Verschuldensunabhängiger nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch auch im Verhältnis von Wohnungseigentümern?

Verschuldensunabhängiger nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch auch im Verhältnis von Wohnungseigentümern?

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat sich heute in einer Entscheidung mit der Frage befasst, ob ein Wohnungseigentümer eine Entschädigung für Vermögensnachteile verlangen kann, die er durch eine von einer benachbarten Wohnung ausgehenden rechtswidrigen Einwirkung auf seine Wohnung erlitten hat, wenn ein Verschulden des Nachbarn nicht festzustellen ist, und ob dies auch im Verhältnis von Mietern gilt, die die Räume von Wohnungseigentümern angemietet haben.

Die Beklagte betrieb im dritten Obergeschoss eines Gebäudes ein ambulantes Operationszentrum. In dem darunter liegenden Stockwerk befand sich die Arztpraxis von Dr. W. (im Folgenden Versicherungsnehmer), dessen Versicherer die Klägerin ist. Das Grundstück ist nach dem Wohnungseigentumsgesetz geteilt. Sowohl der Beklagten als auch dem Versicherungsnehmer waren die von ihnen genutzten Räume, die im (Sonder-)Eigentum unterschiedlicher Wohnungseigentümer stehen, jeweils mietweise überlassen worden. In der Nacht vom 7. auf den 8. Juni 2007 löste sich im Sterilisationsraum der Beklagten eine Schlauchverbindung, wodurch es zu einem Wasseraustritt und zu Schäden auch in den Praxisräumen des Versicherungsnehmers kam. Den Schaden glich die klagende Versicherung in Höhe von 165.889,76 € aus. Diesen Betrag verlangt sie nunmehr von der Beklagten aus übergegangenem Recht.  

Das Landgericht hat der Klage dem Grunde nach stattgegeben. Die dagegen eingelegte Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Dabei hat es offen gelassen, ob die Beklagte ein Verschulden an dem Schadensereignis trifft, weil es darauf nach der entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht ankomme.

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat das Berufungsurteil bestätigt, soweit es um die analoge Anwendung der genannten Vorschrift geht. Im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Eigentümern benachbarter Grundstücke ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass dem beeinträchtigten Grundstückseigentümer bzw. dessen Mieter ein verschuldensunabhängiger Ausgleichsanspruch in entsprechender Anwendung von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB zustehen kann. Gleiches gilt im Verhältnis von Sondereigentümern (bzw. hier deren Mietern), weil es sich bei dem Sondereigentum um „echtes Eigentum“ handelt, das dem Wohnungseigentümer alleine zusteht, und mit dem dieser grundsätzlich nach Belieben verfahren und jeden anderen von Einwirkungen hierauf ausschließen kann. Da das Sondereigentum als eine Art Ersatzgrundstück fungiert, sind die Wohnungseigentümer insoweit wie Eigentümer benachbarter Grundstücke zu behandeln.

Gleichwohl hat der Bundesgerichtshof das Berufungsurteil wegen eines Verfahrensfehlers aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen, das ggf. noch über die Höhe der Entschädigung entscheiden muss.

* § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB  

(1) Der Eigentümer eines Grundstücks kann die Zuführung von Gasen, Dämpfen, Gerüchen, Rauch, Ruß, Wärme, Geräusch, Erschütterungen und ähnliche von einem anderen Grundstück ausgehende Einwirkungen insoweit nicht verbieten, als die Einwirkung die Benutzung seines Grundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt. Eine unwesentliche Beeinträchtigung liegt in der Regel vor, wenn die in Gesetzen oder Rechtsverordnungen festgelegten Grenz- oder Richtwerte von den nach diesen Vorschriften ermittelten und bewerteten Einwirkungen nicht überschritten werden. Gleiches gilt für Werte in allgemeinen Verwaltungsvorschriften, die nach § 48 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes erlassen worden sind und den Stand der Technik wiedergeben.  

(2) Das Gleiche gilt insoweit, als eine wesentliche Beeinträchtigung durch eine ortsübliche Benutzung des anderen Grundstücks herbeigeführt wird und nicht durch Maßnahmen verhindert werden kann, die Benutzern dieser Art wirtschaftlich zumutbar sind. Hat der Eigentümer hiernach eine Einwirkung zu dulden, so kann er von dem Benutzer des anderen Grundstücks einen angemessenen Ausgleich in Geld verlangen, wenn die Einwirkung eine ortsübliche Benutzung seines Grundstücks oder dessen Ertrag über das zumutbare Maß hinaus beeinträchtigt.  

V ZR 230/12 – Urteil vom 25. Oktober 2013

LG Aachen – Urteil vom 19. Dezember 2011 – 11 O 279/11  

OLG Köln – Urteil vom 11. September 2012 – 3 U 7/12  

Karlsruhe, den 25. Oktober 2013
 

 

Nr. 178/2013 vom 25.10.2013

Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

Read More

Wohnungseingangstüren stehen im gemeinschaftlichen Eigentum der Wohnungseigentümer

Wohnungseingangstüren stehen im gemeinschaftlichen Eigentum der Wohnungseigentümer

Der unter anderem für das Wohnungseigentumsrecht zuständige V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute entschieden, dass Wohnungseingangstüren nicht im Sondereigentum des jeweiligen Wohnungseigentümers stehen, sondern zwingend Teil des gemeinschaftlichen Eigentums der Wohnungseigentümer sind. Das gilt selbst dann, wenn die Teilungserklärung die Tür dem Sondereigentum zuordnet.

In dem zugrunde liegenden Fall erfolgt der Zutritt zu den einzelnen Wohnungen der Wohnungseigentumsanlage über Laubengänge, die von dem Treppenhaus aus zugänglich sind. In einer Eigentümerversammlung beschlossen die Wohnungseigentümer mehrheitlich, dass die an den Laubengängen gelegenen Wohnungseingangstüren der einzelnen Einheiten auf bestimmte Weise zu gestalten seien. Festgelegt wurde unter anderem, dass sie aus Holz in der Farbe „mahagonihell“ gefertigt sein und einen Glasscheibeneinsatz genau festgelegter Größe in „drahtornamentweiß“ enthalten müssten.  

