zu zahlen, wenn die Sendung (…) der Darbietung öffentlich wahrnehmbar gemacht wird.

****Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 29/2001/EG:

Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass den Urhebern das ausschließliche Recht zusteht, die drahtgebundene oder drahtlose öffentliche Wiedergabe ihrer Werke (…) zu erlauben oder zu verbieten.

*****Art. 8 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 2006/115/EG:

Die Mitgliedstaaten sehen ein Recht vor, das bei Nutzung eines zu Handelszwecken veröffentlichten Tonträgers oder eines Vervielfältigungsstücks eines solchen Tonträgers für (…) eine öffentliche Wiedergabe die Zahlung einer einzigen angemessenen Vergütung durch den Nutzer und die Aufteilung dieser Vergütung auf die ausübenden Künstler und die Tonträgerhersteller gewährleistet.

Nr. 101/2015 vom 18.06.2015
Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

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Altkanzler Kohl kann Herausgabe der Tonbänder verlangen

Altkanzler Kohl kann Herausgabe der Tonbänder verlangen

Urteil vom 10. Juli 2015 – V ZR 206/14

Der Kläger, der ehemalige Bundeskanzler Dr. Kohl, und der Beklagte, ein bekannter Journalist, schlossen 1999 mit einem Verlag jeweils selbständige, inhaltlich aber aufeinander abgestimmte Verträge. Gegenstand dieser Verträge war die Erstellung der Memoiren des Klägers; die schriftliche Abfassung des Werkes sollte durch den Beklagten erfolgen. Die Parteien, die die Einzelheit ihrer Zusammenarbeit unmittelbar miteinander besprechen sollten, trafen sich in den Jahren 2001 und 2002 an über 100 Tagen im Wohnhaus des Klägers zu Gesprächen, die insgesamt etwa 630 Stunden dauerten und mit einem vom Beklagten zur Verfügung gestellten Tonbandgerät aufgenommen wurden. Der Kläger sprach dabei auf Fragen und Stichworte des Beklagten ausführlich über sein gesamtes Leben, sowohl über die Zeit, in der er höchste politische Ämter innehatte, als auch über seinen vorherigen Werdegang. Die Tonbänder, die der Kläger persönlich zu keinem Zeitpunkt in den Händen hatte, nahm der Beklagte zur Vorbereitung der geplanten Buchveröffentlichung jeweils mit nach Hause. Später überwarfen sich die Parteien. Der Kläger kündigte die Zusammenarbeit mit dem Beklagten. Der Beklagte wurde von dem Verlag finanziell abgefunden. Der Kläger verlangt die Herausgabe sämtlicher Tonaufnahmen, auf denen seine Stimme zu hören ist und die in den Jahren 2001 und 2002 von dem Beklagten aufgenommen wurden. Seine Klage war in den Vorinstanzen erfolgreich.

Der u.a. für Besitz und Eigentum an beweglichen Sachen zuständige V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat die Revision des Beklagten zurückgewiesen.  

Der Kläger ist zwar nicht – wie das Oberlandesgericht meint – durch „Verarbeitung“ (§ 950 Abs. 1 Satz 1 BGB) Eigentümer der Tonbänder geworden. Ein Tonband wird allein durch das Aufnehmen von Tondokumenten nicht zu einer neuen Sache;  dass die Tondokumente historisch wertvoll und einmalig sind, ändert daran nichts.  

Die Tonbänder sind aber aufgrund eines zwischen den Parteien bestehenden Auftragsverhältnisses herauszugeben. Die Parteien haben in Ausführung der Verlagsverträge miteinander konkludent eine rechtlich verbindliche Vereinbarung über das von dem Kläger zur Verfügung zu stellende Material getroffen. Diese Vereinbarung stellt rechtlich ein auftragsähnliches Rechtsverhältnis dar, wobei der Kläger als Auftraggeber anzusehen ist. Denn allein dieser hatte nach den Verlagsverträgen über den Inhalt der Memoiren zu entscheiden. Nachdem der Kläger die Zusammenarbeit beendet und damit den Auftrag widerrufen hat, ist der Beklagte nach § 667 BGB verpflichtet, ihm alles herauszugeben, was er zur Ausführung des Auftrags erhalten und aus der Geschäftsbesorgung erlangt hat. Hiervon erfasst sind nicht nur zur Verfügung gestellte Dokumente, sondern auch die dem Beklagten mitgeteilten und von ihm aufgezeichneten persönlichen Erinnerungen und Gedanken des Klägers. Auf das Eigentum an den Tonbändern, auf denen die Lebenserinnerungen des Klägers aufgezeichnet sind, kommt es nicht an. Wer fremde Geschäfte besorgt und damit auf die Interessen eines anderen zu achten hat, soll aus der Ausführung des Auftrags keine Vorteile haben, die letztlich dem Auftraggeber gebühren. Setzt der Beauftragte zur Erfüllung des Auftrags untergeordnete Hilfsmittel, wie beispielsweise ein Tonband, ein, muss er deshalb auch das Eigentum daran  an den Auftraggeber übertragen, wenn das Erlangte anders nicht herausgegeben werden kann.