Die Klägerin hält diesen Beschluss für nichtig. Sie meint, die Wohnungseingangstür gehöre zu ihrem Sondereigentum. Jedenfalls dürfe sie über die farbliche Gestaltung der Innenseite ihrer Tür selbst entscheiden.   

Das Amtsgericht hat antragsgemäß die Nichtigkeit des Beschlusses festgestellt. Das Landgericht hat das Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Der unter anderem für das Wohnungseigentumsrecht zuständige V. Zivilsenat hat die Revision der Klägerin zurückgewiesen. Er hat zur Begründung ausgeführt, dass Wohnungseingangstüren räumlich und funktional in einem Zusammenhang sowohl mit dem Sonder- als auch dem Gemeinschaftseigentum stehen, weil sie der räumlichen Abgrenzung von Gemeinschafts- und Sondereigentum dienen. Erst durch ihre Einfügung wird die Abgeschlossenheit der dem Sondereigentum zugewiesenen Räume hergestellt, die vorliegen soll, damit Sondereigentum entstehen kann (§ 3 Abs. 2 Satz 1, § 7 Abs. 4 Nr. 2 WEG). Weil sie damit räumlich und funktional (auch) zu dem Gemeinschaftseigentum gehören, steht die gesamte Tür als einheitliche Sache im gemeinschaftlichen Eigentum. Mit der Frage, ob die Klägerin die Innenseite der Tür farblich anders gestalten darf, befasst sich der Beschluss nicht; hierüber hatte der Senat deshalb nicht zu befinden.

Die zitierte Vorschrift lautet:

§ 5 WEG Gegenstand und Inhalt des Sondereigentums

(1) Gegenstand des Sondereigentums sind die gemäß § 3 Abs. 1 bestimmten Räume sowie die zu diesen Räumen gehörenden Bestandteile des Gebäudes, die verändert, beseitigt oder eingefügt werden können, ohne dass dadurch das gemeinschaftliche Eigentum oder ein auf Sondereigentum beruhendes Recht eines anderen Wohnungseigentümers über das nach § 14 zulässige Maß hinaus beeinträchtigt oder die äußere Gestaltung des Gebäudes verändert wird.

(2) Teile des Gebäudes, die für dessen Bestand oder Sicherheit erforderlich sind, sowie Anlagen und Einrichtungen, die dem gemeinschaftlichen Gebrauch der Wohnungseigentümer dienen, sind nicht Gegenstand des Sondereigentums, selbst wenn sie sich im Bereich der im Sondereigentum stehenden Räume befinden.

Urteil vom 25. Oktober 2013 – V ZR 212/12

AG Lüdenscheid – Urteil vom 19. Januar 2012 – 97a C 33/11

LG Dortmund – Urteil vom 20. Juli 2012 – 17 S 55/12

Karlsruhe, den 25. Oktober 2013

 

 

Nr. 177/2013 vom 25.10.2013

Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

Read More

Zur Anwendbarkeit des § 573a BGB* bei einer mietvertraglichen Kündigungsbeschränkung

Der Bundesgerichtshof hat sich heute in einer Entscheidung mit der Frage befasst, ob ein Vermieter das Mietverhältnis trotz einer mit seinem Rechtsvorgänger vereinbarten mietvertraglichen Kündigungsbeschränkung gemäß § 573a BGB kündigen kann.

Die Beklagte mietete mit Vertrag vom 12. März 1998 eine Wohnung im zweiten Obergeschoss eines Mehrfamilienhauses in Berlin. Bei Vertragsschluss befanden sich in dem Gebäude drei einzeln vermietete Wohnungen. In § 4 des auf unbestimmte Zeit abgeschlossenen Mietvertrags heißt es unter anderem:

„Die (Vermieterin) wird das Mietverhältnis grundsätzlich nicht auflösen. Sie kann jedoch in besonderen Ausnahmefällen das Mietverhältnis schriftlich unter Einhaltung der gesetzlichen Fristen kündigen, wenn wichtige berechtigte Interessen der (Vermieterin) eine Beendigung des Mietverhältnisses notwendig machen. Die fristlose Kündigung richtet sich nach den gesetzlichen Vorschriften (siehe Nr. 9 AVB).“

Im Juli 2006 verkaufte die ursprüngliche Vermieterin das Gebäude. Der notarielle Kaufvertrag enthielt eine an spätere Erwerber weiterzugebende Mieterschutzbestimmung, die eine Kündigung wegen Eigenbedarfs und die Verwertungskündigung ausschloss. Der Weiterverkauf an die Kläger im Jahr 2009 erfolgte ohne die Mieterschutzbestimmung. Die Kläger legten die beiden Wohnungen im Erdgeschoss und ersten Obergeschoss zusammen und bewohnen sie seitdem.

Die Kläger kündigten das Mietverhältnis mit Schreiben vom 2. November 2009 zum 31. Juli 2010, da sie die Wohnung der Schwester der Klägerin überlassen wollten. Am 30. Juni 2010 kündigten sie nochmals vorsorglich wegen Eigenbedarfs und stützten die Kündigung hilfsweise auf § 573a BGB*. Die Beklagte widersprach beiden Kündigungen unter Berufung auf Härtegründe.

Das Amtsgericht hat die Räumungsklage abgewiesen, das Landgericht hat ihr unter Abänderung des amtsgerichtlichen Urteils stattgegeben. Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision hatte Erfolg. Der unter anderem für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass eine Kündigung nach § 573a Abs. 1 Satz 1 BGB durch die im Mietvertrag enthaltene Kündigungsbeschränkung ausgeschlossen ist. Gemäß § 566 Abs. 1 BGB* tritt der Erwerber vermieteten Wohnraums anstelle des Vermieters in die Rechte und Pflichten aus dem Mietverhältnis ein. Dies gilt auch für die Kündigungsbeschränkung. Überdies hat das Berufungsgericht zu der Frage, ob die Beklagte nach § 574 Abs. 1 BGB* die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen kann, rechtsfehlerhaft den wesentlichen Kern des Sachverständigengutachtens zu den schwerwiegenden Krankheitssymptomen der Beklagten nicht zu Kenntnis genommen und die gebotene Abwägung dieser Umstände mit dem Erlangungsinteresse der Kläger unterlassen. Da das Berufungsgericht über die – nicht generell von der Kündigungsbeschränkung erfasste – Eigenbedarfskündigung noch nicht entschieden hat, war das Berufungsurteil aufzuheben und der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des Berufungsgerichts zurückzuverweisen.

* § 573 a BGB

(1) Ein Mietverhältnis über eine Wohnung in einem vom Vermieter selbst bewohnten Gebäude mit nicht mehr als zwei Wohnungen kann der Vermieter auch kündigen, ohne dass es eines berechtigten Interesses im Sinne des § 573 bedarf. (…)

* 566 BGB

(1) Wird der vermietete Wohnraum nach der Überlassung an den Mieter von dem Vermieter an einen Dritten veräußert, so tritt der Erwerber anstelle des Vermieters in die sich während der Dauer seines Eigentums aus dem Mietverhältnis ergebenden Rechte und Pflichten ein. (…)

* § 574 BGB

(1) Der Mieter kann der Kündigung des Vermieters widersprechen und von ihm die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für den Mieter, seine Familie oder einen anderen Angehörigen seines Haushaltes eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist.

Urteil vom 16. Oktober 2013 – VIII ZR 57/13

AG Berlin-Schöneberg – Urteil vom 24. Mai 2012 – 18 C 200/10

LG Berlin – Urteil vom 19. Februar 2013 – 63 S 232/12

Karlsruhe, den 16. Oktober 2013

Nr. 170/2013 vom 16.10.2013

Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

 Zur Anwendbarkeit des § 573a BGB* bei einer mietvertraglichen Kündigungsbeschränkung

Read More

Zum Recht des Verkäufers, die vom Käufer gewählte Art der Nacherfüllung gemäß § 439 Abs. 3 BGB* zu verweigern

Zum Recht des Verkäufers, die vom Käufer gewählte Art der Nacherfüllung gemäß § 439 Abs. 3 BGB* zu verweigern

Der Bundesgerichtshof hat sich heute in einer Entscheidung mit der Frage befasst, unter welchen Voraussetzungen der Verkäufer die vom Käufer gewählte Art der Nacherfüllung verweigern kann.  

Der Kläger schloss im August 2009 einen Leasingvertrag über einen Neuwagen. Er begehrt von dem Autohaus, das das Fahrzeug geliefert hatte, aus abgetretenem Recht der Leasinggeberin unter Berufung auf verschiedene Mängel des Fahrzeugs Nacherfüllung durch Lieferung eines Neufahrzeugs. Das Landgericht hat die Klage nach Einholung eines Sachverständigengutachtens abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht der Klage mit der Begründung stattgegeben, das Fahrzeug sei jedenfalls insoweit mangelhaft, als die automatisch an- und ausklappenden Außenspiegel nicht zuverlässig funktionierten; die Beklagte könne sich demgegenüber nicht darauf berufen, dass die Lieferung eines Neufahrzeugs für sie mit unverhältnismäßigen Kosten verbunden sei.  

Die von dem unter anderem für das Kaufrecht zuständigen VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs zugelassene Revision hatte Erfolg. Das Berufungsgericht hat es der Beklagten zu Unrecht versagt, sich gegenüber dem geltend gemachten Anspruch auf Ersatzlieferung (§ 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB*) auf das Verweigerungsrecht aus § 439 Abs. 3 BGB* zu berufen. Verweigert der Verkäufer die Nacherfüllung zu Unrecht mit der Begründung, dass keine Mängel vorhanden seien, so kann der Käufer – wie hier – den Anspruch auf Nacherfüllung aus § 437 Nr. 1 BGB, § 439 BGB klageweise geltend machen. Dies hat zur Folge, dass dem Verkäufer unter den Voraussetzungen des § 439 Abs. 3 BGB das Recht zusteht, gerade die vom Käufer gewählte Art der Nacherfüllung wegen unverhältnismäßiger Kosten zu verweigern. Diese Einrede des Verkäufers ist nicht, wie das Berufungsgericht gemeint hat, deshalb ausgeschlossen, weil die Beklagte zunächst jegliche Mängel des Fahrzeugs bestritten und aus diesem Grund die Nacherfüllung insgesamt verweigert hat. Der Verkäufer ist in der Regel nicht daran gehindert, sich auf die Unverhältnismäßigkeit der Kosten der vom Käufer gewählten Art der Nacherfüllung erst im Rechtsstreit über den Nacherfüllungsanspruch zu berufen.  

Da das Berufungsgericht nicht abschließend geprüft hat, ob hinsichtlich des festgestellten Mangels die Voraussetzungen des § 439 Abs. 3 BGB vorliegen, war das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.  

Urteil vom 16. Oktober 2013 – VIII ZR 273/12

LG Regensburg – Urteil vom 23. November 2011 – 1 O 2271/10
OLG Nürnberg – Urteil vom 14. Juni 2012 – 5 U 2605/11

Karlsruhe, den 16. Oktober 2013

* § 437 BGB  

Ist die Sache mangelhaft, kann der Käufer, wenn die Voraussetzungen der folgenden Vorschriften vorliegen und soweit nicht ein anderes bestimmt ist,
1. nach § 439 Nacherfüllung verlangen, (…)  

** § 439 BGB

(1) Der Käufer kann als Nacherfüllung nach seiner Wahl die Beseitigung des Mangels oder die Lieferung einer mangelfreien Sache verlangen. (…)

(3) Der Verkäufer kann die vom Käufer gewählte Art der Nacherfüllung (…) verweigern, wenn sie nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich ist. (…)


 

Nr. 171/2013 vom 16.10.2013

Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

Read More

Lottogewinn fällt in Zugewinnausgleich

Lottogewinn fällt in Zugewinnausgleich

Der u.a. für das Familienrecht zuständige XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat über die Rechtsfrage entschieden, ob ein von einem Ehegatten in dem Zeitraum zwischen Trennung und Zustellung des Scheidungsantrags gemachter Lottogewinn im Rahmen des Zugewinnausgleichs zu berücksichtigen ist.  