LG Köln – Urteil vom  12. Dezember 2013 – 14 O 612/12

OLG Köln – Urteil vom 1. August 2014 – 6 U 20/14  

Karlsruhe, den 10. Juli 2015

§ 950 BGB  

(1) 1Wer durch Verarbeitung oder Umbildung eines oder mehrerer Stoffe eine neue bewegliche Sache herstellt, erwirbt das Eigentum an der neuen Sache, sofern nicht der Wert der Verarbeitung oder der Umbildung erheblich geringer ist als der Wert des Stoffes. 2Als Verarbeitung gilt auch das Schreiben, Zeichnen, Malen, Drucken, Gravieren oder eine ähnliche Bearbeitung der Oberfläche.

(2) Mit dem Erwerb des Eigentums an der neuen Sache erlöschen die an dem Stoffe bestehenden Rechte.

§ 667 BGB

Der Beauftragte ist verpflichtet, dem Auftraggeber alles, was er zur Ausführung des Auftrags erhält und was er aus der Geschäftsbesorgung erlangt, herauszugeben.

Nr. 118/2015 vom 10.07.2015
Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

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Keine Geschäftsführung ohne Auftrag beim Transport von Kindern zu Sportveranstaltungen

Keine Geschäftsführung ohne Auftrag beim Transport von Kindern zu Sportveranstaltungen

Urteil vom 23. Juli 2015 – III ZR 346/14  

Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute entschieden, dass es sich, wenn minderjährige Mitglieder eines Amateursportvereins von ihren Familienangehörigen oder Angehörigen anderer Vereinsmitglieder zu Sportveranstaltungen gefahren werden, grundsätzlich – auch im Verhältnis zum Sportverein – um eine reine Gefälligkeit handelt, die sich im außerrechtlichen Bereich abspielt, sodass Aufwendungsersatzansprüche gegen den Verein ausscheiden.

Die Parteien streiten um den Ersatz von Schäden, die die Klägerin bei einem Verkehrsunfall erlitten hat. Die Enkelin der Klägerin spielt in der Mädchen-Fußballmannschaft des beklagten Vereins. Die Mannschaft nahm am 9. Januar 2011 in B. an der Hallenkreismeisterschaft teil. Die Klägerin, die ihre Enkelin zu dieser Veranstaltung bringen wollte, verunfallte mit ihrem PKW auf der Fahrt nach B. und zog sich dabei erhebliche Verletzungen zu. Die A. Versicherungs-AG, bei der der Beklagte eine Sportversicherung unterhält, lehnte die bei ihr angemeldeten Ansprüche der Klägerin ab. Nach den Versicherungsbedingungen würden nur Vereinsmitglieder und zur Durchführung versicherter Veranstaltungen „offiziell eingesetzte“ Helfer Versicherungsschutz genießen; zu diesem Personenkreis gehöre die Klägerin jedoch nicht. Die Klägerin hat daraufhin den Beklagten auf Ersatz ihres materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht den Beklagten – unter Zurückweisung der Berufung bezüglich des begehrten Schmerzensgeldes – zur Zahlung von 2.811,63 € nebst Zinsen verurteilt.  

Der Bundesgerichtshof hat auf die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Beklagten das Urteil des Oberlandesgerichts, soweit zum Nachteil des Beklagten erkannt worden ist, aufgehoben und das klagabweisende landgerichtliche Urteil bestätigt. Nach der Senatsrechtsprechung ist im Bereich der rechtsgeschäftlichen Schuldverhältnisse zwischen einem Auftrags- und einem Gefälligkeitsverhältnis zu unterscheiden. Ob jemand für einen anderen ein Geschäft im Sinne des § 662 BGB besorgt oder jemandem nur eine (außerrechtliche) Gefälligkeit erweist, hängt vom Rechtsbindungswillen ab. Maßgeblich ist insoweit, wie sich dem objektiven Beobachter – nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls mit Rücksicht auf die Verkehrssitte – das Handeln des Leistenden darstellt. Eine vertragliche Bindung wird insbesondere dann zu bejahen sein, wenn erkennbar ist, dass für den Leistungsempfänger wesentliche Interessen wirtschaftlicher Art auf dem Spiel stehen und er sich auf die Leistungszusage verlässt oder wenn der Leistende an der Angelegenheit ein eigenes rechtliches oder wirtschaftliches Interesse hat. Ist dies hingegen nicht der Fall, kann dem Handeln der Beteiligten nur unter besonderen Umständen ein rechtlicher Bindungswillen zugrunde gelegt werden. Ein Bindungswille wird deshalb in der Regel beim sogenannten Gefälligkeitshandeln des täglichen Lebens, bei Zusagen im gesellschaftlichen Bereich oder bei Vorgängen, die diesen ähnlich sind, zu verneinen sein. Genauso muss, um Wertungswidersprüche zu vermeiden, im Bereich der gesetzlichen Schuldverhältnisse zwischen der Geschäftsführung ohne Auftrag nach §§ 677 ff BGB und der (außerrechtlichen) Gefälligkeit ohne Auftrag unterschieden werden. Maßgeblich ist insoweit ebenfalls, wie sich dem objektiven Beobachter – nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls mit Rücksicht auf die Verkehrssitte – das Handeln des Leistenden darstellt. Die Abgrenzung erfolgt unter Berücksichtigung unter anderem der Art der Tätigkeit, ihrem Grund und Zweck, ihrer wirtschaftlichen und rechtlichen Bedeutung für den Geschäftsherrn, der Umstände, unter denen sie erbracht wird, und der dabei entstehenden Interessenlage der Parteien. Gefälligkeiten des täglichen Lebens oder vergleichbare Vorgänge können insoweit regelmäßig den Tatbestand der §§ 677 ff BGB nicht erfüllen.  

Die Klägerin hat im vorliegenden Fall ihre Enkelin nach B. fahren wollen, um dieser die Teilnahme an der Kreismeisterschaft zu ermöglichen. Dies geschah aus Gefälligkeit gegenüber ihrer Enkelin beziehungsweise deren sorgeberechtigten Eltern. An dem Charakter der Fahrt als Gefälligkeit ändert sich nichts dadurch, dass der Transport nicht ausschließlich im alleinigen Interesse der Enkelin und ihrer Eltern, sondern auch im Interesse der Mannschaft und damit des beklagten Sportvereins lag. Der „Bringdienst“ der minderjährigen Spielerinnen zu auswärtigen Spielen war nach den tatrichterlichen Feststellungen Sache der Eltern beziehungsweise anderer Angehöriger oder Freunde. Die Klägerin hat im Rahmen ihrer Anhörungen vor den Instanzgerichten angegeben, die Kinder seien immer privat gefahren worden. Sie selbst habe viele Fahrten durchgeführt und dafür nie etwas bekommen. Wenn sie nicht gefahren wäre, hätte man den Transport innerhalb der Familie oder der übrigen Vereinsmitglieder so umorganisiert, dass eine andere Person ihre Enkelin gefahren hätte. Dieser übliche Ablauf spricht entscheidend dagegen, den auf freiwilliger Grundlage erfolgten Transport der Kinder zu Auswärtsspielen durch Personen aus ihrem persönlichen Umfeld als auf der Grundlage eines mit wechselseitigen Rechten und Pflichten ausgestalteten Schuldverhältnisses erbracht anzusehen. Vielmehr handelt es sich, wenn minderjährige Mitglieder eines Amateursportvereins von ihren Familienangehörigen oder Angehörigen anderer Vereinsmitglieder zu Sportveranstaltungen gefahren werden, grundsätzlich – auch im Verhältnis zum Sportverein – um eine reine Gefälligkeit, die sich im außerrechtlichen Bereich abspielt. Solange keine gegenteiligen Absprachen getroffen werden, scheiden damit Aufwendungsersatzansprüche aus.