Die Beteiligten schlossen im Juli 1971 die Ehe, aus der drei mittlerweile erwachsene Kinder hervorgegangen sind. Sie trennten sich im August 2000. Spätestens seit dem Jahr 2001 lebt der Antragsgegner mit seiner jetzigen Partnerin zusammen. Im November 2008 erzielte er zusammen mit seiner Lebensgefährtin einen Lottogewinn von insgesamt 956.333,10 €. Auf den der Antragstellerin am 31. Januar 2009 zugestellten Scheidungsantrag wurde die Ehe durch Verbundurteil vom 23. Oktober 2009 rechtskräftig geschieden, der Versorgungsausgleich geregelt und der Antragsgegner zur Unterhaltsleistung an die Antragstellerin bis März 2014 verpflichtet. Im vorliegenden Verfahren verlangt die Antragstellerin Zugewinnausgleich in Höhe von insgesamt 242.500 € unter Berücksichtigung der Hälfte des auf den Antragsgegner entfallenden Anteils an dem Lottogewinn. Das Amtsgericht hat den Lottogewinn bei der Berechnung des Endvermögens des Antragsgegners berücksichtigt und dem Antrag der Antragstellerin in vollem Umfang stattgegeben. Auf die Beschwerde des Antragsgegners hat das Oberlandesgericht die erstinstanzliche Entscheidung abgeändert, den Antragsgegner lediglich zur Zahlung von knapp 8.000 € verurteilt und den Antrag im Übrigen zurückgewiesen.  

Der Bundesgerichtshof hat auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin den Beschluss des Oberlandesgerichts aufgehoben und die Entscheidung des Amtsgerichts wiederhergestellt.

Für den von der Antragstellerin geltend gemachten Anspruch auf Zugewinnausgleich war im vorliegenden Fall zum einen von Bedeutung, ob der vom Antragsgegner erzielte Lottogewinn als privilegiertes Anfangsvermögen entsprechend § 1374 Abs. 2 BGB bei der Berechnung des Zugewinns unberücksichtigt bleibt. Der Bundesgerichtshof hat im Anschluss an seine frühere Rechtsprechung entschieden, dass ein während der Zeit des Getrenntlebens von einem Ehepartner erzielter Lottogewinn nicht in entsprechender Anwendung des § 1374 Abs. 2 BGB als privilegierter Vermögenszuwachs angesehen werden kann, schon weil diesem Vermögenserwerb keine der Erbschaft oder Schenkung vergleichbare persönliche Beziehung zugrunde liegt.  

Zum anderen musste der Bundesgerichtshof klären, ob der Antragsgegner die Zahlung des Zugewinnausgleichs wegen grober Unbilligkeit gemäß § 1381 Abs. 1 BGB verweigern kann. Dies hat der Bundesgerichtshof verneint. Allein eine längere Trennungszeit der Ehegatten im Zeitpunkt des Vermögenserwerbs begründet noch keine unbillige Härte der Ausgleichspflicht. Gleiches gilt für den Umstand, dass der durch den Lottogewinn erzielte Vermögenszuwachs keine innere Beziehung zur ehelichen Lebensgemeinschaft hat, weil das Recht des Zugewinnausgleichs, abgesehen von den in § 1374 Abs. 2 BGB genannten Ausnahmen, bewusst nicht nach der Art des Vermögenserwerbs unterscheidet. Auch eine Gesamtschau dieser beiden Umstände führt nicht zur Annahme einer groben Unbilligkeit, zumal die Ehe der Beteiligten bei der Trennung bereits 29 Jahre bestand und aus der Ehe drei Kinder hervorgegangen sind.

Die maßgeblichen Normen lauten wie folgt:

§ 1374 Anfangsvermögen

(1) Anfangsvermögen ist das Vermögen, das einem Ehegatten nach Abzug der Verbindlichkeiten beim Eintritt des Güterstands gehört.

(2) Vermögen, das ein Ehegatte nach Eintritt des Güterstands von Todes wegen oder mit Rücksicht auf ein künftiges Erbrecht, durch Schenkung oder als Ausstattung erwirbt, wird nach Abzug der Verbindlichkeiten dem Anfangsvermögen hinzugerechnet, soweit es nicht den Umständen nach zu den Einkünften zu rechnen ist.

§ 1375 Endvermögen

(1) Endvermögen ist das Vermögen, das einem Ehegatten nach Abzug der Verbindlichkeiten bei der Beendigung des Güterstands gehört. Verbindlichkeiten sind über die Höhe des Vermögens hinaus abzuziehen.

§ 1378 Ausgleichsforderung

(1) Übersteigt der Zugewinn des einen Ehegatten den Zugewinn des anderen, so steht die Hälfte des Überschusses dem anderen Ehegatten als Ausgleichsforderung zu.

§ 1381 Leistungsverweigerung wegen grober Unbilligkeit

(1) Der Schuldner kann die Erfüllung der Ausgleichsforderung verweigern, soweit der Ausgleich des Zugewinns nach den Umständen des Falles grob unbillig wäre.

(2) Grobe Unbilligkeit kann insbesondere dann vorliegen, wenn der Ehegatte, der den geringeren Zugewinn erzielt hat, längere Zeit hindurch die wirtschaftlichen Verpflichtungen, die sich aus dem ehelichen Verhältnis ergeben, schuldhaft nicht erfüllt hat.

§ 1384 Berechnungszeitpunkt des Zugewinns und Höhe der Ausgleichsforderung bei Scheidung

Wird die Ehe geschieden, so tritt für die Berechnung des Zugewinns und für die Höhe der Ausgleichsforderung an die Stelle der Beendigung des Güterstandes der Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags.