LG Stade – Urteil vom 11. Dezember 2013 – 2 O 304/12

Oberlandesgericht Celle – Urteil vom 16. Oktober 2014 – 5 U 16/14

Karlsruhe, den 23. Juli 2015

Nr. 124/2015 vom 23.07.2015
Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

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Unwirksame Entgeltklausel für Buchungen bei der Führung von Geschäftsgirokonten

Unwirksame Entgeltklausel für Buchungen bei der Führung von Geschäftsgirokonten

Urteil vom 28. Juli 2015 – XI ZR 434/14

Der u.a. für das Bankrecht zuständige XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die Unwirksamkeit einer Klausel erkannt, die als Teilentgelt für die Führung eines Geschäftsgirokontos einen einheitlichen „Preis pro Buchungsposten“ festlegt.  

Der Kläger, ein eingetragener Kaufmann, nimmt die beklagte Sparkasse aus eigenem und abgetretenem Recht auf Rückzahlung von vereinnahmten Kontoführungsgebühren in Anspruch.  

Der Kläger und die Zedenten sind auf dem Gebiet der Vermittlung und Verwaltung von Versicherungsverträgen tätig und übernehmen dabei auch das Beitragsinkasso im Auftrag des jeweiligen Versicherers; sie verwalten ca. 25.000 Versicherungsverträge. Dabei kommt es häufig zu einer Rückbelastung von Lastschriften, wofür die Beklagte auf der Grundlage ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen und des Preis- und Leistungsverzeichnisses – neben den Fremdgebühren und einem mit dem Kläger gesondert vereinbarten Entgelt für die Bearbeitung der Rücklastschriften – ein „Buchungspostenentgelt“ („Preis pro Buchungsposten“) in Höhe von 0,32 € erhebt.  

Mit der Klage begehrt der Kläger die Rückzahlung der von der Beklagten in den Jahren 2007 bis 2011 berechneten Buchungspostenentgelte in Höhe von 77.637,38 € nebst Zinsen. Er meint, die Buchungspostenklausel verstoße gegen § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB* und sei daher unwirksam.

Die Klage hat vor dem Landgericht Erfolg gehabt, während sie vom Oberlandesgericht abgewiesen worden ist. Auf die vom Oberlandesgericht zugelassene Revision hat der XI. Zivilsenat dem Kläger Recht gegeben und das landgerichtliche Urteil wiederhergestellt. Die Entscheidung beruht auf folgenden Erwägungen:

Nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB* unterliegen unter anderem solche Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Inhaltskontrolle, durch die von Rechtsvorschriften abweichende Regelungen vereinbart werden. Das trifft auf die vom Kläger beanstandete Klausel sowohl für den Zeitraum vor als auch nach Inkrafttreten des Zahlungsdiensterechts (§§ 675c ff. BGB) am 31. Oktober 2009 zu. Die Klausel ist so auszulegen, dass sie auch Buchungen bepreist, die im Zuge von Bareinzahlungen auf das Konto wie auch Barabhebungen am Schalter sowie im Rahmen der fehlerhaften Ausführung eines Zahlungsauftrags anfallen. Mit der Bepreisung von Ein- und Auszahlungen am Bankschalter unterliegt die streitige Klausel – jedenfalls für den Zeitraum bis zum Inkrafttreten des Zahlungsdiensterechts – als Preisnebenabrede der richterlichen Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB in Verbindung mit § 307 Abs. 1 und 2 BGB, weil die Ein- und Auszahlungen nach den Kategorien des Bürgerlichen Gesetzbuchs entweder einem Darlehen (§§ 488 ff. BGB) oder einer unregelmäßigen Verwahrung (§ 700 BGB) zuzuordnen sind und sich aus der gesetzlichen Regelung beider Vertragstypen Grundsätze für die Frage der Entgeltlichkeit von Ein- und Auszahlungen entnehmen lassen. Mit der Bepreisung von Buchungen, die im Rahmen der fehlerhaften Ausführung eines Zahlungsauftrags anfallen, weicht die Beklagte von den seit dem 31. Oktober 2009 geltenden § 675u Satz 2, § 675y Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 BGB** ab. Nach diesen Vorschriften hat die Bank als Zahlungsdienstleisterin keinen Anspruch auf ein Entgelt, wenn ein Zahlungsauftrag fehlerhaft oder ohne Autorisierung ausgeführt wird. Die Beklagte verlangt dagegen 0,32 €.

Die vom Kläger beanstandete Postenpreisklausel ist auch unwirksam. Für den Zeitraum bis zum Inkrafttreten des Zahlungsdiensterechts ergibt sich die Unangemessenheit der Klausel daraus, dass durch sie mangels Freipostenregelung auch Ein- und Auszahlungen bepreist werden, die indes als Akte zur Begründung oder Erfüllung von Darlehens- oder Verwahrungsverhältnissen zu werten sind, für die nach den gesetzlichen Regelungen des Darlehens und der unregelmäßigen Verwahrung kein Entgelt vorgesehen ist (vgl. Senatsurteile vom 30. November 1993 – XI ZR 80/93, BGHZ 124, 254 und vom 7. Mai 1996 – XI ZR 217/95, BGHZ 133, 10, jeweils für ein privates Girokonto). Für die Zeit nach Inkrafttreten des Zahlungsdiensterechts weicht die Bepreisung jedweder Buchung jedenfalls von der Vorschrift des § 675u BGB ab, wonach die Bank als Zahlungsdienstleisterin keinen Anspruch auf ein Entgelt bei Ausführung eines nicht autorisierten Zahlungsauftrags hat. Von dieser Regelung darf gemäß § 675e Abs. 4 BGB*** auch nicht zum Nachteil eines Unternehmers als Zahlungsdienstnutzer abgewichen werden. Danach ergibt sich die Nichtigkeit der Klausel auch aus § 134 BGB****.

Vorinstanzen:

Landgericht Baden-Baden – Urteil vom 27. November 2012 – 3 O 242/11  

Oberlandesgericht Karlsruhe – Urteil vom 9. September 2014 – 17 U 339/12  

Karlsruhe, den 28. Juli 2015

* § 307 BGB Inhaltskontrolle  

(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.  

(2) Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung  

1. mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder  

2. wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.  

(3) Die Absätze 1 und 2 sowie die §§ 308 und 309 gelten nur für Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Andere Bestimmungen können nach Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 unwirksam sein.  

** § 675u Haftung des Zahlungsdienstleisters für nicht autorisierte Zahlungsvorgänge

Im Fall eines nicht autorisierten Zahlungsvorgangs hat der Zahlungsdienstleister des Zahlers gegen diesen keinen Anspruch auf Erstattung seiner Aufwendungen. Er ist verpflichtet, dem Zahler den Zahlungsbetrag unverzüglich zu erstatten und, sofern der Betrag einem Zahlungskonto belastet worden ist, dieses Zahlungskonto wieder auf den Stand zu bringen, auf dem es sich ohne die Belastung durch den nicht autorisierten Zahlungsvorgang befunden hätte.

§ 675y Haftung der Zahlungsdienstleister bei nicht erfolgter oder fehlerhafter Ausführung eines Zahlungsauftrags; Nachforschungspflicht

(1) Wird ein Zahlungsvorgang vom Zahler ausgelöst, kann dieser von seinem Zahlungsdienstleister im Fall einer nicht erfolgten oder fehlerhaften Ausführung des Zahlungsauftrags die unverzügliche und ungekürzte Erstattung des Zahlungsbetrags verlangen. Wurde der Betrag einem Zahlungskonto des Zahlers belastet, ist dieses Zahlungskonto wieder auf den Stand zu bringen, auf dem es sich ohne den fehlerhaft ausgeführten Zahlungsvorgang befunden hätte. Soweit vom Zahlungsbetrag entgegen § 675q Abs. 1 Entgelte abgezogen wurden, hat der Zahlungsdienstleister des Zahlers den abgezogenen Betrag dem Zahlungsempfänger unverzüglich zu übermitteln. …  

(2) Wird ein Zahlungsvorgang vom oder über den Zahlungsempfänger ausgelöst, kann dieser im Fall einer nicht erfolgten oder fehlerhaften Ausführung des Zahlungsauftrags verlangen, dass sein Zahlungsdienstleister diesen Zahlungsauftrag unverzüglich, gegebenenfalls erneut, an den Zahlungsdienstleister des Zahlers übermittelt. Weist der Zahlungsdienstleister des Zahlungsempfängers nach, dass er die ihm bei der Ausführung des Zahlungsvorgangs obliegenden Pflichten erfüllt hat, hat der Zahlungsdienstleister des Zahlers dem Zahler gegebenenfalls unverzüglich den ungekürzten Zahlungsbetrag entsprechend Absatz 1 Satz 1 und 2 zu erstatten. ….  