Beschluss vom 16. Oktober 2013 – XII ZB 277/12

AG Mönchengladbach – 39 F 232/10 – Beschluss vom 29. Juni 2011

OLG Düsseldorf – II-5  UF 183/11 – Beschluss vom 9. Dezember 2011

Karlsruhe, den 16. Oktober 2013
 


 

Nr. 172/2013 vom 16.10.2013

Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

Read More

Zur Unwirksamkeit einer Haftungsbeschränkung in einer Gebrauchtwagen-Garantiebedingung

Zur Unwirksamkeit einer Haftungsbeschränkung in einer Gebrauchtwagen-Garantiebedingung

Der Bundesgerichtshof hat sich heute in einer Entscheidung mit der Wirksamkeit einer Klausel in einer Gebrauchtwagen-Garantie befasst, die die Garantieansprüche des Käufers an die Durchführung der Wartungs-, Inspektions- und Pflegearbeiten in der Werkstatt des Verkäufers/Garantiegebers oder eine vom Hersteller anerkannten Vertragswerkstatt knüpft.  

Der Kläger macht gegen die Beklagte Ansprüche aus einer Gebrauchtwagen-Garantie geltend. Der Kläger kaufte von einem Autohaus im November 2009 einen Gebrauchtwagen „inkl. 1 Jahr Gebrauchtwagen-Garantie gemäß Bestimmungen der Car-Garantie“. Die vom Kläger und Verkäufer unterzeichnete Garantievereinbarung lautet:

„Der Käufer erhält vom Verkäufer eine Garantie, deren Inhalt sich aus dieser Garantievereinbarung (…) und aus den beiliegenden (…) Garantiebedingungen ergibt. Diese Garantie ist durch die [Beklagte] versichert“.  

In § 4 Buchst. a der maßgeblichen Garantiebedingungen heißt es unter anderem:

„Voraussetzung für jegliche Garantieansprüche ist, dass der Käufer/Garantienehmer (…) an dem Kraftfahrzeug die vom Hersteller vorgeschriebenen oder empfohlenen Wartungs-, Inspektions- und Pflegearbeiten beim Verkäufer/Garantiegeber oder in einer vom Hersteller anerkannten Vertragswerkstatt durchführen lässt (…)“.

Nr. 156/2013 vom 25.09.2013
Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

Read More

Zu den Auswirkungen einer zu einem späteren als dem in § 558b BGB* bestimmten Zeitpunkt begehrten Mieterhöhung auf das Sonderkündigungsrecht des Mieters nach § 561 Abs. 1 BGB**

Zu den Auswirkungen einer zu einem späteren als dem in § 558b BGB* bestimmten Zeitpunkt begehrten Mieterhöhung auf das Sonderkündigungsrecht des Mieters nach § 561 Abs. 1 BGB**

Der Bundesgerichtshof hat sich heute mit den Auswirkungen einer zu einem späteren als dem in § 558b BGB bestimmten Zeitpunkt begehrten Mieterhöhung auf das Sonderkündigungsrecht des Mieters nach § 561 Abs. 1 BGB befasst.  

Die Beklagten sind Mieter einer Wohnung in Berlin. Mit Schreiben vom 7. Januar 2011 wurden sie seitens des Vermieters aufgefordert, mit Wirkung zum 1. August 2011 der Erhöhung der bisherigen Nettokaltmiete um 272,78 € zuzustimmen. Die Beklagten stimmten nicht zu.  

Mit der Klage nimmt der Vermieter die Beklagten auf Zustimmung zu der begehrten Mieterhöhung in Anspruch. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landgericht hat ihr auf die Berufung des Klägers stattgegeben.  

Die vom Bundesgerichtshof zugelassene Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg. Der unter anderem für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat seine Rechtsprechung bestätigt, dass der Vermieter nicht gehindert ist, eine Mieterhöhung erst mit Wirkung zu einem späteren Zeitpunkt als dem sich aus § 558a BGB ergebenden Zeitpunkt geltend zu machen. Rechte des Mieters, insbesondere das dem Mieter bei einer Mieterhöhung zustehende Sonderkündigungsrecht nach § 561 BGB, werden hierdurch nicht unzulässig beschnitten. Begehrt der Vermieter die Mieterhöhung – wie hier – erst zu einem späteren als dem in § 558b BGB genannten Zeitpunkt (hier zum 1. August 2011), ist § 561 BGB nach seinem Sinn und Zweck dahin auszulegen, dass dem Mieter bis unmittelbar vor dem Zeitpunkt des Eintritts der Mieterhöhung (hier bis zum 31. Juli 2011) die Möglichkeit offen bleibt, sich von dem Mietverhältnis durch außerordentliche Kündigung zum Ende des übernächsten Monats (hier 30. September 2011) zu lösen mit der sich anschließenden Rechtsfolge, dass dem Mieter noch für weitere zwei Monate (hier August und September 2011) die Nutzungsmöglichkeit der Wohnung gegen Zahlung der nicht erhöhten Miete verbleibt (§ 561 Abs. 1 Satz 2 BGB). Der Mieter wird durch ein verfrühtes Mieterhöhungsverlangen somit nicht benachteiligt. Das Mieterhöhungsverlangen des Klägers war daher wirksam und hat zur Folge, dass die Beklagten, die von ihrem Sonderkündigungsrecht aus § 561 Abs. 1 Satz 1 BGB keinen Gebrauch gemacht haben, ab 1. August 2011 die – der Höhe nach unstreitige – erhöhte Miete schulden.

* § 558b BGB  

(1) Soweit der Mieter der Mieterhöhung zustimmt, schuldet er die erhöhte Miete mit Beginn des dritten Kalendermonats nach dem Zugang des Erhöhungsverlangens.

(2) Soweit der Mieter der Mieterhöhung nicht bis zum Ablauf des zweiten Kalendermonats nach dem Zugang des Verlangens zustimmt, kann der Vermieter auf Erteilung der Zustimmung klagen. Die Klage muss innerhalb von drei weiteren Monaten erhoben werden. (…)

(4) Eine zum Nachteil des Mieters abweichende Vereinbarung ist unwirksam.