(…)  

(4) Ein Zahlungsdienstnutzer kann von seinem Zahlungsdienstleister über die Ansprüche nach den Absätzen 1 und 2 hinaus die Erstattung der Entgelte und Zinsen verlangen, die der Zahlungsdienstleister ihm im Zusammenhang mit der nicht erfolgten oder fehlerhaften Ausführung des Zahlungsvorgangs in Rechnung gestellt oder mit denen er dessen Zahlungskonto belastet hat.  

(…)  

*** § 675e Abweichende Vereinbarungen  

(1) Soweit nichts anderes bestimmt ist, darf von den Vorschriften dieses Untertitels nicht zum Nachteil des Zahlungsdienstnutzers abgewichen werden.  

(…)  

(4) Handelt es sich bei dem Zahlungsdienstnutzer nicht um einen Verbraucher, so können die Parteien vereinbaren, dass § 675d Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 bis 4, § 675f Abs. 4 Satz 2, die §§ 675g, 675h, 675j Abs. 2 und § 675p sowie die §§ 675v bis 676 ganz oder teilweise nicht anzuwenden sind; sie können auch eine andere als die in § 676b vorgesehene Frist vereinbaren.

**** § 134 BGB Gesetzliches Verbot  

Ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, ist nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt.

Nr. 129/2015 vom 28.07.2015
Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

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Bereicherungsrechtliche Rückabwicklung von Lebens- und Rentenversicherungsverträgen nach Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F.

Bereicherungsrechtliche Rückabwicklung von Lebens- und Rentenversicherungsverträgen nach
Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F.

IV ZR 384/14 – Urteil vom 29. Juli 2015 und

IV ZR 448/14 – Urteil vom 29. Juli 2015

Der für das Versicherungsvertragsrecht zuständige IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte sich erstmals mit Einzelheiten der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung von Lebens- und Rentenversicherungsverträgen zu befassen, in denen die Versicherungsnehmer nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. den Widerspruch gegen das Zustandekommen des Vertrages erklärt hatten.

Die Kläger hatten bei dem beklagten Versicherer im Jahr 1999 bzw. im Jahr 2003 fondsgebundene Renten- bzw. Lebensversicherungsverträge nach dem in § 5a VVG a.F. geregelten sogenannten Policenmodell abgeschlossen. Jahre später kündigten sie die Verträge und erklärten schließlich den Widerspruch nach § 5a VVG a.F. Der Versicherer zahlte auf die Kündigungen hin den jeweiligen Rückkaufswert an die Kläger aus. Diese verlangen nun mit ihren Klagen Rückzahlung aller von ihnen geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich der Rückkaufswerte, da die Verträge infolge der Widersprüche nicht wirksam zustande gekommen seien.

Das Landgericht hat die Klagen abgewiesen, das Oberlandesgericht hat ihnen teilweise stattgegeben. Es hat angenommen, die Versicherungsnehmer hätten die Widersprüche wirksam erklärt und könnten dem Grunde nach Rückzahlung aller Prämien verlangen, müssten sich dabei aber den während der Dauer der Prämienzahlung genossenen Versicherungsschutz anrechnen lassen (vgl. Pressemitteilung Nr. 99/2015). Die Revisionen des beklagten Versicherers, der den Abzug weiterer Positionen von den Klageforderungen erstrebt, hatten im Wesentlichen keinen Erfolg.  

Der IV. Zivilsenat hat bereits mit Urteil vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101, Pressemitteilung Nr. 78/2014) entschieden, dass Versicherungsnehmer bei der nach einem wirksamen Widerspruch durchzuführenden bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung ihrer Lebens- und Rentenversicherungsverträge nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien zurückverlangen können; vielmehr müssen sie sich den jedenfalls bis zur Kündigung des jeweiligen Vertrags genossenen Versicherungsschutz anrechnen lassen.  

Ausgehend hiervon hat das Berufungsgericht in den Streitfällen den geschuldeten Wertersatz auf der Grundlage der Prämienkalkulation des beklagten Versicherers in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise geschätzt und die auf die gezahlten Prämien entfallenden Risikoanteile in Abzug gebracht. Lediglich in einem Punkt hat der Bundesgerichtshof einen weiteren Abzug für geboten gehalten. Anders als das Berufungsgericht gemeint hat, muss sich der Versicherungsnehmer zusätzlich zu dem Rückkaufswert, den er bereits vom Versicherer erhalten hat, die Kapitalertragssteuer nebst Solidaritätszuschlag, die der Versicherer bei Auszahlung des Rückkaufswertes für den Versicherungsnehmer an das Finanzamt abgeführt hat, als Vermögensvorteil anrechnen lassen.