** § 561 BGB

(1) Macht der Vermieter eine Mieterhöhung nach § 558 oder § 559 geltend, so kann der Mieter bis zum Ablauf des zweiten Monats nach dem Zugang der Erklärung des Vermieters das Mietverhältnis außerordentlich zum Ablauf des übernächsten Monats kündigen. Kündigt der Mieter, so tritt die Mieterhöhung nicht ein.

(2) Eine zum Nachteil des Mieters abweichende Vereinbarung ist unwirksam

Urteil vom 25. September 2013 – VIII ZR 280/12  

AG Charlottenburg – Urteil vom 7. November 2011 – 237 C 126/11

LG Berlin – Urteil vom 7. August 2012 – 65 S 430/11  

Karlsruhe, den 25. Oktober 2013

Nr. 157/2013 vom 25.09.2013
Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

Read More

Erwerber von Wohnungseigentum haften nicht für Hausgeldrückstände des Voreigentümers

Erwerber von Wohnungseigentum haften nicht für Hausgeldrückstände des Voreigentümers

Der Bundesgerichtshof hat heute entschieden, dass das Vorrecht der Wohnungseigentümergemeinschaft für Hausgeldrückstände in der Zwangsversteigerung (§ 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG) nicht dazu führt, dass ein Erwerber von Wohnungseigentum für die Hausgeldschulden des Voreigentümers haftet.

In dem zugrunde liegenden Verfahren war der Sohn des Beklagten Eigentümer einer Wohnung, die zu der Anlage der klagenden Wohnungseigentümergemeinschaft gehört. Im April 2010 wurde das Insolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet. Zu diesem Zeitpunkt hatte er – soweit von Interesse – Hausgelder für die Jahre 2009 und 2010 sowie die Nachzahlung aus der Jahresabrechnung für 2009 in Höhe von insgesamt rund 1.100 € nicht beglichen. Die Klägerin meldete die Forderungen in dem Insolvenzverfahren zur Tabelle an. Mit notariellem Vertrag vom 9. Juni 2010 erwarb der Beklagte die Wohnung von dem Insolvenzverwalter und wurde kurz darauf in das Grundbuch als Eigentümer eingetragen. Die Wohnungseigentümergemeinschaft ist der Auffassung, nunmehr hafte der Beklagte mit dem Wohnungseigentum für die Hausgeldrückstände des Voreigentümers. Ihre Klage auf Duldung der Zwangsvollstreckung in das Wohnungseigentum wegen der offenen Forderungen ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben.  

Der unter anderem für das Wohnungseigentumsrecht zuständige V. Zivilsenat hat die Revision der Klägerin zurückgewiesen. Er hat entgegen einer in Rechtsprechung und Rechtsliteratur verbreiteten Auffassung entschieden, dass die Vorschrift des § 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG kein dingliches Recht der klagenden Wohnungseigentümer-gemeinschaft begründet. Der zum 1. Juli 2007 neu gefasste § 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG enthält lediglich eine Privilegierung der dort aufgeführten schuldrechtlichen Ansprüche sowohl im  Zwangsversteigerungs- als auch im Insolvenzverfahren. Der Gesetzgeber wollte zwar eine begrenzte bevorrechtigte Beteiligung der Wohnungseigentümergemeinschaft an dem Veräußerungserlös in der Zwangsversteigerung erreichen, die sich gemäß § 49 InsO auch in der Insolvenz des säumigen Wohnungseigentümers auswirkt; er wollte aber keine sachenrechtlich bislang unbekannte private Last einführen. Ein neues dingliches Recht kann nicht im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung geschaffen werden, weil eine solche Entscheidung dem Gesetzgeber vorbehalten wäre. Die Wohnungseigentümerge-meinschaft kann daher nicht in das Wohnungseigentum des Beklagten vollstrecken.

Urteil vom 13. September 2013 – V ZR 209/12

AG Kaiserslautern – Urteil vom 5. Mai 2011 – 5 C 71/10

LG Landau – Urteil vom 17. August 2012 – 3 S 11/12

Karlsruhe, den 13. September 2013

Nr. 148/2013 vom 13.09.2013
Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

Read More

Berechnung des Rückkaufswerts von bis Ende 2007 geschlossenen Lebensversicherungsverträgen nach erfolgter Kündigung

Berechnung des Rückkaufswerts von bis Ende 2007 geschlossenen Lebensversicherungsverträgen nach erfolgter Kündigung

Der für das Versicherungsvertragsrecht zuständige IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat mit den zwei Urteilen vom heutigen Tag über die Berechnung des Rückkaufswerts von Lebensversicherungen nach erfolgter Kündigung entschieden.

In den zur Beurteilung anstehenden Fällen schlossen die klagenden Versicherungsnehmer jeweils im Jahr 2004 Lebensversicherungsverträge, die sie 2009 kündigten. Die beklagten Versicherer rechneten den von ihnen auf der Grundlage der vereinbarten Allgemeinen Versicherungsbedingungen ermittelten Rückkaufswert ab und zahlten diesen aus. Die Kläger verlangen eine höhere Zahlung und berufen sich darauf, dass der Bundesgerichtshof mit seinem Urteil vom 25. Juli 2012 (IV ZR 201/10, BGHZ 194, 208; Pressemitteilung Nr. 122/12) Klauseln, die vorsehen, dass die Abschlusskosten im Wege des so genannten Zillmerverfahrens mit den ersten Beiträgen des Versicherungsnehmers verrechnet werden, wegen unangemessener Benachteiligung des Versicherungsnehmers für unwirksam erachtet hat. Um derartige Klauseln handelt es sich auch in den hier zu beurteilenden Fällen.