Weitere Positionen, die der Versicherer in Abzug bringen wollte, hat das Berufungsgericht hingegen zu Recht nicht berücksichtigt. Dies gilt insbesondere für die vom Versicherer geltend gemachten Abschluss- und Verwaltungskosten. Insoweit kann sich der Versicherer nicht gemäß § 818 Abs. 3 BGB auf den Wegfall der Bereicherung berufen. Die Verwaltungskosten sind bereits deshalb nicht bereicherungsmindernd zu berücksichtigen, weil sie unabhängig von den streitgegenständlichen Versicherungsverträgen angefallen und beglichen worden sind. Hinsichtlich der Abschlusskosten gebietet es der mit der richtlinienkonformen Auslegung des § 5a VVG a.F. bezweckte Schutz des Versicherungsnehmers, dass der Versicherer in Fällen des wirksamen Widerspruchs das Entreicherungsrisiko trägt. Auch die Ratenzahlungszuschläge führen zu keinem teilweisen Wegfall der Bereicherung der Beklagten.

Die Bereicherungsansprüche der Kläger umfassen gemäß § 818 Abs. 1 Alt. 1 BGB auch die durch die Beklagte gezogenen Nutzungen. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass nur die Nutzungen herauszugeben sind, die vom Bereicherungsschuldner tatsächlich gezogen wurden. Es hat zu Recht die Darlegungs- und Beweislast beim Versicherungsnehmer gesehen und ihm einen entsprechenden Tatsachenvortrag abverlangt, der nicht ohne Bezug zur Ertragslage des jeweiligen Versicherers auf eine tatsächliche Vermutung einer Gewinnerzielung in bestimmter Höhe, etwa in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz, gestützt werden kann. Über weitere Einzelfragen des Nutzungsersatzes hatte der Bundesgerichtshof in diesen Revisionsverfahren nicht zu entscheiden, da keine der Parteien Einwendungen gegen die Schätzung des Berufungsgerichts erhoben hat.

IV ZR 384/14 – Urteil vom 29. Juli 2015

OLG Köln – Urteil vom 5. September 2014 – 20 U 77/14

LG Aachen – Urteil vom 11. April 2014 – 9 O 419/13

und

IV ZR 448/14 – Urteil vom 29. Juli 2015

OLG Köln -Urteil vom 17. Oktober 2014 – 20 U 110/14

LG Aachen – Urteil vom 6. Juni 2014 – 9 O 77/14

Die maßgeblichen Normen lauten wie folgt:  

Versicherungsvertragsgesetz in der Fassung des Dritten Gesetzes zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 21. Juli 1994 (Drittes Durchführungsgesetz/EWG zum VAG)  

§ 5a  

(1) Hat der Versicherer dem Versicherungsnehmer bei Antragstellung die Versicherungsbedingungen nicht übergeben oder eine Verbraucherinformation nach § 10a des Versicherungsaufsichtsgesetzes unterlassen, so gilt der Vertrag auf der Grundlage des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der weiteren für den Vertragsinhalt maßgeblichen Verbraucherinformation als abgeschlossen, wenn der Versicherungsnehmer nicht innerhalb von vierzehn Tagen nach Überlassung der Unterlagen schriftlich widerspricht. …  

Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

§ 812

(1) Wer durch Leistung eines anderen oder in sonstiger Weise auf dessen Kosten etwas ohne rechtlichen Grund erlangt, ist ihm zur Herausgabe verpflichtet. …

§ 818

(1) Die Verpflichtung zur Herausgabe erstreckt sich auf die gezogenen Nutzungen …

(3) Die Verpflichtung zur Herausgabe oder zum Ersatz des Wertes ist ausgeschlossen, soweit der Empfänger nicht mehr bereichert ist.

Nr. 131/2015 vom 29.07.2015
Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

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Entgelt für Schwarzarbeit wird auch bei Mängeln nicht zurückgezahlt

Entgelt für Schwarzarbeit wird auch bei Mängeln nicht zurückgezahlt

Der u.a. für das Bauvertragsrecht zuständige VII. Zivilsenat hat am 11. Juni 2015 entschieden, dass dann, wenn ein Werkvertrag wegen Verstoßes gegen das Verbot des § 1 Abs. 2 Nr. 2 SchwarzArbG* vom 23. Juli 2004 nichtig ist, dem Besteller, der den Werklohn bereits gezahlt hat, gegen den Unternehmer auch dann kein Rückzahlungsanspruch unter dem Gesichtspunkt einer ungerechtfertigten Bereicherung zusteht, wenn die Werkleistung mangelhaft ist.