Der Bundesgerichtshof hatte in seiner Entscheidung vom 25. Juli 2012 nicht zu beurteilen, welche Rechtsfolgen sich aus der materiellen Unwirksamkeit dieser Klauseln für die Berechnung des Rückkaufswerts bei vorzeitiger Kündigung ergeben. Diese Frage hat er nunmehr entschieden. Danach ist die Vertragslücke, die durch die Unwirksamkeit der Klauseln über die Berechnung des Rückkaufswerts und der Verrechnung der Abschlusskosten entsteht, im Wege ergänzender Vertragsauslegung dahin zu schließen, dass dem Versicherungsnehmer für den Fall der vorzeitigen Vertragsbeendigung zunächst die versprochene Leistung zusteht. Der vereinbarte Betrag der beitragsfreien Versicherungssumme und des Rückkaufswerts darf aber einen Mindestbetrag nicht unterschreiten, der durch die Hälfte des mit den Rechnungsgrundlagen der Prämienkalkulation berechneten ungezillmerten Deckungskapitals bestimmt wird. Der Bundesgerichtshof hat insoweit seine Rechtsprechung zur Berechnung des Rückkaufswerts bei wegen Intransparenz unwirksamen Klauseln aus der Tarifgeneration 1994 – 2001 (Urteil vom 12. Oktober 2005 – IV ZR 162/03, BGHZ 164, 297) fortgeführt und auch auf die Berechnung des Rückkaufswerts von bis Ende 2007 geschlossenen Verträgen erstreckt, bei denen die Klauseln über die Berechnung des Rückkaufswerts und die Verrechnung der Abschlusskosten wegen unangemessener Benachteiligung des Versicherungsnehmers unwirksam sind. Damit werden bei der Berechnung des Rückkaufswerts alle bis Ende 2007 geschlossenen Verträge, denen die genannten unwirksamen Klauseln zugrunde lagen, nach denselben Grundsätzen behandelt.

Erst bei ab 2008 geschlossenen Verträgen ist für die Berechnung des Rückkaufswerts die Regelung des § 169 Abs. 3 Satz 1 VVG maßgeblich. Eine rückwirkende Anwendung der Vorschrift auf vor dem 1. Januar 2008 geschlossene Verträge kommt demgegenüber ausweislich des gesetzgeberischen Willens nicht in Betracht.

§ 169 Versicherungsvertragsgesetz (VVG)

(3) Der Rückkaufswert ist das nach anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik mit den Rechnungsgrundlagen der Prämienkalkulation zum Schluss der laufenden Versicherungsperiode berechnete Deckungskapital der Versicherung, bei einer Kündigung des Versicherungsverhältnisses jedoch mindestens der Betrag des Deckungskapitals, das sich bei gleichmäßiger Verteilung der angesetzten Abschluss- und Vertriebskosten auf die ersten fünf Vertragsjahre ergibt; …

Urteil vom 11. September 2013 – IV ZR 17/13

LG Köln – Urteil vom 23. Mai 2012 – 26 O 105/11

OLG Köln – Urteil vom 21. Dezember 2012 – 20 U 133/12

Urteil vom 11. September 2013 – IV ZR 114/13

AG Köln vom 31. Januar 2012 – 124 C 484/11

LG Köln vom 13. Februar 2013 – 26 S 8/12

Karlsruhe, den 11. September 2013

Nr. 147/2013 vom 11.09.2013
Quelle: Bundesgerichtshof, Pressestelle

Read More

Nächtliche Fixierung eines Kindes in offener Einrichtung

Nächtliche Fixierung eines Kindes in offener Einrichtung

Der u.a. für Familiensachen zuständige XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte die Frage zu beantworten, ob die Eltern ohne zusätzliche Genehmigung durch das Familiengericht wirksam in eine notwendige nächtliche Fixierung ihres Kindes in einer offenen heilpädagogischen Einrichtung einwilligen können.

Ihr 1999 geborenes Kind leidet unter einem frühkindlichen Autismus mit geistiger Behinderung und einem Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätssyndrom. Es zeigt krankheitsbedingt ausgeprägte Unruhezustände und extreme Weglauftendenzen. Seit 2008 lebt das Kind in einer offenen heilpädagogischen Einrichtung, in der es eine Einzelbetreuung erhält. Aus kinder- und jugendpsychiatrischer Sicht ist es zum Schutz des Kindes und seiner Mitbewohner indiziert, es nachts mittels eines Bauch- oder Fußgurtes bzw. eines entsprechenden Schlafsacks zu fixieren. Nachdem das Amtsgericht im Jahre 2009 die nächtliche Fixierung für die Dauer von längstens zwei Jahren familiengerichtlich genehmigt hatte, beantragten die Eltern im vorliegenden Verfahren die Verlängerung dieser Genehmigung.

Das Amtsgericht hat den Antrag abgewiesen, weil die Maßnahme nicht genehmigungsbedürftig sei. Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde des Verfahrensbeistands des Kindes zurückgewiesen. Dagegen hat der Verfahrensbeistand die vom Oberlandesgericht zugelassene Rechtsbeschwerde eingelegt.

Der Bundesgerichtshof hat die Rechtsbeschwerde zurückgewiesen, weil Eltern in Ausübung ihrer elterlichen Sorge selbst in eine erforderliche und verhältnismäßige Fixierung ihrer Kinder einwilligen dürfen und das Gesetz eine familiengerichtliche Genehmigung solcher Maßnahmen nicht vorsieht.

Nach § 1631 b BGB bedarf die Unterbringung eines Kindes, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, der Genehmigung des Familiengerichts. Dabei geht das Gesetz, wie sich auch aus entsprechenden Vorschriften im Betreuungsrecht und im Verfahrensrecht ergibt, von einem engen Unterbringungsbegriff aus. In der zeitweiligen oder regelmäßigen Fixierung eines in einer offenen Einrichtung lebenden Kindes liegt danach keine Unterbringung.