Der Kläger beauftragte den Beklagten 2007 mit der Ausführung von Dachausbauarbeiten. Vereinbart wurde ein Werklohn von 10.000 € ohne Umsatzsteuer. Der Beklagte führte die Arbeiten aus und stellte eine Rechnung ohne Steuerausweis. Der Kläger zahlte den geforderten Betrag. Mit der Klage begehrt er jetzt Rückzahlung von 8.300 € wegen Mängeln der Werkleistung.

Das Oberlandesgericht hat der Klage insoweit stattgegeben. Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat die Entscheidung des Oberlandesgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen.

Der Beklagte hat bewusst gegen § 1 Abs. 2 Nr. 2 SchwarzArbG verstoßen, indem er mit dem Kläger, der dies auch zu seinem Vorteil ausgenutzt hat, vereinbart, dass für den Werklohn keine Rechnung mit Steuerausweis gestellt und keine Umsatzsteuer gezahlt werden sollte.

Der Bundesgerichtshof hat bereits entschieden, dass in solchen Fällen weder Mängelansprüche des Bestellers noch Zahlungsansprüche des Werkunternehmers bestehen (BGH, Urteile vom 1. August 2013 – VII ZR 6/13 und vom 10. April 2014 – VII ZR 241/13, vgl. Pressemitteilungen vom 1. August 2013 und vom 10. April 2014).

Dem Kläger (Besteller) steht auch kein Anspruch auf Ausgleich der Bereicherung des Beklagten (Unternehmers) zu, die darin besteht, dass er für die mangelhafte Werkleistung zu viel bezahlt hat. Zwar kann ein Besteller, der aufgrund eines nichtigen Vertrags Leistungen erbracht hat, von dem Unternehmer grundsätzlich die Herausgabe dieser Leistungen verlangen. Dies gilt jedoch gem. § 817 Satz 2 BGB** nicht, wenn der Besteller mit seiner Leistung gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen hat. Das ist hier der Fall. Entsprechend der Zielsetzung des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes, die Schwarzarbeit zu verhindern, verstößt nicht nur die vertragliche Vereinbarung der Parteien gegen ein gesetzliches Verbot, sondern auch die in Ausführung dieser Vereinbarung erfolgende Leistung, somit auch die Zahlung.

Der Anwendung des § 817 Satz 2 BGB stehen die Grundsätze von Treu und Glauben nicht entgegen. Die Durchsetzung der vom Gesetzgeber mit dem Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz verfolgten Ziele, die Schwarzarbeit effektiv einzudämmen, erfordert eine strikte Anwendung dieser Vorschrift. Insoweit ist eine andere Sicht geboten, als sie vom Senat noch zum Bereicherungsanspruch nach einer Schwarzarbeiterleistung vertreten wurde, die nach der alten Fassung des Gesetzes zur Bekämpfung der Schwarzarbeit zu beurteilen war (BGH, Urteil vom 31. Mai 1990 – VII ZR 336/89).

LG Verden – Urteil vom 14. März 2014 – 8 O 3/11

OLG Celle – Urteil vom 28. August 2014 – 6 U 49/14

Karlsruhe, den 15. Juni 2015

*§ 1 Abs. 2 Nr. 2 Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz

Schwarzarbeit leistet, wer Dienst-oder Werkleistungen erbringt oder ausführen lässt und dabei als Steuerpflichtiger seine sich aufgrund der Dienst- oder Werkleistungen ergebenden steuerlichen Pflichten nicht erfüllt.

**§ 817 BGB

War der Zweck einer Leistung in der Art bestimmt, dass der Empfänger durch die Annahme gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstoßen hat, so ist der Empfänger zur Herausgabe verpflichtet. Die Rückforderung ist ausgeschlossen, wenn dem Leistenden gleichfalls ein solcher Verstoß zur Last fällt, es sei denn, dass die Leistung in der Eingehung einer Verbindlichkeit bestand; das zur Erfüllung einer solchen Verbindlichkeit Geleistete kann nicht mehr zurückgefordert werden.

Nr. 095/2015 vom 15.06.2015
Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

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