Eine Verpflichtung zur Genehmigung unterbringungsähnlicher Maßnahmen, zu denen auch eine Fixierung zählt, enthält das Gesetz im Kindschaftsrecht nicht. Zwar verlangt das Gesetz im Betreuungsrecht für psychisch kranke oder körperlich, geistig oder seelisch behinderte Volljährige sowohl bei einer geschlossenen Unterbringung (§ 1906 Abs. 1, 2 BGB) als auch bei einer unterbringungsähnlichen Maßnahme (§ 1906 Abs. 4 BGB) die Genehmigung durch das Betreuungsgericht (vgl. BGH Beschluss vom 27. Juni 2013 – XII ZB 24/12 – FamRZ 2012, 1372). Die Vorschrift des § 1906 Abs. 4 BGB ist aber nicht entsprechend auf unterbringungsähnliche Maßnahmen gegenüber Minderjährigen anwendbar. Es fehlt schon an einer dafür erforderliche Regelungslücke, weil die Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Fixierung Minderjähriger dem Gesetzgeber bekannt sind und er die Vorschrift des § 1906 Abs. 4 BGB gleichwohl ausdrücklich auf unterbringungsähnliche Maßnahmen gegenüber Volljährigen begrenzt hat (BT-Drucks. 11/4528 S. 82 f.).

Der BGH hat weiter entschieden, dass eine entsprechende Vorschrift im Kindschaftsrecht auch nicht durch das staatliche Wächteramt von Verfassungs wegen geboten ist. Anders als im Betreuungsrecht handeln Eltern gegenüber ihren minderjährigen Kindern nicht aufgrund staatlicher Bestellung, sondern in Ausübung ihres Elterngrundrechts aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG. Die Erziehung der Kinder ist damit primär in die Verantwortung der Eltern gelegt; staatliche Verantwortung und Kontrolle sind im Bereich des Erziehungsrechts eingeschränkt. Zur Gewährleistung des Schutzes minderjähriger Kinder bietet das Gesetz u.a. mit dem Verbot entwürdigender Erziehungsmaßnahmen in § 1631 Abs. 2 BGB und mit der Möglichkeit einer Entziehung der elterlichen Sorge bei Gefährdung des Kindeswohls nach den §§ 1666 ff. BGB ausreichende Handhabe.

Die maßgeblichen Normen lauten wie folgt:

§ 1631b BGB Mit Freiheitsentziehung verbundene Unterbringung

Eine Unterbringung des Kindes, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, bedarf der Genehmigung des Familiengerichts. Die Unterbringung ist zulässig, wenn sie zum Wohl des Kindes, insbesondere zur Abwendung einer erheblichen Selbst- oder Fremdgefährdung, erforderlich ist und der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch andere öffentliche Hilfen, begegnet werden kann. Ohne die Genehmigung ist die Unterbringung nur zulässig, wenn mit dem Aufschub Gefahr verbunden ist; die Genehmigung ist unverzüglich nachzuholen.

1906 BGB Genehmigung des Betreuungsgerichts bei der Unterbringung

(1) Eine Unterbringung des Betreuten durch den Betreuer, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, ist nur zulässig, solange sie zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, weil

1. auf Grund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt, oder

2. zur Abwendung eines drohenden erheblichen gesundheitlichen Schadens eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff notwendig ist, ohne die Unterbringung des Betreuten nicht durchgeführt werden kann und der Betreute auf Grund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann.

(2) Die Unterbringung ist nur mit Genehmigung des Betreuungsgerichts zulässig…

(3) …

(3a) …

(4) Die Absätze 1 und 2 gelten entsprechend, wenn dem Betreuten, der sich in einer Anstalt, einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung aufhält, ohne untergebracht zu sein, durch mechanische Vorrichtungen, Medikamente oder auf andere Weise über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig die Freiheit entzogen werden soll.

(5) …

§ 151 FamFG Kindschaftssachen

Kindschaftssachen sind die dem Familiengericht zugewiesenen Verfahren, die

1…

2…

3…

4…

5…

6. die Genehmigung der freiheitsentziehenden Unterbringung eines Minderjährigen (§§ 1631b, 1800 und 1915 des Bürgerlichen Gesetzbuchs),

7. die Anordnung der freiheitsentziehenden Unterbringung eines Minderjährigen nach den Landesgesetzen über die Unterbringung psychisch Kranker oder

8…

betreffen.

§ 167 FamFG Anwendbare Vorschriften bei Unterbringung Minderjähriger

(1) In Verfahren nach § 151 Nr. 6 sind die für Unterbringungssachen nach § 312 Nr. 1, in Verfahren nach § 151 Nr. 7 die für Unterbringungssachen nach § 312 Nr. 3 geltenden Vorschriften anzuwenden. An die Stelle des Verfahrenspflegers tritt der Verfahrensbeistand.

(2) …

(3) Der Betroffene ist ohne Rücksicht auf seine Geschäftsfähigkeit verfahrensfähig, wenn er das 14. Lebensjahr vollendet hat.

(4) …

(5) …

(6) In Verfahren nach § 151 Nr. 6 und 7 soll der Sachverständige Arzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie sein. In Verfahren nach § 151 Nr. 6 kann das Gutachten auch durch einen in Fragen der Heimerziehung ausgewiesenen Psychotherapeuten, Psychologen, Pädagogen oder Sozialpädagogen erstattet werden.

§ 312 FamFG Unterbringungssachen

Unterbringungssachen sind Verfahren, die

1. die Genehmigung einer freiheitsentziehenden Unterbringung … eines Betreuten …,

2. die Genehmigung einer freiheitsentziehenden Maßnahme nach § 1906 Abs. 4 des Bürgerlichen Gesetzbuchs oder

3. eine freiheitsentziehende Unterbringung … eines Volljährigen nach den Landesgesetzen über die Unterbringung psychisch Kranker

betreffen…

Beschluss vom 7. August 2013 – XII ZB 559/11

AG Varel – 2 F 338/10 – Beschluss vom 18. April 2011

OLG Oldenburg – 14 UF 66/11 – Beschluss vom 23. September 2011

Karlsruhe, den 4. September 2013

Pressemitteilung Nr. 144/2013 vom 04.09.2013
Bundesgerichtshof, Pressestelle

Read More